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Medien

Mittwoch, 12. Juni 2013

Alarm! Strafverfahren als TV-Spektakel

Die Justizministerkonferenz der Länder befasst sich heute und morgen, am 12. und 13. Juni 2013, auf Initiative von Rheinland-Pfalz und dem Saarland mit der möglichen Öffnung der Gerichtssäle für Fernsehübertragungen. Dies wurde gestern von verschiedenen Zeitungen in kleinen Meldungen berichtet.

Das Bundesverfassungsgericht mißverstanden

Angeregt sind die Justizminister offensichtlich von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Vergabe von Sitzplätzen an Medienvertreter in dem NSU Verfahren, mit der die Zuweisung einer Mindestvergabe von Sitzplätzen an Medien mit besonderem Opferbezug angeordnet wurde. Die Konkurrenz und der Rummel um die Sitzplatzvergabe hat die Begehrlichkeiten der Medien offensichtlich angeregt und soll jetzt durch die Initiative der Ministerkonferenz auf Live-Übertragungen  aus dem Gerichtssaal ausgeweitet werden.  Dabei hat die 3.  Kammer des 1. Senats klargestellt, daß in dem Verfahren ,,von vornherein kein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Zugang zu den Gerichtsverhandlungen in Frage steht.” Wenn mit der Entscheidung überhaut verfassungsrechtliche Ansprüche der Medien betroffen sind, dann allenfalls ,,im Rahmen einer gleichheitsgerechten Auswahlentscheidung.” Aber selbst das hat das Bundesverfassungsgericht noch offengelassen, weil es sich dabei um schwierige, verfassungsrechtlich ungeklärte Fragen handelt, die im Rahmen eines Eilverfahrens gar nicht entschieden werden können. Darüber hinaus handelt es sich auch um durchaus heikle Fragen, weil mit der Entscheidung zur Sitzplatzvergabe grundsätzlich die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit der Justiz berührt ist. Die eher unglückliche Begriffsschöpfung von Medien mit Opferbezug im Rahmen einer Zuweisungsentscheidung von Sitzplätzen ist von der politischen Öffentlichkeit offensichtlich mißverstanden worden als ein grundsätzlicher  – und durch besondere Opfernähe verstärkter – Anspruch der Medien.

 

Der Grundsatz der Öffentlichkeit dient nicht der Publikumsunterhaltung, sondern der Wahrung rechtsstaatlicher Verfahren

Die prozessualen Vorschriften über die Öffentlichkeit in Strafverfahren sichern die Gewährung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nach zwei Seiten hin ab und dienen vor allem dem  Schutz der Angeklagten. Nach der einen Seite soll der  Grundsatz der Öffentlichkeit die Durchführung von Geheimverfahren verhindern, nach der anderen Seite soll aber die Beschränkung der Öffentlichkeit auch gewährleisten, daß aus Strafverfahren keine Schauprozesse werden. Aus diesem Grunde können Gerichtsverhandlungen nicht in Turnhallen oder gar in Sportstadien verlegt werden und sei das öffentliche Interesse noch so groß. Erst recht gilt dies für Fernsehübertragungen und Übertragung auf Videoleinwände mit public viewing.  Nach den Worten der Justizministerin des Saarlands, Anke Rehlinger (SPD),  die die Konferenz leitet , ist dies nicht mehr zeitgemäß. Seit dem Kameraverbot hätten sich die Gesellschaft und die Medien verändert.

