Problematisches Streikrecht Teil 1 – GDL-Streik
Das Streikrecht ist ein Fremdkörper in unserem Rechtsgefüge. Arbeits- und Leistungsverweigerung führt im gewöhnlichen Leben nicht zu der Aussicht auf höhere Erlöse, sondern zu Einbußen bis hin zum Schadensersatz. Gerechtfertigt wird diese Ausnahme im Allgemeinen mit dem Verweis auf das Grundrecht. Das Streikrecht unterscheidet sich aber wesentlich von den sonstigen Grundrechten, die als Bürger- oder Menschenrechte ausgestaltet sind, denn es gilt nicht für alle und nicht allgemein und ist daher im eigentlichen gar kein Grundrecht. Aus rechtlichen und faktischen Gründen ist ein Großteil der Bürger von vornherein von diesem Arbeitsverweigerungsrecht in bestehenden Vertragsverhältnissen ausgeschlossen. Darunter natürlich die meisten Nichtarbeitnehmer. Für große Gruppen von Selbständigen wie Architekten und Rechtsanwälten wird die Entlohnung über eine staatliche Gebührenverordnung gesetzlich festgelegt. Ebenso für Beamte, die seit jeher kein Streikrecht haben. Aus faktischen Gründen sind aber auch große Teile der Arbeitnehmerschaft davon ausgeschlossen, sofern sie entweder in Betrieben arbeiten, die vom Kündigungsschutz ausgeschlossen sind (darunter viele Gastronomiebetriebe), oder für die persönlich der Kündigungsschutz nicht greift. Das Streikrecht hat vor allem historische Wurzeln und stammt aus einer Zeit, in der die Arbeiterschaft gleichzusetzen war mit den ärmeren und ärmsten Schichten der Gesellschaft auf den unteren Stufen der sozialen Hierarchie. Es galt als Korrektiv gegen die ökonomische Überlegenheit der Unternehmer (Kapitalisten) als Arbeitgeber, zuweilen auch als Mittel des Klassenkampfs, um damit im kämpferischen Zusammenschluss gegen die Machtinteressen Einzelner ein gemeinsames, mehr oder weniger verallgemeinerungsfähiges gesellschaftliches Interesse solidarisch durchzusetzen. Auch jenseits rechtlicher Beschränkungen lagen dabei jedoch die immanenten Schranken in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und äußerstenfalls in der Überlebensfähigkeit der Betriebe. Mit dem gesellschaftlichen Wandel haben sich die Koordinaten jedoch gründlich verschoben. Verantwortlich dafür sind zwei nur scheinbar gegensätzliche Tendenzen, die Vergesellschaftung und die Privatisierung, denn beide Prozesse gehen ineinander über. Vor allem begünstigt das solche Berufsgruppen, die in den stark vergesellschafteten Strukturen Schlüsselpositionen einnehmen oder einem wirtschaftlich unbegrenzt leistungsfähigen Arbeitgeber gegenüber stehen. Am besten stellen sich die, für die beide Voraussetzungen zutreffen. In den zurückliegenden Jahren haben daher vor allem Streiks im Öffentlichen Dienst und ähnlichen Strukturen in der öffentlichen Daseinsvorsorge für Aufsehen gesorgt. Neben der GDL kommen damit Berufsgruppen in eine privilegierte Streikposition, die man traditionell eher nicht einer verarmten Arbeiterschaft zurechnet (Piloten) und solchen, die nicht einmal zur Arbeitnehmerschaft gehören, wie etwa selbständige Ärzte, die aber aus den (vergemeinschafteten) Sozialkassen bezahlt werden. In allen diesen Streikbewegungen, die zum Teil nur noch von kleinen Personengruppen getragen werden, kommt die Schlüsselposition zum Tragen und/oder der Zugriff auf die quasi unerschöpflichen Quellen der öffentlichen Kassen. In diesen Streiks ist auch kein Unternehmer oder Kapitalist der Streikgegner, sondern die Allgemeinheit. Die Bahn ist prototypisch für die Vergesellschaftungstendenzen unter den Bedingungen der Privatisierung, die die Gewichte dieser großen Infrastruktureinrichtungen verschieben von der sozialen Daseinsvorsorge zum reinen Wirtschaftsbetrieb, für den der Staat aber in letzter Konsequenz die finanzielle Haftung übernimmt. Dabei ist es fast gleichgültig, ob es sich (noch) um staatseigene oder rein private systemische Großbetriebe oder Infrastruktureinrichtungen handelt. Mit dem Rückzug des Staates aus seiner politischen Verantwortung für das Gemeinwesen geht das Abschmelzen einer auf dieses Gemeinwesen verpflichteten Beamtenschaft einher. Die Streikbewegungen, die gerade in diesen Bereichen ausbrechen, sind daher vor allem geprägt von dem Schwinden einer sozialer Verantwortung des Einzelnen, die einen Beruf über die unmittelbaren pekuniären Interessen seiner Träger erhebt. Mit der Preisgabe der öffentlichen Kassen an rücksichtslose Verteilungskämpfe partikularer Interessensgruppen erscheint der Staat in einer geradezu erbärmlichen Machtlosigkeit . Einer Berufsgruppe mit einer überschaubaren Personenzahl kann es so gelingen, der gesamten Volkswirtschaft täglich Schäden in 100 facher Millionenhöhe zuzufügen, die politischen Bemühungen um die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene zurückzuwerfen und die Arbeits- und Tagesabläufe von Millionen von Bahnnutzern, die man früher nicht Kunden, sondern Bürger nannte, durcheinanderzuwirbeln, und dennoch beurteilen die Arbeitsgerichte auf der Basis des geltenden Rechts den Streik als verhältnismäßig! Diese Ohnmacht des Staates hätte man früher als partiellen staatlichen Zusammenbruch gewertet. Ein Staat aber, der sich seiner Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit (dem Gemeinwesen) entzieht, ist nicht nur machtlos, sondern für seine Bürger wertlos.
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siehe auch http://peterkoch.twoday.net/stories/problematisches-streikrecht-kita-streiks/