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Arabischer Fruehling

Samstag, 7. September 2013

Strafkrieg gegen Syrien

Die seit Jahren drohende Militärintervention des Westens in Syrien erzeugt eine zunehmende Frustration. Weit und breit existiert keine Friedensbewegung, die sich den Kriegsdrohungen gegen Syrien entgegenstellt oder gar ernsthaft n dieser Hinsicht etwas ausrichten könnte. Gleiches gilt für die Kriegsdrohungen gegen Iran und all die Kriege, die der Westen inzwischen schon weltweit führt, einschließlich Obamas permanentem Drohnenkrieg gegen Aufstände überall in der Welt, wo er auf eine antiwestliche Opposition stößt. Jedem Beobachter des syrischen Bürgerkriegs ist klar, daß dieser von Anfang internationalisiert war und weitgehend von militärischer, wirtschaftlicher und logistischer Unterstützung ausländischer Kräfte genährt und am Leben erhalten wird.  Die notorische Einmischung des Westens in den Verlauf der Unruhen, die die arabische Welt erschüttern, findet seine Widerspiegelung in dem, was hierzulande über die Medien als öffentlicher Diskurs über den arabischen Frühling inszeniert wird. Wie selbstverständlich werden die politischen Umbrüche, Wahlergebnisse, Militärputsche und andere Ereignisse im Spiegel der jeweils eigenen Interessen diskutiert und daran die Intensität der notwendigen politischen und militärischen Einmischung gemessen, mit der die arabischen Völker ihrer Souveränität über ihre eigene Geschicke beraubt werden - und sei es wegen der fehlenden Kompatibilität von Parteiprogrammen mit den Vorstellungen eines westlichen Lebensstils. Dies lenkt den Blick weg von den Schauplätzen der Unruhen in Arabien auf die Kritik an den politischen Veränderungen in den westlichen Ländern selbst.  Zwischen beiden Polen besteht eine Wechselbeziehung. Die Einmischung in die Umbrüche der arabischen Welt hat einen zunehmenden Verfall des Rechtsbewußtseins zur Folge und signalisiert in bedrohlicher Weise die Aufgabe des herkömmlichen Demokratieverständnisses .

Rückfall in das ausgehende Mittelalter

Der Westfälische Frieden 1648 brachte mit dem Ende des dreißigjährigen Krieges vor allem die Selbstständigkeit der Fürstentümer gegenüber einer als universal verstandenen Herrschaft des Heiligen Römischen Reiches hervor und begründete damit erstmals in der Geschichte das Prinzip staatlicher Souveränität. Ausdruck der staatlichen Souveränität war nach damaligen Verständnis aber auch und vor allem das souveräne Recht jeden Fürstentums, selbständig Kriege zu führen. Das Prinzip der Souveränität machte in der weiteren Geschichte dann  mehrere Wandlungen durch. Vor allem mit der Aufklärung und durch die französische Revolution wurde die staatliche Souveränität als Volkssouveränität verstanden, woraus sich langfristig auch das Prinzip der Nichteinmischung durch ausländische Mächte entwickelte.  Volkssouveränität verschmolz so mit der staatlichen und nationalen  Souveränität. Diese Entwicklung setzte sich fort in der Ausformung des modernen Völkerrechts mit der Gründung der UNO als einer Weltgemeinschaft souveräner Staaten auf der Basis der UN-Charta. Zur Wahrung der staatlichen und nationalen  Souveränität begründet die UN-Charta vor allem das Recht jeden Staates auf territoriale Integrität und das zwingende Verbot der zwischenstaatlichen Gewaltanwendung mit Ausnahme des Rechts auf Selbstverteidigung.

Die unerwartete Wendung der britischen und US-amerikanischen Regierungen, die Entscheidung über Angriffspläne gegen Syrien in die Hände des Parlamentes zu legen, erntete in den westlichen Staaten Zustimmung und Lob. Bundestagspräsident Lammert sprach von einer historischen Korrektur  in der Zuständigkeitsverteilung der Frage über Krieg und Frieden, und begrüßte, daß diese nun ,,in die Hände des Souveräns, also der Parlamente” gelegt wurden. (1) Mit dieser Haltung befinden sich die westlichen Demokratien hinsichtlich des Begriffs staatlicher Souveränität wieder auf dem Niveau des Westfälischen Friedens.

Modifizierung durch den Strafkrieg zum Universalitätsprinzip des Kaiserreichs

Wie der Anspruch der  von den  Päpsten gesalbten Kaiser des Mittelalters, die universellen Werte des Christentums zu vertreten, beansprucht die westliche Staatengemeinschaft,  die vermeintlich uneigennützige Verteidigung universeller Werte jenseits nationaler Interessen und fällt damit völkerrechtlich noch hinter den Westfälischen Frieden zurück. Keine Macht der Welt hat vom Ausgang des 2. Weltkriegs bis heute jedoch in derart großem Umfang Massenvernichtungswaffen eingesetzt wie die USA. Das gehört keineswegs nur der ferneren Vergangenheit an, wie die Atombombenabwürfe in Japan oder der flächendeckende Einsatz von Napalm in Vietnam. Sowohl bei der ,,humanitären Intervention” in Jugoslawien als auch  während des Irakkrieges haben die USA in großem Stil Waffen mit abgereichertem Uran eingesetzt und weitgehend verseuchte Gebiete hinterlassen. Beim Einmarsch in Afghanistan haben die USA sogenannte Sauerstoffbomben als Offensivwaffen eingesetzt, die der Luft den Sauerstoff entzieht und kilometerweit jedem Lebewesen bei lebendigen Leib die Lungen zerreißt.

