Repressive Toleranz
Im Juni dieses Jahres hat der Supreme Court, das Oberste Gericht der USA, mit einer Mehrheit von 5 zu 4 Richtern in einer ,,historischen Entscheidung” die Eheschließung von Homosexuellen für verfassungsgemäß erklärt. Letzte Woche wurde eine für Eheschließungen zuständige Verwaltungschefin eines Landkreises von Kentucky auf Weisung eines obersten Bundesrichters in Beugehaft genommen , da sie sich weigerte, weiterhin Eheschließungen zu registrieren. Die Eheschließungen von homosexuellen Paaren könne sie nicht mit ihren christlichen Überzeugungen vereinbaren . Um dem Vorwurf der Diskriminierung zu entgehen, wurden von ihrem Amt gar keine Eheschließungen mehr registriert.
Kim Davis ist keine weisungsgebundene Standesbeamtin, sondern wurde als ,,county clerk” in das Amt gewählt. Sie kann deshalb auch nicht entlassen werden, sondern nur abgewählt oder ihres Amtes enthoben werden. Da beides aber offenbar aktuell nicht ansteht, drohten ihr bis zu 18 Monaten Beugehaft. Der Freilassung sollte nach der Anordnung des Bundesrichters von einer Meinungsänderung abhängig gemacht werden. Nach einer erneuten gerichtlichen Anhörung wurde sie inzwischen aber ,,unter Auflagen” wieder freigelassen. Nach eigenen Bekunden soll Kim Davis jedoch ihre Überzeugungen nicht aufgegeben haben. Inwieweit dies mit den erteilten Auflagen vereinbar sein wird, bleibt abzuwarten.
In den USA lieferte der Vorfall den konservativen Präsidentschaftsbewerbern ein gefundenes Fressen, gleichzeitig aber auch der ,,liberalen” Öffentlichkeit in Amerika und darüber hinaus auch diesseits des Atlantiks die Gelegenheit, eine Form radikalen Christentums zu verhöhnen. Man muss aber selbst kein Christ sein, um sich verwundert die Augen zu reiben, wenn man in einem westlichen Gemeinwesen, das sich bis dato als christlich, zumindest als christlich geprägt, wahrgenommen und definiert hat, und zudem für Religionsfreiheit steht, für christliche Glaubensüberzeugungen ins Gefängnis kommt.
Der Fall entfaltet aber auch vor dem Hintergrund der Rechtslage in Deutschland auch abseits des weltanschaulich geprägten Wahlkampfgetümmels in den USA eine gewisse Brisanz. Ähnlich wie in den USA haben auch in der Bundesrepublik die ,,obersten Richter” des Bundesverfassungsgerichts die Verfassung in diesem sensiblen Punkt eigenmächtig geändert. Zumindest das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Grundgesetzänderung den besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie beseitigt. Ähnlich wie in den USA unterliegt auch die Bundesrepublik einem von einer herrschenden Elite verordneten Wertewandel, der eine diffuse Werteordnung über geltende Gesetze stellt, und sei es geltendes Verfassungsrecht . Nach der eigenwilligen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt das Festhalten an dem natürlichen Recht der Eltern an ihren leiblichen Kindern und umgekehrt, also dem was das Grundgesetz als Familie unter seinen besonderen Schutz gestellt hat, gegen das Toleranzgebot gegenüber homosexuellen Paaren, die ihren Kinderwunsch nur über den Markt in Form von Leihmutterschaft und das dafür zweckentfremdete Adoptionsrecht erfüllen können. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang vom staatlichen Gleichstellungsauftrag. Die Toleranz schlechthin hat einen überragenden Wert in dieser diffusen Werteordnung. Wenn das Bundesverfassungsgericht die so verstandene Toleranz zu einem Verfassungsgebot erhebt, werden die Anhänger des Grundgesetzes in seinem eben noch geltenden originären Sinngehalt zu Verfassungsfeinden(!) Auch wenn der Meinungsstreit in der Bundesrepublik nicht in den für uns teils befremdlichen Formen des US-Präsidentschaftswahlkampfs stattfindet, nimmt er unvermeidlich die Züge eines quasireligiösen Glaubensstreits an, soweit er sich dabei auf rational nicht hinterfragte absolute Werte wie das Toleranzgebot bezieht. Für die Zwiespältigkeit absoluter Werte ist der Fall Kim Davis instruktiv. Die Beugehaft erscheint dabei als eine an das Mittelalter erinnernde bizarre Form der Verfolgung abweichender Glaubensgrundsätze, aber auch als die unvermeidliche Kehrseite der verordneten Toleranz.