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Samstag, 18. Juli 2015

Das Gröning-Urteil

Am 15. Juli hat das Landgericht Lüneburg den 94 Jahre alten ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren für die Beihilfe an dem Mord an mindestens 300.000 Juden in dem KZ Auschwitz verurteilt. Das Urteil wurde in der Öffentlichkeit mit Genugtuung als ,,gerechtes Urteil” oder ,,späte Gerechtigkeit” aufgenommen. Angesichts des Grauens von Auschwitz kann kein Urteil hart genug sein, um als gerecht empfunden zu werden. Hierin deutet sich bereits an, dass hinter der ,,Gerechtigkeit”, ist diese erst einmal in die Strafjustiz eingeführt, die Rechtsfindung, zu der auch ein juristisch angemessenes Strafmaß gehört, verschwindet. Der pathetisch aufgeladene Begriff der Gerechtigkeit lässt ebenso jeden Rest von Empathie  gegenüber einem gebrechlichen Angeklagten versteinern, dem das Verfahren selbst mit jedem Verhandlungstag sichtbar die letzten Lebenskräfte raubt und der so der  Gefahr ausgesetzt ist,  zum reinen Objekt einer öffentlichen Inszenierung zu werden.  Das Ausmaß des Grauens von Ausschwitz, das sich als Synonym für den Holocaust und damit das Menscheitsverbrechen schlechthin in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat, hat neben der juristischen aber vor allem eine historische Dimension, die Zweifel an einer strafrechtlichen Aufarbeitung des Geschehens aufwirft.

Strafprozess oder politische Inszenierung

De Prozess hätte zur Sachaufklärung nicht zweieinhalb Monate benötigt. Alles was das Gericht von dem Angeklagten weiß, hat es von dem Angeklagten selbst. Gröning hat selbst seine Tätigkeit in Ausschwitz öffentlich gemacht, sich mit seinem Wissen schon in den achtziger Jahren gegen die Holocaust-Leugner gewandt und im ,,Spiegel” und der BBC von den Verbrechen des Vernichtungslagers berichtet. Die Erkenntnisse aus dem jetzigen Verfahrens liegen der deutschen Justiz seit Jahrzehnten vor. Von den zahlreich geladenen Zeugen wussten die Prozessbeteiligten schon vorher, dass sie keine weiteren Einzelheiten zu dem Angeklagten und damit nichts zur Sachaufklärung beitragen konnten. Gegen den Angeklagten hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit dem selben Wissen schon seit 1977 ermittelt, das Verfahren aber 1985 eingestellt. Sowohl die Wiederaufnahme des Verfahrens als auch die Art der öffentlichen Inszenierung gehen daher auf rein politische Entscheidungen zurück.

Nach den Angaben des Angeklagten hatte er sich 1940 freiwillig zur SS gemeldet, für die er aufgrund seiner Banklehre als Buchhalter eingesetzt wurde. Dafür mag der Wunsch einer Elitetruppe anzugehören maßgeblich gewesen sei oder die Aussicht, sich mit dem Bürodienst den Einsatz an der Front zu ersparen. Man weiß es nicht. 1942 wurde er zu einer ,,Sonderaufgabe” nach Auschwitz abkommandiert. Nach seinen Angaben war er dort ebenfalls als Buchalter der ,,Gefangeneneigentumsverwaltung” zugeteilt. Gröning hat aber auch angegeben, dass er von Beginn an erschüttert war von dem, was er dort antraf und Auschwitz ihm Angst gemacht habe. Er habe deshalb insgesamt drei Versetzungsgesuche an die Front gestellt habe, von denen letzterer bewilligt wurde. An Tötungsaktionen wäre er nicht beteiligt gewesen, dennoch trage er moralisch Mitschuld,  bekannte er vor Gericht  ,,in Demut vor den Opfern”. Ob auch juristisch schuldig, sagte er an`s Gericht gewandt, ,,müssen Sie entscheiden.”

Das Verfahren berührt die alte Frage nach der Kollektivschuld

Auf diese Angaben war das Gericht für die Verurteilung angewiesen, da das Verfahren keine weiteren Erkenntnisse erbracht hat. Zum einen konnten dem Angeklagten damit also keine weiteren Tatbeiträge nachgewiesen werden, und zum anderen ist es durchaus möglich, dass alles so stimmt, wie der Angeklagte angab. Nach der ganz gängigen Rechtsprechung zur Strafbarkeit von Beihilfe, erst recht angewandt auf die jahrzehntelange Rechtsprung zu den Naziverbrechen, hätte der Angeklagte nicht verurteilt werden dürfen. Denn danach ist für die Strafbarkeit von Beihilfe ein konkreter Tatbeitrag zur Haupttat nachzuweisen. Das Gericht hat nun den Nachweis individueller Schuld als Voraussetzung für die Strafbarkeit fallen gelassen und die Strafbarkeit wegen Beihilfe zu Mord ausgedehnt auf jede Mitwirkung als ,,kleines Rädchen” in  Auschwitz, ohne die die Tötungsmaschinerie nicht reibungslos hätte funktionieren können. Unter rechtsstaatlichen Grundsätzen ist diese Rechtsprechung bedenklich und höchstrichterlich noch nicht bestätigt.