Selbst wenn man von dieser offensichtlich mangelnden Legitimität absieht, kann die moralisch verbrämte Charakterisierung als Strafkrieg nicht über die machtpolitischen Interessen hinwegtäuschen. Die vermeintliche Uneigennützigkeit kommt überhaupt erst ins Spiel, nachdem jeder mögliche Militäreinsatz gründlich auf die machtpolitischen Interessen des Westens abgeklopft wird. Die Zögerlichkeiten in dem gegenwärtigen Stand der Kriegsvorbereitungen haben daher auch nichts mit Legitimationsproblemen zu tun, sondern ausschließlich mit machtpolitischen Fragen wie dieser, ob es z.B. so klug ist, gegenwärtig in Syrien möglicherweise einer islamistischen Opposition zur Macht zu verhelfen.  Diese Fragen, und nur diese bestimmen die Taktik und Strategie und nicht die ohnehin nicht aufzuklärende Schuldfrage.

Mehrere Szenarien sind möglich

Über die Aufklärung mutmaßlicher Terroranschlägen von Al Qaida hat mal jemand ein Motto formuliert, das sinngemäß auch für die Aufklärung der Schuld an dem Giftgaseinsatz gelten könnte. Danach ist natürlich das  ,,Assad-Regime”schuld, denn alles andere wäre ja reine Spekulation. Der zielgerichtete strategische Einsatz von Giftgas in dem laufende Bürgerkrieg durch die Assad Regierung erscheint,  wie etwa die Russen sagen,  in der Tat jedoch wenig plausibel in einem Moment, in dem die Regierungstruppen militärisch die Oberhand gewinnen und auch noch zeitgleich mit dem Eintreffen von UN-Inspekteuren. Allerdings darf man genauswenig vorbehaltlos einer syrischen Oppositionspartei eine solche Skrupellosigkeit unterstellen, auch wenn die Oppositionskräfte durch die damit provozierte ausländische Intervention militärisch Vorteile erhielten. Denkbar ist auch das Durchknallen einzelner Kommandeure der Regierungstruppen auf einer rangniedrigeren Ebene, also ohne Billigung oder Planung durch die Zentralgewalt, einfach deshalb, weil in einem entfesselten Krieg alles möglich ist.  Zieht man aber dieses Szenario in Betracht, kommen auch andere Varianten ins Spiel . Wenn ersichtlich die direkt beteiligten syrischen Konfliktparteien nicht ohne Nachteile bzw. Verluste bei dem Einsatz davon kommen, ist auch eine Inszenierung von Geheimdiensten ausländischer Akteure  in Betracht zu ziehen. Erstaunlicherweise veröffentlichte die CIA Erkenntnisse, die die Anschuldigungen gegen Assad auf Angaben von Spionen des israelischen Geheimdienstes stützen, die  im verdeckten Einsatz in syrischen Eliteeinheiten tätig sind. (2) Wenn es dem israelischen Geheimdienst (oder anderen)  gelingt, eigene Leute dort unerkannt zu platzieren, sind diese prinzipiell auch in der Lage, als agents provokateurs zu operieren, ggf. im Zusammenwirken mit ahnungslosen Kommandeuren der Regierungstruppen auf  unterer Kommandoebene;  oder aber auch im Verbund mit terroristischen Oppositionsmilizen.  Auffällig war  jedenfalls, daß Israel praktisch ohne Zeitverzögerung über die vermeintlichen Beweise zu verfügen vorgab und am dringlichsten den  bewaffneten Einsatz des Westens forderte. In einem internationalisierten Bürgerkrieg, in dem so viele ausländische Akteure mitwirken und Interessen im Spiel sind, läßt sich die Schuldfrage nicht objektiv durch eine unabhängige Instanz aufklären. Dies gilt ganz besonders für die vermeintlichen Erkenntnisse von Geheimdiensten, aber auch für die UN-Inspektionen, die dazu weder über die Mittel noch die Verfahren verfügt. Als eine Organisation interessegeleiteter souveräner Staaten ist auch die UNO keine überstaatliche unabhängige Instanz.

Der Strafkrieg ist auch und vor allem ein Angriff auf die Fundamente unserer eigenen  Rechtsordnung.

Sämtliche Grundsätze eines modernen, in der Tradition der Aufklärung stehenden Rechtsordnung  werden schon im Ansatz beschädigt, wenn man in der Kategorie eines Strafkrieges auch nur denkt. Es handelt sich um einen fundamentalen Verstoß gegen das Verbot des Angriffskrieges, einer Grundsatznorm der völkerrechtlichen Friedensordnung, von der sich der Westen immer mehr verabschiedet. Aber auch mit unseren eigenen fundamentalsten Rechtsgrundsätzen ist dieses archaische Rechtsverständnis nicht vereinbar. Weder hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch gar die USA oder sonst eine Staatengemeinschaft Strafgewalt über den Rest der Welt. Schon gar nicht, wenn diese selbst auch militärisch in dem Konflikt involviert ist. In dem syrischen Bürgerkrieg werden andauernd internationale Rechtsnormen verletzt. Die Staaten in dem Zusammenschluß der ,,Freunde Syriens”” verstoßen beharrlich mit der Parteinahme für die Aufständischen dagegen. Keine der internationalen am Konflikt beteiligten Akteure kann sich zum Ankläger, Richter und Vollstrecker  in Personalunion aufzuschwingen. Was sich in den Kriegsvorbereitungen gegen Syrien sowie in den vorausgegangen Interventionen des Westens als moralisches Prinzip zu legitimieren versucht, ist nach herkömmlichen Rechtsverständnis reines Banditentum. Wenn Putin sich nicht zum Komplizen dieser internationalen Mafia macht, blockiert er nicht den Sicherheitsrat, wie hierzulande unisono immer behauptet wird. Die Wahrung des internationalen Friedens ist die vornehme Aufgabe und  nach der UN-Charta der ausschließliche Zweck dieser Einrichtung. 

