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Dienstag, 18. Oktober 2016

Ferdinand von Schirachs “Terror”– fragwürdige Staatsbürgerkunde in der ARD

Am Montagabend zeigte die ARD den Spielfilm „Terror“ nach einem Theaterstück von Ferdinand von Schirach, in dem ein Major der Bundeswehr wegen Mordes vor Gericht steht, weil er ein gekapertes Passagierflugzeug abgeschossen hat, mit dem Terroristen mutmaßlich einen schrecklichen Terrorangriff durchführen wollten. Über die Schuld des Angeklagten sollte das Publik im Anschluss abstimmen.

Eigentlich hat sich an diesem Fernsehabend Unglaubliches ereignet. Für einen Spielfilm über eine fiktive Gerichtsverhandlung wird das Fernsehpublikum interaktiv als Richter einbezogen, das mit seinem Votum über die Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Art.1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland richten soll. Die sog. Grundwerte der Verfassung, die sonst in der politischen Alltagsrhetorik bis zur Beliebigkeit ins Spiel gebracht werden, werden also offen zur Disposition gestellt. Über die suggestive Wirkung einer ausgeklügelten, vermeintlich realitätsnahen Inszenierung kann man jeden Verfassungsgrundsatz bei einem juristischen Laienpublikum in Zweifel ziehen. Es ist fraglich, ob auf solche Weise die Infragestellung des Verbots der Todesstrafe erlaubt worden wäre. In dem Spielfilm geht es aber um den zentralen Grundsatz unserer Verfassung schlechthin, dem der verfassungsgebende Gesetzgeber Ewigkeitsgarantie verliehen hat, der also auch nicht durch ein Mehrheitsvotum der Volksvertretung eingeschränkt oder abgeschafft werden kann. Ärgerlich an dem Film ist, dass eine staatliche Ermächtigung zum Abschuss von Passagierflugzeugen auf der Basis einer gesicherten Prognoseentscheidung nach Auswertung sachverständiger Stellen durch das Bundesverfassungsgericht realistischerweise  nicht angenommen werden kann. Die moralische Abwägung zwischen  dem Leben der Passagiere und Besatzungsmitglieder auf der einen Seite und den möglichen Opfern eines mutmaßlichen Terrorakts wird sich danach niemals so zugespitzt abspielen, wie in dem Film suggeriert. Für die Abschussentscheidung dürfte die konstruierte Gewissensnot in der Realität von militärtaktischem Kalkül überlagert werden.  Und ärgerlich ist auch, dass die Frage der Bestrafung des (fiktiven) Täters  in dem Film juristisch unzutreffend mit der Frage nach der Ermächtigung des Staates zum vorsätzlichen Töten unschuldiger Menschen aus Gründen der Gefahrenabwehr verknüpft wird, wodurch ein (angepeiltes) Votum der Zuschauer für einen Freispruch die Zustimmung zu einer staatlichen Ermächtigung zum Töten antizipiert. Im wirklichen Leben ist die Angelegenheit juristisch geklärt. Eine Vorschrift des Luftsicherheitsgesetzes, die einen Fall im Sinne hatte, wie er dem Film zugrunde liegt, hat das Bundesverfassungsgericht mit Bezug auf die Menschenwürde für verfassungswidrig erklärt. Welcher Regie folgt hier eigentlich die ARD, nach der sie einen Fernsehabend serviert, der diesen Verfassungsgrundsatz bei dem Publikum wieder in Zweifel zieht?

Der Autor von Schirach ist als erfahrener Anwalt in der Lage, sich die Dramaturgie einer echten Gerichtsverhandlung geschickt zunutze zu machen. Selbst nach einem überzeugenden Plädoyer der Staatsanwaltschaft schöpfen die Angeklagten in der Regel nach dem Plädoyer der Verteidigung wieder Hoffnung, selbst wenn es der Sach- und Rechtslage gar nicht entspricht. Auch nach dem halbwegs überzeugenden Plädoyer der Staatsanwältin in dem Film hat das Verteidigerplädoyer hier die größere Suggestivkraft, weil gerade gewonnen Überzeugungen scheinbar plausibel wieder in Frage gestellt werden. Der Schlagabtausch zwischen den Rechtsvertretern gestaltet sich als ein Disput über das Verfassungsrecht, genauer, ein Disput über Moral gegen geltendes Verfassungsrecht. Und was der fiktive Verteidiger hier publikumswirksam zum Besten gibt, müsste einem eigentlich die Sprache verschlagen. Der Verteidiger empört sich rhetorisch geschickt und von der Regie effektvoll inszeniert, dass sein Mandant, der unter Mordanklage steht, „wegen eines Prinzips“ (gemeint ist die Menschenwürde) verurteilt werden soll.  Wegen nichts, sozusagen. Das hätte die Staatsanwältin gesagt. Nur wegen eines Prinzips also, um dann hinzuzufügen, „Es ist mir gleichgültig, wie das Prinzip genannt wird, meinetwegen Verfassung“. Was dem Zuschauer hier vorgeführt wird, ist Verfassungsfeindlichkeit par excellence. Und wie es die Dramaturgie will, entlässt der Verteidiger die Zuschauer vor Abgabe ihres Votums mit der Mahnung, dass dieses „zweifelhafte Prinzip“ (!) uns gegen die Terroristen wehrlos mache.

„Wir müssen begreifen, dass wir im Krieg sind!“

Das Volk hat das Wort.

Und das Volk hat entschieden: Mit 86,9 % gegen die Verfassung.

 

aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Die Ausweglosigkeit und Unentrinnbarkeit, welche die Lage der als Opfer betroffenen Flugzeuginsassen kennzeichnen, bestehen auch gegenüber denen, die den Abschuss des Luftfahrzeugs anordnen und durchführen. Flugzeugbesatzung und -passagiere können diesem Handeln des Staates auf Grund der von ihnen in keiner Weise beherrschbaren Gegebenheiten nicht ausweichen, sondern sind ihm wehr- und hilflos ausgeliefert mit der Folge, dass sie zusammen mit dem Luftfahrzeug gezielt abgeschossen und infolgedessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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