Zutreffend ist sicherlich, dass ohne die Mitwirkung der vielen kleinen Rädchen die gigantische Tötungsmaschinerie nicht funktioniert hätte. Aber genau das macht die Frage nach der Täterschaft kompliziert und verschränkt die juristische mit historischen Dimension des Phänomens Auschwitz. Und genau hierin liegt auch die politische Crux des Verfahrens. Das Ausmaß des Holocausts als Menschheitsverbrechen schlechthin lässt unschwer erkennen, dass es sich nicht um eine Angelegenheit  im Bereich der ,,normalen” Kriminalität handelt.  Das Tätersubjekt in einem Verbrechen dieser Dimension ist nicht im üblichen Sinne individualisierbar, sondern ist der Staat schlechthin, der sich dabei auf das organisierte Zusammenwirken der gesamten Gesellschaft stützt. Zwar sind auch im staatlichen Auftrag durchgeführte kriminelle Handlungen individualisierbar. In diesen Fällen ist aber die individuelle Schuld wie auch sonst bei der gewöhnlichen Kriminalität nachzuweisen und Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Sanktion. Für das Funktionieren des Systems Auschwitz aber waren viele Umstände verantwortlich, an denen die Deutschen in den unterschiedlichsten Funktionen und an den unterschiedlichsten Stellen mitgewirkt haben , auch fernab und ohne jede direkte Beteiligung an dem eigentlichen Mordgeschehen. Nicht zuletzt gehört dazu der Krieg, auf den die gesamte gesellschaftliche Organisationsstruktur ausgerichtet war und in dessen Schatten sich der Holocaust faktisch in aller Öffentlichkeit abspielte.

Kennzeichnend für den Holocaust in seiner historischen Dimension ist das Zusammenwirken Aller, ohne das der Holocaust überhaupt nicht möglich gewesen wäre, und gleichzeitig die fehlende Subjektqualität im Handeln  des je Einzelnen.  Die geringen Handlungsspielräume des Einzelnen kommen auch juristisch in dem engeren kriminalistischen Sinne zum Tragen. Der Angeklagte Gröning etwa hätte angesichts der Schrecken, die ihm in Auschwitz begegnet sind, nicht einfach zur nächsten Polizeidienststelle laufen können, um den Vorgang anzuzeigen.  Ausgesprochen naiv nimmt sich der Vorhalt des Vorsitzenden Richters Franz Kompisch in der mündlichen Urteilsbegründung aus, der Angeklagte hätte sich an die Front versetzen lassen können, wenn er wirklich gewollt hätte. Als hätte der Angeklagte durch seine Teilnahme am Vernichtungsfeldzug im Osten zum System Auschwitz weniger beigetragen.

Mit der subjektiven Zuordnung des deutschen Volkes in seiner staatlichen Organisationsstruktur als handelndes Subjekt erscheint das Urteil in einem anderen Licht, als in dem der reinen Gerechtigkeit. Das Deutsche Reich ist mit dem verlorenen Krieg auch nach offizieller staatsrechtlicher Doktrin nicht untergegangen, sondern setzt sich im Staat Bundesrepublik Deutschland als staatrechtliches- und Völkerrechtssubjekt fort. Die subjektive Zuordnung als Handlungssubjekt ist damit unabhängig von dem je Einzelnen, den der Zufall in den Dimensionen von Zeit und Ort in die geschichtsmächtigen Vorgänge gleich welcher Art schicksalshaft verstrickt. Der deutsche Staat und das in ihm organisierte deutsche Volk behält seine Subjektqualität über die Lebensdauer der handelnden Einzelnen hinaus. Es ist auch der Staat, der sich die Strafverfolgung und die dazugehörige Rechtsprechung zuordnen lassen muss. Er muss sich daher auch zurechnen lassen, dass die wirklichen Täter im kriminalistischen Sinne, denen ihre Tatbeiträge in der Vernichtungsmaschinerie nachzuweisen gewesen wäre, in dem dafür zur Verfügung stehenden Zeitraum kaum strafrechtlich verfolgt wurden. Zwar hatten diese Täter in den Nachkriegsjahrzehnten nicht mehr die Macht wie unter der Naziherrschaft, aber sie waren oft noch in staatlichen Funktionen tätig und verfügten über mehr oder weniger mächtige Seilschaften. Die Justiz schlägt nunmehr erst zu einem Zeitpunkt unnachgiebig zu, zu dem von den ,,Tätern” (auch wenn dies im strafrechtlichen Sinne wie im Fall Gröning durchaus zweifelhaft ist)  nicht mehr die geringste Gefahr oder Gegenwehr ausgeht. Das ist keine nachholende Gerechtigkeit und macht aus dem Richter Kompisch keinen Helden, wie etwa die Rhein-Neckar-Zeitung kommentiert. Dem  rituellen Charakter des Verfahrens, in dem das Urteil bereits vorher feststand, haftet eher etwas Archaisches an und erinnert an ein sakrales Opferritual, mit dem sich die Gesellschaft von ihrer eigenen nachwirkenden Schuld und Verantwortung erlösen will.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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