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(1) FAZ 2.9.13

(2) FAZ 29.8.13

Samstag, 26. Mai 2012

Wahlen in Ägypten

 

Nach den vorläufigen Meldungen über die Wahlen des Präsidenten in  Ägypten liegen der Kandidat der Muslimbrüder, Muhammed Mursi, und der “Kandidat der Militärs”, der letzte Ministerpräsident in der Regierung Mubaraks, Ahmed Shafiq, vorne und werden in die Stichwahl gehen. “Warum hassen sie uns so”, zitiert Julia Gerlach in der Frankfurter Rundschau vom 26. Mai eine twitternde ägyptische Aktivistin. Gemeint sind wohl die Wähler. Ein Schlag ins Gesicht der Revolutionäre, konstatiert auch Julia Gerlach, wenn es nach Auszählung aller Stimmen “so schlimm wird wie erwartet.”  Vor allem für die Revolutionäre in den westlichen Staatskanzleien und Redaktionsstuben eine herbe Enttäuschung. Das Volk verrät die Revolution!

Dienstag, 1. Mai 2012

Syrien–Friedensplan mit Tücken

 

Der Annan-Friedensplan

Am 14.4.2012 einigte sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf die Syrien-Resolution 2042. Die Resolution basiert auf dem Sechs-Punkte-Vorschlag des UN-Sondergesandten Kofi Annans, der neben der Einstellung der Kampfhandlungen im Wesentlichen noch neben einigen organisatorischen Fragen die Sicherstellung humanitärer Hilfe, den Zugang zu Inhaftierten, Bewegungsfreiheit für Journalisten sowie die Respektierung der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit beinhaltet.   Die Arabische Liga hat sich auf ihrem 23. Gipfeltreffen in Bagdad dem Friedensplan angeschlossen. Zuvor hatte bereits die syrische Regierung unter Präsident Assad dem Friedensplan zugestimmt.  In der Abschlußerklärung lehnte die Arabische Liga jede ausländische Einmischung in den Syrien Konflikt ab.

Entsprechend dem Friedensplan und der Gipfelerklärung der Arabischen Liga bekräftigt der Sicherheitsrat “sein Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Unversehrtheit Syriens und zu den Zielen und Grundsätzen der Charta.” Unter Ziff. 1 der Resolution fordert der Sicherheitsrat unter anderem “die Einleitung eines umfassenden politischen Dialogs zwischen der syrischen Regierung und dem gesamten Spektrum der syrischen Opposition.” Unter Ziff. 4 “fordert (er) alle Parteien in Syrien, einschließlich der Opposition, auf, jede bewaffnete Gewalt in alle ihren Formen einzustellen.”

Formal handelt es sich bei der Resolution um eine Empfehlung an die Konfliktparteien, den Friedensplan des UN-Sondergesandten unter einem Aufsichtsmechanismus der Vereinten Nationen umzusetzen. Solche Empfehlungen sind völkerrechtlich an die Zustimmung der Konfliktparteien gebunden und enthalten keinen Zwangsmechanismus. Dies unterscheidet die Resolution 2042 von der Libyen-Resolution 1973, die nach Kap. VII der UN-Charta als Zwangsmaßnahme erging.

Oberflächlich gesehen handelt es sich also um die Einleitung eines wirklichen Friedensprozesses auf der Basis des geltenden Völkerrechts. Dieser hatte bereits damit begonnen, daß der Sicherheitsrat in einer (nicht bindenden) Präsidentenerklärung am 21.3.2012 einstimmig auf der Grundlage des Annan-Planes die syrische Regierung aufgefordert hat, sich auf einen Dialog mit der Opposition einzulassen.

 

Die Schwächen des Friedensplans

Ein Schwachpunkt der Präsidentenerklärung wie auch der Resolution 2024 ist jedoch der Umstand, daß sich die maßgeblichen Teile der bewaffneten Opposition  niemals zu einem Dialog mit der Regierung bereit erklärt haben.  Am 9. März hat der Vorsitzende des oppositionellen  Syrischen Nationalrats den UN-Syrienbeauftragten  Kofi Annan einen Tag vor seiner Reise nach Damaskus am 10.3.2012 scharf kritisiert und einen Dialog mit dem Regime entschieden abgelehnt. (1) Am 13. März gab der Syrische Nationalrat eine Erklärung ab, in der es hieß, “Wir fordern ein militärisches Eingreifen der arabischen Staaten und der internationalen Staatengemeinschaft.” (2) Konkret forderte er die Einrichtung von Schutzzonen und einer Flugverbotszone. Am 16. März, wenige Tage vor der Präsidentenerklärung des Sicherheitsrats, stellten die lokalen Koordinationskomitees die landesweiten Demonstrationen unter das Motto für eine ausländische Intervention. (3)

Ein weiterer Schwachpunkt  des Resolutionstextes ist auch, daß er zwar sämtliche Konfliktparteien zur Einhaltung der Waffenruhe auffordert, die Opposition sich aber nicht verbindlich zur Einhaltung einer Waffenruhe verpflichtet hat. Streng genommen lagen damit die Voraussetzungen für dieses Vorgehen des Sicherheitsrats nicht vor, da sich nur eine Konfliktpartei, die syrische Regierung, freiwillig dem Friedensplan verpflichtet hat. Die Resolution des Sicherheitsrats nimmt daher auf die syrische Regierung Bezug mit der Formulierung,  “in Anbetracht dessen, daß die syrische Regierung sich am 25. März 2012 zur Umsetzung des Sechs-Punkte-Vorschlags des Gemeinsamen Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Liga der arabischen Staaten verpflichtet und in ihrer Mitteilung vom 1. April an den Gesandten zugesagt hat, ihren Verpflichtungen umgehend und sichtbar nachzukommen…”

Unter Bezug auf die Opposition heißt es dagegen lediglich etwas verschwommen, “sowie in  Anbetracht dessen, daß die syrische Opposition ausdrücklich zugesagt hat, sich an die Einstellung der Gewalthandlungen zu halten, sofern die Regierung dies ebenfalls tut.” Mit dieser Textpassage mußte  der Sicherheitsrat konzedieren, daß eine verpflichtende Zusage der Opposition eben nicht vorliegt. Fast zwangsläufig folgten hieraus Differenzen in der Interpretation. Während Rußland darin eine Verpflichtung der Opposition erblickt, die mit Beginn der Einhaltung der Zusagen durch die Regierung unmittelbar auf sie übergeht, sieht der Westen, namentlich die amerikanische Außenministerin Clinton,  hier eine umfassende Vorleistungspflicht der Regierung. Faktisch behandeln maßgebliche politische Vertreter der westlichen Staaten nun die Resolution entgegen ihrem tatsächlichen Rechtscharakter wie eine Zwangsmaßnahme gegen die Regierung. So,  wenn etwa Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt,  auf dem Treffen der EU Außenminister am 23. April sagte, die EU verlange die Einhaltung der Waffenruhe ohne Wenn und Aber.  (4) Gemeint ist natürlich die syrische Regierung, die zur Einhaltung der Waffenruhe gezwungen sein soll, egal was die Opposition tut.  Ähnlich äußerte sich die EU-Außenbeauftragte Ashton , die die volle Verwirklichung des Annan-Plans verlangte, nicht nur die Beachtung der Waffenruhe (4)  und damit eine vollständige Vorleistungspflicht der Regierung im Sinne von Frau Clinton. Auf dem Treffen bekräftigten die EU Außenminister zudem am Sicherheitsrat vorbei ihre einseitigen Forderungen mit der Einleitung der inzwischen 14. Sanktionsrunde.

 

Die Opposition ist nicht das Volk

Im Westen herrscht parteiübergreifend der Eindruck vor, die (bewaffnete) Opposition sei mehr oder weniger identisch mit dem Volk und daher per se demokratisch legitimiert. Aus dieser Grundhaltung stößt die Einseitigkeit des Vorgehens gegen die syrische Regierung auf breite Akzeptanz. Dabei müssen aber die tatsächlichen Verhältnisse weitgehend unterschlagen oder grob ignoriert werden. Am 26. 2.2012 fand in Syrien ein Referendum über einen neuen Verfassungsentwurf statt. Die Wahlbeteiligung lag nach Regierungsangaben bei 57,4 Prozent. (Sie lag damit deutlich höher als etwas bei dem Verfassungsreferendum in Ägypten nach der Revolution!)  Die Zustimmung für den Verfassungsentwurf lag bei 89,4 Prozent. Für die amerikanische Außenministerin war das Referendum “ein zynischer Trick” des Regimes, was immer sie damit gemeint hat. Der deutsche Außenminister kommentierte das Referendum so: “Nach der Farce eines Referendums , das mit Demokratie nichts zu tun hat, ist es richtig und wichtig, daß wir in Europa neue und schärfere Sanktionen gegen das Regime in Syrien beschlossen haben.” ?!  (5) 

Peter Scholl-Latour war kurz  zuvor selbst in Damaskus, wo er auch auf Assad traf. Er fasste die Lage in Syrien damals wie folgt zusammen, “Ich habe den Eindruck , daß die Masse der syrischen Bevölkerung Ruhe haben will. Der Mittelstand will keine Zustände  wie im Irak oder in Libyen.” Über die angeblich demokratische Opposition sagte er , “Es ist schon jetzt kein lokaler Konflikt mehr.  Die sogenannten Deserteure der syrischen Armee und die übrigen Aufständischen  erhalten ihre Waffen mit Hilfe Saudi-Arabiens oder der Türkei. Ohne diese Unterstützung wäre der Aufstand schon längst zusammengebrochen.” ( 6) 

 

Den Friedensplan unterlaufen

Das machtpolitische diplomatische Gerangel der westlichen Staaten im Sicherheitsrat und einiger arabischer Länder läßt befürchten, daß es sich bei ihrer Zustimmung zu dem Friedensplan nur um eine weitere taktische Variante handelt, irgendwie über einen (gescheiterten) Friedensplan doch noch eine Interventionsbefugnis zu bekommen. Schon eine Woche nach der Präsidentenerklärung kam Frau Clinton auf dem Treffen der Kontaktgruppe der Freunde Syriens  in Istanbul zu dem Schluß,  daß “das Regime seine Liste der gebrochenen Versprechen immer länger werden läßt” und kündigte für die USA eine schärfere Gangart ein. (7) Alles, was auf diesem Treffen geäußert wurde, läuft den diplomatischen  Friedensbemühungen  der Vereinten Nationen zuwider und läßt an der Ernsthaftigkeit  der westlichen  und einiger arabischer Länder zweifeln.  Die eine Konfliktpartei, vertreten durch den Vorsitzenden des oppositionellen Syrischen Nationalrats, Burhan Ghalioun, die eigentlich ebenso von dem Sicherheitsrat zum Dialog statt zur Waffengewalt aufgefordert wurde, durfte ungehindert erneut die Bewaffnung der Freien Syrischen Armee fordern. Und im Vorfeld erklärte der saudische Außenminister auf einer Pressekonferenz mit Frau Clinton, die Bewaffnung der syrischen Opposition als Pflicht.

In der Folgeresolution 2043 vom 21.4.2012 beschloß der Sicherheitsrat die Entsendung einer Delegation von 300 unbewaffneten Militärbeobachtern nach Syrien für zunächst einen Zeitraum von 90 Tagen. Auch in den Verhandlungen um diese Folgeresolution setzte der Westen seine diplomatischen Bemühungen einstweilen ergebnislos fort, den Charakter des Friedensplans zu verfälschen. Die europäischen Staaten legten einen Entwurf vor, der das Sechs-Punkte-Friedensprogramm in eine umfassende und wieder sanktionsbedrohte Vorleistungspflicht der syrischen Regierung umgedeutet hätte.

Zur Erinnerung: Am 5.2.2012 hat das Doppelveto von Rußland und der VR China den westlichen Resolutionsentwurf verhindert. Der Resolutionsentwurf gab sich hinsichtlich  Sanktionen zwar lammfromm, sah aber entsprechend dem damaligen Plan der Arabischen Liga den Rücktritt des syrischen Präsidenten vor.  Der russische Außenminister  begründete die ablehnende Haltung der russischen Regierung damals auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit den geltenden Prinzipien des Völkerrechts. “Unser Ziel ist es , den internationalen Frieden und die Sicherheit zu wahren.” Dies sei Aufgabe des Sicherheitsrats – und nicht die Einmischung in innere Angelegenheiten. (8)  Die von Rußland als teilweise hysterisch bezeichneten  Reaktionen  auf das Scheitern der Resolution machten dann  überdeutlich, welche wirklichen Absichten der Westen mit der Resolution verfolgt hatte.  Gleich nach dem Veto “haben mehrere westlichen Regierungen deutlich gemacht, sie wollten nun außerhalb der Vereinten Nationen auf den Sturz des syrischen Diktators hinwirken.” , schrieb die FAZ am 6.2.2012,  und in der Ausgabe des gleichen Tags,   “Wütend stürmte Frau Clinton vor die Mikrofone und Kameras” und rief die Freunde eines demokratischen Syriens zur Zusammenarbeit gegen das syrische Regime auf.  Unter der Führung von Frau Clinton setzten einige westliche Länder dann die Kontaktgruppe “der Freunde Syriens” zur Koordinierung der Hilfe für die syrische Opposition ein.

In dem gescheiterten Resolutionsentwurf wurden die militärischen Operationen der syrischen Regierung dargestellt als Angriffe auf friedliche Zivilisten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Rußland kritisierte den Text auch deswegen, weil darin nicht auch die bewaffneten Gruppen verurteilt werden sollten. An dem Märchen von den friedlichen Protesten hält die westliche Propaganda fest ungeachtet, daß auch Al-Qaida Chef Al Zawahiri zur Unterstützung der Revolte in Syrien aufgerufen hat. Interessant ist auch, daß der amerikanische Verteidigungsminister Panetta, der sich bis heute gegen eine bewaffnete Intervention ausspricht, schon im Februar das Einsickern  von Al Qaida Kämpfern in Syrien als besorgniserregend bezeichnet hat. Auch der nationale Geheimdienstkoordinator, James Clapper, bezeichnete es bei einer Anhörung vor dem Streitkräfteausschuß des Senats als “besorgniserregendes Phänomen”. “Wir gehen davon aus, daß Al Qaida aus dem Irak seinen Einfluß auf Syrien ausdehnt.”  Die jüngsten Anschläge wie die Bombenattentate in Aleppo trüge die Handschrift des Terrornetzwerks, zitiert ihn die FAZ v. 18.2.2012.

Immer öfter mischen sich in die Berichte über Syrien Meldungen von getöteten syrischen Soldaten und von Bombenanschlägen in verschiedenen Städten mit Opfern auch unter der Zivilbevölkerung.  Wie zuletzt in den Tagesthemen v. 30. April, die gleich von einer ganzen Anschlagsserie berichtete, nicht ohne aber dabei immer aufs Neue Verschwörungstheorien gegen “das Regime”  zu lancieren. Berichte über die Gewalttätigkeiten des Regimes wurden gar schon suggestiv mit Bildern unterlegt, die in Wahrheit schwerbewaffnete Oppositionelle in Aktion abbildeten. Da der Westen sich schon nicht von seinen eigenen Militär- und Geheimdienstexperten belehren läßt,  muß er sich von dem russischen Außenminister lakonisch warnen lassen vor verbreiteten Vereinfachungen  wie dieser:  “Da ist ein schlimmes Regime und jeden Morgen fährt es in Panzern herum und beginnt auf unschuldige Zivilisten zu schießen” (9)

Währenddessen unterläuft die Kontaktgruppe der Freunde Syriens notorisch den von der UNO eingeleiteten Friedensprozeß.  Am 19. April, gerade also 5 Tage nach Verabschiedung der Sicherheitsresolution 2042, sagte Frau Clinton auf einem weiteren Treffen der Freunde Syriens in Paris ”Wie müssen beginnen, im Sicherheitsrat sehr energisch auf eine Resolution nach Kap VII hinzuarbeiten.” Der mögliche neue französische Präsident Francois Hollande schloß sich ihr an und stellte umgehend eine Militärintervention in Syrien unter UN-Mandat im Falle seiner Wahl in Aussicht. Da dies mit Rußland aussichtslos erscheint, rief der neue Chef des syrischen Militärrats, General Mustafa  Ahmed al Scheich in einem Video einer Oppositionswebsite dazu auf, “die Länder, die dem syrischen Volk nahestehen, eine Allianz zu bilden und auch ohne UN-Mandat wichtige Einrichtungen des Regimes zu bombardieren.” (10 ) Der neue Militärrat ist ein Zusammenschluß der Freien Syrischen Armee und des Hohen Militärrats. Sarkozy, der sich den Empfehlungen des Militärrats anschloß, übertraf seinen Konkurrenten Hollande auf dem Treffen der Freunde Syriens mit der angekündigten Unterstützung der arabischen Staaten, die (militärisch) eingreifen wollen.( 10)

 

Eine andere Lesart des Friedensplans - Julia Gerlach wieder in Partylaune

Tatsächlich ist es den diplomatischen Bemühungen insbesondere Rußlands und dem Friedensplan Kofi Annans gelungen, die Friedensinitiative der Vereinten Nationen wieder auf den Boden des Völkerrechts zurückzuholen. Auf dem diplomatischen Parkett wurde die Luft für die westlichen und arabischen Interventionisten immer dünner. “Kein Wunder””, schreibt daher eine junge Frau namens Julia Gerlach in der Frankfurter Rundschau v. 11.4.2012, nicht untypisch für ein westliches Milieu, das in den Arabischen Frühling gerne seine feministischen Träume projiziert , “ kein Wunder”, schreibt sie also “dass der Plan von vielen Experten heftig kritisiert wurde und die Vereinten Nationen sowie die Arabische Liga von mancher arabischen Zeitung als Waschlappenvereinigungen bezeichnet wurden.” Eine diplomatische Friedensinitiative, die auf die freiwillige Einhaltung einer Waffenruhe beider Konfliktparteien setzt und auf Dialog anstatt bewaffneter Auseinandersetzung, ist allerdings zum Scheitern verurteilt, wenn dabei die eine Seite notorisch zur Gewalt ermuntert und beharrlich aufgerüstet wird. “Die Enttäuschung der Weltgemeinschaft hält sich allerdings in Grenzen”, schreibt Frau Gerlach weiter . Wenn es die Spatzen nicht von den Dächern pfeifen würden, könnte man sie für klug halten, wie sie analysiert, “Es gibt nämlich durchaus eine andere Lesart der Initiative von Kofi Annan… Sie kam zu einer Zeit, wo sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch die Arabische Liga in ihren Verhandlungen über das weitere Vorgehen in Syrien an einem toten Punkt angelangt waren.” Das Scheitern dieser Initiative, so schließt sie messerscharf, könnte der Anti-Assad-Front doch wieder Auftrieb geben. “Es gibt also Hoffnung, dass das Scheitern der Waffenstillstandsinitiative nicht das Ende, sondern vielmehr der Anfang des internationalen Bemühens um eine gerechte Lösung in Syrien markiert. Manchmal ist es eben notwendig, einen Schritt zurückzugehen, bevor man entschieden voranschreiten kann.” Unter entschiedenem Voranschreiten versteht sie, “Das Scheitern des Waffenstillstands muß nun bald schärfere Sanktionen zur Folge haben, die Syrien wirtschaftlich treffen”, und eine “Friedenstruppe” müsse aufgestellt werden. “Es sollte möglichst eine arabische Truppe sein, die von der Arabischen Liga zusammengestellt und vom UN-Sicherheitsrat beauftragt wird. Selten war der Moment so günstig wie jetzt, um solch eine Initiative durchzusetzen.” Die US-Botschafterin Susan Rice hat bereits angekündigt, daß ihre Geduld am Ende sei und niemand davon ausgehen könne, daß die USA einer Verlängerung der UN-Initiative nach Ablauf der 90 Tage zustimmen werde. In Libyen lief bereits alles nach dem Geschmack von Frau Julia Gerlach. Als Gaddafi bestialisch gelyncht wurde , war das für sie “erstmal ein Grund für eine Party” (11) . So ein Scheitern des Waffenstillstands macht Hoffnung. Das nette Mädchen freut sich schon auf die nächste Party.

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(1) FAZ, 10.3.2012              

(2) FAZ, 14.3.2012             

(3) FAZ, 17.3.2012 

(4) FAZ, 24.4.2012

(5) FAZ, 28.2.2012

(6) RNZ, 2.2.2012

(7) FAZ, 2.4.2012

(8) FAZ, 6.2.2012.

(9) FAZ, 20.4.2012

(10) vorstehendes aus FAZ, 20.4.2012

(11)siehe  “Zum Tod Gaddafis”, auf diesem Blog

Samstag, 10. Dezember 2011

Grüne – verantwortungsvoll für den Krieg

 

“Verantwortungsvolle Einmischung”

so zieht Tom Koenigs, grüner Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Resümee aus dem Natokrieg gegen Libyen. In Libyen habe die internationale Gemeinschaft bewiesen, dass der Schutz von Zivilisten vor Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit kein leeres Versprechen ist.“ meint er in einem Gastkommentar in der FR vom 8.11.2011.  Die Schutzverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft rechtfertige die bewaffnete Intervention. Seine “völkerrechtliche” Ableitung des Kriegsgrundes ist so simpel wie brutal. Weil Gaddafi “einen Machtverzicht prinzipiell ablehnte”, habe er “die leiseste Hoffnung auf eine Verhandlungslösung zunichte gemacht”, um die sich die “internationale Staatengemeinschaft” bemüht habe.  Daher sei dann auch der “Regimewechsel” legitimes Kriegsziel gewesen. Nun, damit war die Nato erfolgreich.

 

Die “Ratte Gaddafi” gelyncht – und die Bevölkerung massakriert

Am 20.10.2011 zeigte der Sender Al Arabia eine Betonwand in Sirte mit der Aufschrift, “Dies ist der Platz der verfluchten Ratte Gaddafi – Gott ist groß.” Davor sind zwei Leichen auf den Bildern zu sehen. (t.online.de, AFP und dpa, 20.10.2011) Eine Hinterlassenschaft der Rebellenmilizen in der völlig zerstörten Heimatstadt Gaddafis, nachdem sie von den Natobombern in die Finsternis gebombt wurde “blasted into the Dark Ages” (Wyre Davis in BBC News v. 26.10.2011, www.bbc.co.uk) Im Stadtzentrum wurden mehr als 50 Leichen von Zivilisten, Frauen und Kindern unter den Trümmern eines mehrstöckigen Gebäudes gefunden, das von einem Nato Luftangriff engeebnet wurde. (alarabia.net, AFP 29.10.2011) Mitarbeiter von Human Rights Watch sind am 23.10.2011 in der Nähe eines Hotels auf 53 Leichen gestoßen, die einem mutmaßlichen Massaker  durch die Ex-Rebellen zum Opfer gefallen sind. (nachrichten t.online.de, AFP 24.10.2011) Lt. BBC News vom 26.10.2011 “erschossen mit hinter dem Rücken verbundenen Händen.” Voice of Russia berichtet darüber hinaus von einem Massengrab von 247 Toten, das auf einem Hotelgelände in Sirte von Mitarbeitern von Menschenrechtsorganisationen gefunden wurde. (30.10.2011). Die genannten Online Medien berichteten weiter von Vertreibungen unbewaffneter Zivilisten, ja der Einwohnerschaft ganzer Städte wegen der Loyalität zu Gaddafi.

 

Massenmedien im Dienste der Kriegspropaganda

Diese Meldungen geben nur einen kleinen Ausschnitt aus der Nachrichtenlage nach der Einnahme von Sirte durch die sog. Rebellenmilizen wieder und erst recht über die Greuel des Krieges insgesamt. Da die Greueltaten aber nicht von dem sog. Gaddafi-Regime begangen wurden, versickerte die Blutspur in einem dünnen Nachrichtenrinnsal in den Massenmedien, wonach sich der Übergangsrat um Aufklärung einiger ungeklärter Vorkommnisse bemühe. Die Verbrechen der Nato bleiben ebenso unerwähnt wie die illegale Gefangennahme tausender Personen, von denen übereinstimmend Voice of Russia (24.11) und alarabia.net. (23.11.2011) unter Berufung auf AFP berichteten. Die Informationen entstammen dem UN-Bericht, der Ban Ki-moon zur Vorlage an den Sicherheitsrat übergeben wurde.

Erst mit Verspätung wurden einige Informationen aus dem UN-Bericht dann wenig spektakulär gemeldet und gelangten wenigstens auf die hinteren Seiten einiger Tageszeitungen. Am 30.1.2011 berichtete die RNZ von Folter in den Gefängnissen der Rebellenmilizen und von Verdächtigungen alleine aufgrund der Hautfarbe. Am 1.12.2011 berichtete dann die FAZ recht ausführlich von dem “UN-Bericht zu Rassismus in Libyen” und von siebentausend Schwarzafrikanern, darunter Frauen und Kindern, die seit Gaddafis Sturz ohne Zugang zu Anwälten inhaftiert sind.

 

Den Völkermord verhindert’?

Die Natointervention habe den Völkermord verhindert, meint Tom Koenigs. Warum? Weil Gaddafi die (bewaffneten) Rebellen als Kakerlaken und Ratten beschimpft habe. Das reicht ihm. Ebenso wie dem “linken Philosophen” Bernard Henry Levy, kurz BHL, der “in Libyen zum Feldherrn geworden” ist. (Stefan Ulrich in www.süddeutsche.de, 12.11.2011) und der die Verhinderung des Völkermords sich gleich selbst und seiner Kumpanei mit Sarkozy ans Revers heftet. “Immer die Menschenrechte in seinem Tornister”, “propagiert er die Pflicht der Weltgemeinschaft, diese notfalls gewaltsam zu verteidigen.” (SZ. s.o.)

Dabei waren rassistische Pogrome der Rebellen gegen Schwarzafrikaner früh erkennbar und der Völkermord damit virulent. Aber eben nicht durch das sog. Gaddafi-Regime. Gunnar Heinsohn, Autor des “Lexikons der Völkermorde” (1998) zitierte in der FAZ vom 22.3.2011 den bekannten Journalisten und Dokumentarfilmer Farai Sevenzo aus Zimbabwe, der regelmäßig u.a. für die BBC arbeitet: “Ein türkischer Bauarbeiter sagte zu BBC ´Wir hatten siebzig bis achtzig Leute aus dem Tschad in unserer Firma. Sie wurden mit Baumscheren und Äxten niedergemetzelt und von den Angreifern beschuldigt, für Gaddafi Truppen zu stellen. Auch die Sudanesen wurden massakriert. Wir haben es selbst gesehen.`” Farai Sevenzo kam schon damals, im Februar 2011, zu dem Schluß, “Weil vermutlich Söldner aus dem Tschad und Mali für ihn (Gaddafi) kämpfen, sind eine Million afrikanischer Flüchtlinge und Tausende afrikanischer Wanderarbeiter in Gefahr, ermordet zu werden.” (FAZ, s.o.)

 

Die Nato – internationale Brigade der Weltrevolution

Die grüne Fraktion des Europaparlaments protestierte seinerseits umgehend gegen das Abstimmungsverhalten Deutschlands im Sicherheitsrat. Der prominente grüne Abgeordnete des Europaparlaments, Daniel Cohn Bendit, rief mit Bernard Henry Levy und den sog. antitotalitären Intellektuellen in der “Le Monde”  zur bewaffneten Intervention auf. Als liberalen Gelegenheitspazifismus geißelte Joschka Fischer auf der Lit.Cologne in Köln die Enthaltung der Bundesrepublik, “ein Riesenfehler” und verglich die Lage in Libyen mit der auf dem Balkan. (FAZ, 23.3.2011) Rassistische Pogrome, Folter und illegale Verhaftungen, extralegale Tötungen, über zehntausend Bomben- und Raketenangriffe der Nato und inzwischen auf vierzigtausend geschätzte Kriegstote, die grün-linke Schickeria geht mit einer bemerkenswerten Nonchalance mit dem Krieg um, als handele es sich um eine Montagsdemo. Die Welt mit Waffengewalt zu verbessern,  sei “eigentlich ein linkes Programm”, meinte Fischer auf dem Kölner Literatur Fest, “so wie ich es in meiner linksradikalen Siebziger-Jahre-Zeit gehabt hatte.” (FAZ, s.o.) Und BHL sieht sich “auf den Spuren eines Malraux im Spanischen Bürgerkrieg” (SZ, s.o.) Schon haben die Revolutionäre den nächsten Feind im Visier. “Assad est le prochain sur la liste” (Bernard Henry Levy), “Auch in Syrien wäre ein Eingreifen legitim.” (Tom Koenigs) und in Iran…und … Der Kampf geht weiter!

Montag, 7. November 2011

Zum Tod Gaddafis

Am 21. Oktober 2011 bejubelten die Medien den Tod Gaddafis . “Jubel in Libyen” betitelte die Frankfurter Rundschau ihre Frontseite. Im Leitartikel dieser Seite befasste sich eine Frau Julia Gerlach ebenfalls mit diesem Thema unter der Überschrift “Ein Grund zu feiern.” “Der Tod von Muammar al-Gaddafi ist erst einmal ein Grund für eine Party.” meine sie.

Auch der Leitkommentar der Heidelberger “Rhein-Neckar-Zeitung” desselben Tages feierte den Tod Gaddafis als “Tag der Befreiung”. Damit sei ein “wichtiges Kapitel des arabischen Frühlings abgeschlossen.” Allerdings bestünden noch offene Fragen, von denen die RNZ folgende ins Zentrum rückte: “Wieso wurde er nicht – wie im UN-Mandat vereinbart – vor Gericht gestellt? Zwar wäre ihm, dem Massenmörder”, so der Kommentar weiter, “auch dann das Todesurteil sicher gewesen. Aber das zerstörte Libyen hätte Gelegenheit gehabt, seine jüngere Geschichte aufzuarbeiten.”

Dieser Kommentar gab Anlaß für folgenden Leserbrief an die Redaktion der RNZ:

Befremdlich

Die medialen Freudenschüsse in der westlichen Welt über Gaddafis Tod lassen einen schaudern, deuten die Umstände doch auf einen barbarischen Akt der Lynchjustiz. Solch feinsinnige rechtsstaatliche Distinktionen scheinen im revolutionären Übereifer keine Rolle mehr zu spielen. Nach dem Kommentar von Klaus Welzel (RNZ v. 21.10.2011) hätte Gaddafi nach dem UN-Mandat eigentlich vor Gericht gestellt werden sollen. Aber auch dort wäre ihm ein Todesurteil sicher gewesen, so Welzel. So kommt es also auch schon nicht mehr drauf an. