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Neue Weltordnung

Samstag, 3. März 2012

Neue Weltordnung II: Neuausrichtung der US-Militärstrategie

 

Vorbemerkung

Der Begriff der neuen Weltordnung wurde erstmals von dem damaligen amerikanischen Präsidenten Bush sen. 1991 im Zusammenhang mit dem sog. zweiten Golfkrieg eingeführt. Der erste Beitrag zum Thema Neue Weltordnung befasst sich mit dem seitherigen Verfall der völkerrechtlichen Friedensordnung, der mit dem Libyenkrieg ein neues Stadium erreicht hat. Mit dem nachstehenden Beitrag werden im Kontext einer werdenden neuen Weltordnung Aspekte einer strategischen Neuausrichtung der US-Militärstrategie behandelt, soweit sie sich aus der zugängigen Berichterstattung der Tagespresse erschließen.

Kostengünstiger, effizienter, schlagkräftiger

Im Januar dieses Jahres meldeten die Medien eine neue strategische Ausrichtung der amerikanischen Streitkräfte verbunden mit Einsparungen im Verteidigungshaushalt von bis zu einer Billion Dollar in den nächsten zehn Jahren.  Aber auch die Ausgabenkürzungen, die in Wahrheit nur eine Drosselung der Mehrausgaben sind, bedeuten nicht den militärischen Rückzug der USA aus dem Weltgeschehen, sondern dienen dem effizienten Ausbau der militärischen Dominanz unter veränderten weltpolitischen Herausforderungen. Die FAZ vom 6. Januar zitiert den US-Präsidenten Obama mit den Worten,

“Ja, unsere Streitkräfte werden kleiner sein, aber die Welt muß wissen, dass die Vereinigten Staaten ihre militärische Überlegenheit behalten werden und dass unser Militär schnell und flexibel auf alle Bedrohungen und Herausforderungen reagieren wird.”

Von den geplanten Einsparungen gibt es zwei Ausnahmen, die äußerst aufschlußreich für die Schwerpunkte der strategischen Neuausrichtung sind. Die eine betrifft die geostrategische Ausrichtung auf den asiatisch-pazifischen Raum. “Wir werden im Gegenteil unsere Präsenz im pazifischen Raum ausbauen,” sagte Vereidungsminister Panetta im Oktober beim Besuch der Verbündeten Japan und Südkorea. (1) Die zweite wesentliche Ausnahme betrifft die Ausgaben die Flugzugträgerflotte, die digitale Kriegsführung sowie die Aufklärung und Überwachung.  (2)

Eine Schlüsselrolle für die Änderung an der amerikanischen Militärdoktrin spielt der Libyenkrieg. Erstmals praktizierten die USA hier die “Obama-Doktrin” des Führens aus der zweiten Hand. Mit der strategischen Konzentration auf den pazifischen Raum sind der Nato und den vornehmlich europäischen Verbündeten ein größerer militärischer Eigenanteil zugedacht. Aber vor allem stellt der Libyenkrieg einen Wendepunkt in der strategischen Kriegsführung selbst dar. Er fällt zusammen mit der Aufgabe der sog. Zwei-Kriege-Doktrin durch Obama, wonach die USA nicht mehr in der Lage sein müssen, zwei große Landkriege gleichzeitig zu führen. Damit ziehen die USA die Lehren aus den Fehlern des Irak- und Afghanistankrieges. Das bedeutet nicht etwa eine selbstauferlegte teilweise Abstinenz, sondern die Änderung in der Art der Kriegsführung. Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Lothar Rühl beschäftigt sich in der FAZ mit den strategischen Lehren aus dem Libyenkrieg und betont zunächst “die entscheidende Wirkung der vollkommenen Luftüberlegenheit” (3 )

 

Aus den Fehlern im Irak und in Afghanistan lernen

Aus dieser ersten libyschen Lektion, wie er das nennt,  folgt die “Präferenz von Operationen aus der Luft, auch und künftig mehr mit Drohnen und Marschflugkörpern.” Für diese Art der Kriegsführung genügen am Boden der Einsatz einiger subversiv arbeitender Spezialkommandos, die die operative Leitung der am Boden kämpfenden Verbündeten übernehmen. Dies führt direkt zu der zweiten libyschen Lektion.

Der Libyenkrieg bedeutet auch deshalb historisch eine Zäsur, weil es dem Westen mit der Res. 1973 gelang, die bestehenden rechtlichen Hemmschwellen für einen Angriffskrieg weiter einzureißen. Im ersten Beitrag zur Neuen Weltordnung wurde ausgeführt, wie mit der Resolution des Sicherheitsrats die Eingriffsvoraussetzungén für eine Militärintervention herabgesetzt wurden auf die bewußt einseitige Unterstützung eine Bürgerkriegspartei. Der politisch gewollte Regimewechsel sollte auch dann noch für eine rechtliche Legitimation der Intervention herhalten, wenn dadurch eine ansonsten bereits zum Scheitern verurteilte Aufstandsbewegung doch noch zu einer siegreichen Revolution geführt werden konnte. Der Westen hat damit die Konsequenzen gezogen aus den Fehlern der beiden vorangegangen großen Landkriege, die in ihrem Ansatz aber bereits dem gleichen Ziel gedient haben. Diese strategische Lehre erläutert Lothar Rühl wie folgt:

“Die zweite libysche Lektion liegt in der Verfügbarkeit zuverlässiger Verbündeter in dem Land, in dem militärisch eingegriffen werden soll. Eigene Luftlande- und Seelandestreitkräfte wie Spezialeinsatzkräfte sind dafür zwingend, wenn einheimische Kräfte wie die ´Nordallianz`in Afghanistan und die libyschen Aufständischen nicht vorhanden sind oder schnell entstehen. Das war die Schwäche im Irak, die bis zum erklärten Abschluß der Intervention im Oktober 2011 (mit Ausnahme einiger sunnitischer Stammesmilizen) andauerte. Hier liegt noch immer die Schwäche in Afghanistan.”

Mit den Änderungen an der Militärdoktrin durch die Obama-Administration gelingt dem Westen gegenwärtig gleichzeitig  die ideologische Befreiung aus den Fesseln, die ihm die öffentliche Meinung in den langandauernden, teuren und aus Sicht des Westens verlustreichen Landkriegen zunehmend auferlegen. Der arabische Frühling hat dem Ausbau der politischen und militärischen Dominanz des Westens und insbesondere der USA erheblichen Auftrieb verschafft.  Neben der militärischen führt auch die politische und ideologische Vereinnahmung des arabischen Frühlings durch den Westen zu einer Zäsur und zu einer seit dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr dagewesenen Symbiose der öffentlicher Meinung mit der strategischen Kriegsführung der westlichen Kommandozentralen.  Begonnen hat dies bereits damit, daß die kreative Wortschöpfung “UN-Mandat” zu einer schleichenden Akzeptanz  von militärischen Interventionen führte, sofern der Sicherheitsrat der Nato die Absolution erteilt. Ähnlich schablonenhaft knüpfen die ideologischen Reflexe  an die Bürgerkriegssituation als Eingriffsermächtigung an , indem die Niederschlagung eines bewaffneten Aufstands einhellig als gewaltsames Vorgehen “des Regimes” gegen das eigene Volk gebrandmarkt wird und ebenso schwerbewaffnete und mitunter terroristisch operierende Aufständische umstandslos zu Zivilisten erklärt werden.  Diese einseitige Ausrichtung der öffentlichen Meinung an der schwindender Akzeptanz der Legitimität staatlicher Auufstandsbekämpfung (und damit des staatlichen Gewaltmonopols) wird begleitet von einem Prozeß zunehmender Akzeptanz einer globalen militärischen Aufstandsbekämpfung. In Afghanistan etwa erscheint der Einsatz militärischer Gewalt, zumindest zur gezielten Aufstandsbekämpfung,  völlig unproblematisch. Aufschlußreich insoweit Christian Bommarius  in der Frankfurter Rundschau,

In Afghanistan herrscht ein bewaffneter nicht-internationaler Konflikt. Hier sind Schläge gegen militärisch operierende Einheiten ebenso gestattet wie gegen einzelne Aufständische. Deren Tötung ist nicht nur in direkter Konfrontation zulässig, sondern auch beim Essen und im Schlaf . (4)

 

Jederzeit, überall, mit allen Mitteln

Mit der Res. 1973 nutzte der Westen die Gunst der Stunde, daß er diplomatische Unterstützer auch im arabischen Lager hatte. Dem Zerfallsprozeß des arabischen Lagers und dem ihn begleitenden Bedürfnis nach Begleichung alter Rechnungen war es geschuldet, daß ausgerechnet die libanesische Hizbullah maßgeblich daran beteiligt war, den USA  im Sicherheitsrat die diplomatische Vorlage für den Libyenkrieg zu liefern.  Der Zynismus, mit dem die USA sich für den insoweit begrenzten Libyenkrieg den Schein einer völkerrechtlichen Legitimität verschaffte, darf allerdings nicht davon ablenken, daß der Westen – und allen voran die USA – sich bereits weltweit und grenzenlos in einem permanenten Krieg befinden. Nach wie vor beanspruchen die USA dafür als völkerrechtliche Grundlage die Res. 1373 des Sicherheitsrats vom 28.9.2001, die damals als Reaktion auf 9/11 erging. Die USA beanspruchen daraus für sich, jederzeit, überall und mit allen Mitteln den Bedrohungen von Frieden und Sicherheit durch terroristische Handlungen entgegenzutreten.  “Mit allen Mitteln “ haben sich die USA in die Resolution schreiben lassen, um den Antiterrorkrieg ohne jede geographischen, rechtlichen und militärischen Schranken führen zu können.

Drohnenkrieg und …..

Obama, der den Antiterrorkrieg nur nicht mehr so nennt, stützt sich dabei weiterhin auf die im gleichen Jahr ergangene Ermächtigung des Kongresses “zum Einsatz aller notwendigen und angemessenen Gewalt.” Unter Obamas Führung haben sich die Mittel mehr und mehr auf den Einsatz von Spezialkommandos und vor allem auf die Intensivierung des Drohnenkriegs verschoben. In mindestens sechs Ländern, Afghanistan und Pakistan, Irak und Libyen sowie in Somalia und im Jemen setzen die USA Drohnen ein.

Seit Obamas Amtsantritt sollen alleine in Pakistan mehr als 1500 mutmaßliche Taliban und Al-Qaida Kämpfer durch Drohnen getötet worden sein, vornehmlich wohl bei der Bekämpfung der Aufstandsbewegung in Süd Waziristan. Diese Zahl betrifft nur die gezielten Tötungen, nicht die Gesamtzahl der Opfer auch durch sog. Kollateralschäden. Und dies, obwohl die USA weder gegen noch in Pakistan offiziell Krieg führen.

Die Angriffe auf Somalia und die Arabischen Halbinsel werden bisher hauptsächlich von dem Stützpunkt in Djibouti aus geflogen. Daneben wurden im letzten Halbjahr Stützpunkte ausgebaut in Arba Minch auf einem Flughafen in Äthiopien sowie auf den Seychellen im Indischen Ozean sowie weitere geheime Basen auf der Arabischen Halbinsel und im Osten Afrikas. “Ziel des Ausbaus der Drohnenstützpunkte ist

Schaffung eines Netzes sich überlappender Flugzonen, die eine fortgesetzte Überwachung der von den Terrororganisationen kontrollierten Gebiete ermöglicht.” (5)

Auch hier operieren die US-Militärs mit verbündeten äthiopischen bzw. kenianischen Bodentruppen.

 

Todeslisten

Ausgestattet sind die unbemannten Flugkörper vom Typ “Predator” und “Reaper” mit satellitengesteuerten Lenkwaffen oder mit Hellfire -Raketen; nochmals zum Mitschreiben –HELLFIRE -. Ihr Zweck ist neben der gezielten Liquidierung von Aufständischen die Verbreitung von Angst und Schrecken.

Mit dem Ausbau der Drohnenstützpunkte verlagert sich die operative Kriegsführung zugleich auf den jeglicher Kontrolle entzogenen Auslandsgeheimdienst CIA. Im letzten September wurde der amerikanische Staatsangehörige und “Haßprediger” Anwar Al Aulaqi sowie der fünfundzwanzigjährige pakistanischstämmige Amerikaner Samir Khan im Jemen bei einem Drohnenangriff gezielt getötet. Im August die mutmaßlichen Al Qaida Führer Pakistans Al-Shari und Abd-al Rahman im pakistanischen Waziristan. Die Liste der gezielten Tötungen ist lang und zeigt, daß niemand auf der Welt der Präzision der hoch technologisierten Tötungsmaschinerie entkommen kann, wenn man auf den Todeslisten der CIA oder den US-Militärs steht. Gesteuert wird sie von der Luftwaffenbasis Creech im amerikanischen Bundesstaat Nevada vom heimischen Computer aus mit dem Joystick, ohne eigene Gefahr für die eigenen Streitkräfte. Laut Frankfurter Rundschau testet das Pentagon bereits  Drohnen, die bis zum vollautomatischen Abschuß als autonome Kampfmaschinen agieren. Es ist dabei nur ein scheinbares Paradoxon, daß die USA teilweise die gleichen Kräfte, die sie weltweit verfolgen, in Ländern wie in Libyen oder Syrien als nützliche Verbündete am Boden nutzt.

Die Aufgabe der Zwei-Kriege-Doktrin ist irreführend. Die militärischen Anstrengungen werden strategisch gebündelt zu einem einzigen weltweiten Krieg mit einer flexible Anpassung an die örtlichen, politischen und taktischen Gegebenheiten. Dieser Krieg ist durch nichts legitimiert, weder demokratisch noch durch legitime Hoheitsgewalt oder historisch anerkannte Souveränitätsrechte, allesamt moderne republikanische Prinzipien, die in diesem Krieg untergehen. Dieser Krieg stützt sich alleine auf den Zynismus der Macht.

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1) FAZ, 15.11.11

(2) FAZ, 6.10.11

(3) FAZ, 18.1.12

(4) FR, 4.10.11

(5) FAZ, 22.9.11

Freitag, 10. Februar 2012

Neue Weltordnung I: Verfall der völkerrechtlichen Friedensordnung

 

Vorbemerkung

 

Der Begriff der Neuen Weltordnung wurde erstmals von dem damaligen amerikanischen Präsidenten Bush senior im Zusammenhang mit dem sog. zweiten Golfkrieg eingeführt. Er korrespondiert mit dem Wort von der “internationalen Staatengemeinschaft”, die im Anschluß an die “Operation Wüstensturm” über den Irak ein fast zehnjähriges Hungerembargo verhängte zum vorgeblichen Schutz von Kurden und Schiiten. Der Libyenkrieg der Nato markiert nun einen vorläufigen Höhepunkt in der Etablierung dieser neuen Weltordnung. Seine markantesten Merkmale sind die erhebliche Absenkung der Hemmschwelle für einen beliebigen Angriffskrieg gegen jedes beliebige Land, der fast vollständige Verlust des Respekts des geltenden Völkerrechts sowie einschneidende militärische und militärstrategische Innovationen. Ein weiteres markantes Merkmal ist die Ausbreitung eines ziemlich homogenen ideologischen Klimas in den Gravitationszentren dieser neuen Weltordnung, den USA und Europa. In aller Offenheit wird über Sanktionen, Kriegsdrohungen und Interventionen nur noch unter dem Gesichtspunkt der Opportunität gesprochen (wie derzeit nicht nur im Falle Irans), und eine grundsätzliche gesellschaftskritische Sicht wird fast vollständig in diesem ideologischen Sog ertränkt.

Zum Thema Neue Weltordnung befasst sich der nachfolgende Beitrag mit den völkerrechtlichen Entwicklungstendenzen und den Auswirkungen des Libyenkrieges auf die völkerrechtliche Friedensordnung. In einem zweiten Beitrag wird die militärische Neuausrichtung des Westens auf die Herausforderungen dieser neuen Weltordnung untersucht.

 

Der Libyenkrieg und die westliche Überrumpelungstaktik mit der Resolution 1973

 

Am 17.3.2011 beschloß der Weltsicherheitsrat die Resolution 1973, angeblich zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung. Im Wesentlichen wurde dazu über Libyen ein Flugverbot verhängt. Keine 24 Stunden später begann die Nato mit ihren “massiven Luftschlägen gegen das Gaddafi-Regime”. Spiegel Online berichtete am 19. März, “Es sah so aus, als hätte der Revolution letzte Stunde geschlagen – da schritt der Westen doch noch ein.” Instruktiv ist diese Formulierung insofern, als vom ersten Tag an das Kriegsziel eines Regimewechsels unverkennbar war und wie sich später zeigte, nicht die Rebellen, sondern die Nato die Revolution gewonnen hat. Von alledem ist in der Resolution 1973 nichts zu lesen. Weder wurde die Nato ermächtigt, den Rebellen zu helfen noch gar den Sturz der Regierung zu betreiben. Bei einer oberflächlichen Lektüre der Resolution enthält diese nicht einmal die Ermächtigung zu Militärschlägen überhaupt, außer zur Einhaltung des Flugverbots. Die maßgeblichen Klauseln lauten:

“Der Sicherheitsrat beschließt ein Verbot für alle Flüge im Luftraum von Libyen, um einen Beitrag zum Schutz der Zivilbevölkerung zu schaffen”

und als Sanktion :

“Der Sicherheitsrat ermächtigt alle Mitgliedsstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung des Flugverbots durchzusetzen.”

Von einem Verstoß der libyschen Regierung gegen das Flugverbot nach Inkrafttreten der Resolution ist nichts bekannt geworden. Es wurde nicht einmal behauptet. Bekannt ist aber, daß der Westen zu so einer schnellen militärischen Reaktion nicht in der Lage gewesen wäre, wenn er die Intervention nicht lange vor Verabschiedung der Resolution geplant hätte. Am 19. März meldete die FAZ , “schon seit Ende Februar haben die Vereinigten Staaten und Großbritannien Position am Mittelmeer bezogen, um eine Intervention in Libyen vorzubereiten.” Wichtigstes Einsatzelement für die Intervention war nach diesem FAZ-Bericht der atomgetriebene Flugzeugträger USS Enterprise mit etwa neunzig  Kampfflugzeugen des Typs F/A-18 Hornet und Super Hornet, die “zur Luftraumverteidigung und Angriffsmissionen eingesetzt werden können.” Der Flugzeugträger befand sich seit Mitte Februar im Roten Meer “begleitet von mehreren Lenkwaffenzerstören” im Roten Meer und dem Mittelmeer.

Wie konnten die USA und ihre Verbündeten die Weltgemeinschaft mit dem scheinbar harmlosen Resolutionsentwurf dermaßen täuschen und darauf einen längst vorbereiteten Angriffskrieg gegen einen souveränen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen stützen?

Der Westen fühlte sich ermächtigt, weil der Sicherheitsrat gem. Kap. VII der UN-Charta tätig wurde und die Feststellung traf, daß die Situation in Libyen eine Bedrohung des internationalen Friedens  und der Sicherheit darstellt.

Angriff auf die völkerrechtliche Friedensordnung

Die Wahrung und Sicherung des Weltfriedens ist die vornehmste und wichtigste Aufgabe der Vereinten Nationen und war das entscheidende Motiv für die Gründung dieser Weltorganisation auf der Grundlage der UN- Charta. Wichtigste Norm dieser Verfassung der Völkergemeinschaft ist das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4. Darin heißt es:

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt.”

Das zwischenstaatliche Gewaltverbot der UN-Charta ist umfassend und kennt nur die einzige Ausnahme in dem Recht auf Selbstverteidigung. Zur Sicherung des Friedens regelt Kap. VII der UN-Charta die Eingriffsbefugnisse des Sicherheitsrats bei Verstößen gegen das Gewaltverbot.  Der Sicherheitsrat kann im Rahmen des kollektiven Sicherheitssystems nach Art. 39 feststellen, daß eine Friedensbedrohung oder ein Friedensbruch vorliegt. Darauf gestützt kann er Zwangsmaßnahmen, entweder nichtmilitärische oder nach Art. 41 militärische, gegen den oder die betreffenden Staaten verhängen. Der Bezug auf Kap. VII ist damit das Hintertürchen, auf das sich die Alliierten Interventionsmächte stützen.  Der Sicherheitsrat ist aber auch selbst an das Gewaltverbot gebunden, das von ihm nicht aufgehoben und schon gar nicht in eine Ermächtigungsgrundlage für die Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt umgedeutet werden kann.  Die Reichweite der Eingriffsbefugnisse des Sicherheitsrats sind in der UN-Charta zudem grundsätzlich beschränkt. In Art 2 Abs. 7 heißt es:

“Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die in ihrem Wesen zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören…, nicht abgeleitet werden”

Diese beiden Normen begründen die fundamentalen Säulen der geltenden völkerrechtlichen Friedensordnung,  den Vorrang der Sicherung des Weltfriedens mit dem absoluten  zwischenstaatliche Gewaltverbot beruhend auf dem Prinzip der Gleichheit souveräner Staaten.

Seit dem Ende der bipolaren Weltordnung versucht der Westen, diese fundamentalen Säulen der völkerrechtlichen Friedensordnung zu Fall zu bringen. In Umkehrung von Geist und Buchstabe der UN-Charta versucht er stattdessen, den Sicherheitsrat zur Legitimierung seiner Angriffskriege zu mißbrauchen. In diesem Zusammenhang tauchte in den 90er Jahren das Unwort von dem sog. UN-Mandat auf, als eine Art Lizenz zum Angriffskrieg, das die UN-Charta aber gerade nicht vorsieht.

Erstmals wurden 1991 die internen Vorgänge im Irak in der Res. 688 zum Anlaß für Zwangsmaßnahmen gegen ein Mitgliedsland genommen. Nach dem Wortlaut der Resolution wurden jedoch offiziell nicht die behaupteten Menschenrechtsverletzungen zum Anlaß für die Feststellung einer Friedensbedrohung genommen. Um formal in Übereinstimmung mit der UN-Charta zu verbleiben, knüpfte die Feststellung an die Auswirkungen auf die Stabilität der Region an. Gleichwohl liegt hierin der Ausgangspunkt für die neueren Entwicklungen, da faktisch innerstaatliche Vorgänge zum Anlaß für die Verhängung von Zwangsmaßnahmen genommen wurden. Der Charakter der Vereinten Nationen als multilateraler Organisation gleichberechtigter Staaten wurde von hier ausgehend ständig weiter unterhöhlt.

Vom Jugoslawienkrieg zum Prinzip der Schutzverantwortung “Responsibility to Protect”

Präzedenzcharakter hatten dann die Resolutionen 808 und 827 des Sicherheitsrats v. 22.2. und 25.5.1993. Mit diesen setzte der Sicherheitsrat auf Betreiben der USA das Haager Ad-hoc Straftribunal als Zwangsmaßnahme  nach Kap. VII der UN-Charta ein, das im Wesentlichen der Aburteilung von Milosevic diente. Erstmals wurden hier ausdrücklich innere Vorgänge im Hoheitsgebiet eines Staates ohne Auswirkungen auf den internationalen Frieden zum Anlaß für Zwangsmaßnahmen genommen. Die USA und die Natostaaten erreichten damit zugleich, daß erstmals in der Geschichte der Präsident eines angegriffenen Landes sich der Strafjustiz des Aggressors unterwerfen mußte. Damit wurden auch die Grundsätze der Nürnberger Kriegsverbrecher Prozesse auf den Kopf gestellt, in denen der Aggressor wegen des Angriffskrieges strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde.

Der Versuch des Westens, durch den Sicherheitsrat “ein Mandat” für seine “humanitäre Intervention” zu erlangen, ist damals allerdings gescheitert. Als Konsequenz daraus initiierte die kanadische Regierung im Jahr 2000 eine sog. ad.hoc Gruppe mit internationalen Experten, die sich mit der völkerrechtlichen Legalisierung militärischer Interventionen befasste. Die “unabhängige”  Kommission nannte sich “Internationale Kommission über Intervention und Staatensouveränität” (International Commission on Intervention and State Sovereignty), kurz ICISS. Unter den Teilnehmern befand sich der ehemalige deutsche Generalinspekteur der Bundeswehr  und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Klaus Naumann.

Die Kommission arbeitete ein Konzept aus, das der Nato, ggf. im Verbund mit Alliierten, faktisch eine militärische Exekutivgewalt im Sinne eines globalen Gewaltmonopols einräumt. Das Konzept formulierte die Eingriffsvoraussetzungen für den Sicherheitsrat im Sinne einer aus dem innerstaatlichen Recht bekannten Verwaltungsordnung, indem sie diese streng durchnormierte nach Eingriffsvoraussetzung ( just cause), Gewalt als letztes Mittel (last resort), dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (proportional means)  usw. Gleichzeitig sah das Konzept auch Eingriffsbefugnisse “der Staatengemeinschaft” am Sicherheitsrat vorbei vor, falls dieser blockiert sei, wie dies nach dieser Lesart beim Jugoslawienkrieg der Fall war. Seither reden westliche Politiker, namentlich aus dem menschenrechtszentrierten grün-linken Spektrum, von der Responsibility to Protect, salopp auch R2P genannt, als handele es sich dabei um geltendes Völkerrecht. So z.B. Tom Koenigs, grüner Bundestagsabgeordneter und Leiter des Ausschusses für humanitäre Hilfe.

In Libyen hat der Sicherheitsrat zum ersten Mal eine Militäraktion mit der R2P begründet. Im Sinne der R2P ist ein Staat so souverän, wie er seine Bevölkerung vor schwersten Menschenrechtsverletzungen schützt. Wenn er dieser Verantwortung nicht nachkommen kann oder will, geht sie an die internationale Gemeinschaft über. “(1)

Das spricht er so vollmundig aus, als werde sein Wille Gesetz.

Das Konzept der ICISS wurde über eine Arbeitsgruppe des Generalsekretärs der UN-Generalversammlung 2005 vorgelegt und fand auch Eingang in das Gipfeldokument. Dort hatte es nach langen Verhandlungen mit dem ursprünglichen Konzept allerdings nichts mehr gemeinsam. Es handelt sich eher um einen moralischen Appell an die Staaten, ihre Schutzverantwortung selbst wahrzunehmen und begründete damit gerade nicht den Übergang der Schutzverantwortung an die Staatengemeinschaft. Damit schuf das Dokument auch keine Interventionsermächtigung. Die Generalversammlung hat den Begriff einer Norm bewußt nicht gewählt.  Im Übrigen begründet eine Erklärung des Weltgipfels im Abschlußdokument keine, jedenfalls keine unmittelbare, völkerrechtliche Wirkung. Das ist auch bezogen auf die “Responsibility to Protect” einhellige Meinung in der Wissenschaft, und auch Generalsekretär Ban Ki-moon geht davon aus, daß der Resolution der Generalversammlung keine Bindungswirkung zukommt. Eine Verankerung der “Respnsibility to Protect” im Völkerrecht wird von maßgeblichen Staaten, darunter China und Rußland auf der einen und der USA auf der anderen Seite aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt. Die USA sehen beispielsweise die Entscheidungsfreiheit des Sicherheitsrats darin zu sehr eingeschränkt, während Rußland und China zusammen mit zahlreichen Blockfreien Staaten der zwangsweisen Durchsetzung der Schutzverantwortung ablehnend gegenüberstehen.  Die USA verhalten sich zu der “Responsibility to Protect” ähnlich wie zu dem Internationalen Strafgerichtshof. Zur Aburteilung ihrer Kriegsgegner stehen sie vollständig hinter dem Weltrechtsprinzip, lehnen für sich aber jede Unterwerfung unter das Strafgericht kategorisch ab.  Ebenso bedienen sie sich des Prinzips der “Responsibility to Protect” zur Rechtfertigung ihrer Interventionen, lehnen aber jede rechtliche Bindung daraus für sich selbst ab.

Im Jugoslawienkrieg mußte noch ein vorgeblicher Völkermord wenn nicht zur rechtlichen, dann doch zur moralischen Legitimation herhalten. Man erinnert sich noch an den grünen Außenminister Fischer, der in Jugoslawien einen neuen Holocaust zu verhindern vorgab.  Mit der Bezugnahme auf die “Responsibility to Protect” werden wie im Falle Libyens die Eingriffsvoraussetzungen nochmals erheblich herabgesenkt. Als Interventionsgrund reicht die  Parteinahme in einem Bürgerkrieg wegen eines erwünschten Regimewechsels.  In diesem Falle wurde dafür sogar der schon fast beendete Bürgerkrieg durch die Intervention erst wieder angefacht mit seinen dann geschätzten 40 – 60 Tausend Toten.  Die tatsächlichen ethnisch motivierten Übergriffe der Aufständischen gegen die schwarze Bevölkerung in Form von Pogromen und Massakern wurden und werden dagegen ignoriert. (2)

 

Das Veto gegen die Syrienresolution im Lichte der neueren völkerrechtlichen Entwicklungstendenzen.

Der Resolutionsentwurf wurde am 4.2.2012 von Marokko mit Unterstützung der Europäer eingebracht. Rußland machte im Vorfeld deutlich, daß es keine Resolution unterstützen werde, die einseitig in dem innersyrischen Konflikt Partei ergreift. Das Veto löste insbesondere im Westen  eine Welle der Empörung aus. Insbesondere, so betonten westliche Politiker, da der Resolutionsentwurf weder Sanktionen beinhaltete noch ein militärisches Eingreifen autorisierte. Die Resolution enthielt aber indirekt die Aufforderung zum Rücktritt des syrischen Präsidenten. Und unmittelbar vor der Abstimmung forderte der amerikanische Präsident Obama den Rücktritt Assads. Wie wenig die westlichen Beteuerungen über eine angebliche Abmilderung des Resolutionsentwurfs wert waren, zeigte sich an den Reaktionen unmittelbar nach dem Scheitern. Nach dem Veto, so meldete die FAZ am 6. Februar, “haben mehrere westliche Regierungen deutlich gemacht, sie wollten nun außerhalb der Vereinten Nationen auf einen Sturz des syrischen Diktators hinwirken.”   Der Generalsekretär von Amnesty International  Salil Shetty erklärte , Rußland und China hätten ihr Veto-Recht im Sicherheitsrat in völlig unverantwortlicher Weise genutzt und forderte in London, den Internationalen Strafgerichtshof mit Ermittlungen  zu Syrien zu beauftragen. Der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat auf der Münchener Sicherheitskonferenz umgehend eine Reform des Sicherheitsrats gefordert, “Damit der Sicherheitsrat auch eine konstruktive Rolle in solchen Krisen spielen kann.” (3)

Das Veto Rußlands und Chinas war nach den Erfahrungen mit der Libyen Resolution absehbar, zumal insbesondere Rußland geltend gemacht hatte , daß die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Es ist daher durchaus möglich, daß das Veto einkalkuliert war. Mit der herausgehobenen Stellung in dem kollektiven Sicherheitssystem ist der Sicherheitsrat das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen als Hüter und Wahrer des Weltfriedens. Alle diplomatischen Versuche des Westens, im Wege einer UN-Reform Interventionsbefugnisse entgegen der UN-Charta völkerrechtlich zu etablieren, sind bisher gescheitert. Mit dem jetzigen Angriff auf die institutionelle Stellung des Sicherheitsrats sollen augenscheinlich die formellen Hindernisse beseitigt und damit der Sicherheitsrat in seiner Eigenschaft als Hüter und Wahrer des Weltfriedens entmachtet werden.

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(1) Gastbeitrag in  FR, 8.11.2011

(2) siehe auch “Grüne verantwortungsvoll für den Krieg”auf diesem Blog

(3) FR, 6.2.2012

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