Die Veränderungen der Mediengesellschaft, die Frau Rehlinger meinen könnte,  führen schon bisher zu einer für die Demokratie bedenklichen Machtkonzentration einiger zentraler Fernsehanstalten. Mit ihrer Talkshowkultur z.B., die  längst eine wirkliche Debattenkultur erstickt,  steuern sie die Meinungs- und Willensbildungsprozesse in ihrem Sinne, weit ab von den parlamentarischen Geschehen. Meist folgen diese Talkshows einer von professionellen Produktionsgesellschaften mit großem finanziellen und logistischen Aufwand vorgefertigten Regie, in der Politikergäste regelrecht  mit suggestiven Filmeinsprengseln  vorgeführt werden. Noch bedenklicher wären  die Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz, wenn diese in den Sog der Konkurrenz um Senderechte, Quotenjagd und Unterhaltungswert geriete. Man muß sich etwa einen Vorsitzenden Richter vorstellen, der ein unpopuläres Urteil vor einem Millionenpublikum verkünden und begründen muß, live kommentiert wie bei einer großen Sportveranstaltung von einem ,,sachkundigen” Justizmoderator. Möglichkeiten, sich sachgerecht über das Justizgeschehen und die Rechtsprechung zu informieren, gibt es heute schon genug. Mit Transparenz haben diese Vorschläge daher nichts zu tun.

Freitag, 1. Juni 2012

Tatort ARD: Nieder wieder frei sein

Wenn ein Krimi den Leser/Zuschauer bis zuletzt im Ungewissen über die Aufklärung des Verbrechens läßt und ihn mit wachsender Spannung in den Bann der Ermittlungen zieht, dann ist es wohl ein guter Krimi. Wenn ein Serienkrimi in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt aber eine politische Botschaft verkünden will, ist Vorsicht geboten. In “Nie wieder frei sein”, einem “Tatort” vom Sonntag, 27.5.2012, wird die Botschaft mit dem Vorschlaghammer präsentiert.

Die ARD macht Stimmung gegen den Rechtsstaat und trägt dabei recht dick auf.

In der Eingangssequenz wird der Zuschauer Zeuge eines versuchten Mordes an einer jungen Frau, die der Täter zuvor vergewaltigt hat. Beim Versuch bleibt es, weil er sie irrtümlich schon für tot hält. Man sieht ihn bei der Präparierung der nackten vermeintlichen Frauenleiche, um die Spuren zu beseitigen. Noch bleibt er dabei im kinematografischen Dämmerlicht. Aber gleich danach wird er im Gerichtssaal als Täter präsentiert. Ein Ermittler überführt ihn vor Gericht anhand unwiderlegbarer Ermittlungsergebnisse, die die Polizei über eine Überwachungsmaßnahme gewonnen hat. Der Täter, der außerdem noch eines weiteren Frauenmordes angeklagt ist, gesteht einer Prostituierten die Taten und dies mit einem exklusiven Täterwissen. Aber: Eine junge Anwältin deckt auf!  Für die Überwachung lag der richterliche Beschluß noch nicht vor. Der Antrag der Staatsanwältin war zwar bereits auf dem Weg zum Ermittlungsrichter, aber eben noch nicht beschlossen. Ein Verfahrensfehler, so wie ihn sich Frau Maier und Herr Schulze vorstellen. Die Polizei hat eine halbe Stunde zu früh zugelangt, dann hätte der Beschluß vorgelegen. So wird der Angeklagte auf Antrag der cleveren Anwältin freigesprochen. Die Zuschauer m Gerichtssaal sind empört über den Freispruch eines überführten Frauenmörders und Sexualstraftäters. Die Schwester des Mordopfers schreit auf, “Nein! Das ist Unrecht!”, und das Vergewaltigungsopfer  bricht zusammen.

Die Programmankündigung zu diesem Film wirf die Fragen auf, was ist Recht und  was ist gerecht? Ist Recht gerecht? Die Antwort kommt postwendend. Recht ist nicht gerecht. Der Freigesprochene ist von nun an das Schwein, die Drecksau. Gegen die Anwältin ergehen Morddrohungen. “Selber Schuld”, meinen die Ermittler. Anwohner beschmieren den Eingang  der Wohnung des Täters mit Scheiße, stellen Warnhinweise auf “Vorsicht Mörder!” und schreien nach Selbstjustiz. Die Ermittler haben Verständnis, ihnen geht es ja genauso. Sie sind weiter hinter ihm her, wollen ihn beschatten, müssen sich aber gequält mit der richterlichen Genehmigung abplagen. Den Fehler nicht noch einmal machen! Dann verschwindet das Vergewaltigungsopfer. Der Täter scheint ausgemacht. Er war ja bereits kurz nach seinem Freispruch zum Entsetzen des Vergewaltigungsopfers und der Zuschauer in einer gruseligen Szene wieder bei ihr aufgetaucht. Da kann man leider nichts machen, so ist das Gesetz, so ist das Recht,  gaben die Beamten resigniert zur Kenntnis. Aber jetzt. Auch der Täter ist nicht mehr auffindbar. Eine Entführung? Dann stellen ihn die Ermittler, zu Hause bei seinem Vater, mit dem er zusammen in prekären Verhältnissen lebt. Ein Ermittler wirft sich auf ihn, prügelt auf ihn ein, würgt ihn. Es geht um das Leben von Melanie, rechtfertigt er sich bei seinem Kollegen. Melanie Bauer ist das Vergewaltigungsopfer und die mutmaßlich Entführte. Anklänge vom Fall Gäfgen liegen in der Luft und das Scheiß Folterverbot. Die Anwältin legt nun das Mandat nieder. Diesmal zu Unrecht. Der Bulle versteht sie. Solange niemand von einem Gericht verurteilt wurde, gilt er als unschuldig, sagt sie gebrochen, und die Zweifel stehen ihr im Gesicht. “Unschuldsvermutung”, wehrt der lebenserfahrene Ermittler ab, “daran glaubt ihr doch auch nur im Studium.”

Doch dann kommt die Wende. Dramaturgisch nicht schlecht gemacht. Die Anwältin wird in der Tiefgarage von Vermummten überfallen und schwer mißhandelt. Und – der Täter wird zwölf Stunden später ermordet aufgefunden. Was interessiert mich dieses Dreckschwein, ist der Kommentar des Ermittlers. Diesmal ist der Zuschauer in die Irre geführt worden und wird es weiterhin, so wie es sich für einen guten Krimi gehört. Das unterscheidet ihn von einem reinen Propagandafilm der NPD. Die Opfer geraten selbst in Verdacht. War es der Exfreund des Vergewaltigungsopfers? Ihr Vater? Die Schwester der Ermordeten? Alle freuen sich über den Tod dieser Sau. Aber keiner will es gewesen sein. Auf jeden Fall riecht es nach Lynchjustiz. Beim Täter wird allerdings ein fremdes Schamhaar gefunden. Hat er wieder jemanden vergewaltigt, bevor es ihm selbst an den Kragen ging? War es Frau Bauer? Die Gerichtsmedizin kann das Schamhaar zuordnen. Es kommt von einer Prostituierten, bei er die meiste Zeit war. Posthum wird er so von dem Verdacht der Entführung entlastet. Auch das Vergewaltigungsopfer taucht wieder auf. Sie war gar nicht entführt worden. Und dann ergeben sich Unstimmigkeiten bei den Verletzungen der Anwältin , die von dem Überfall herrühren sollen. Sie wird von den Ermittlern aufgesucht. Im Gerichtssaal, kurz vor ihrer nächsten Verhandlung. Unter Tränen gesteht sie unerwartet den Mord an ihrem früheren Mandanten. Sie hat ihn abgestochen. Ja, was hätte sie denn  tun sollen. Er hätte doch immer weiter gemordet, sagt sie. “Jetzt darf dieses Schwein doch nicht noch mein Leben ruinieren.” Fragend und verängstigt blickt sie die Bullen an. “Können wir nicht sagen, es war Notwehr?” Und die Bullen? Die Rollen haben sich vertauscht. Diesmal vertreten sie das Gesetz,  “Wir müssen sie vorläufig festnehmen.” So endet das tragische Schicksal einer jungen Anwältin, die in ihrer jugendlichen Naivität an das Gesetz glaubte und zu spät erkannte: Recht ist nicht Gerechtigkeit!

Die Botschaft erreichte 4,6 Millionen Zuschauer.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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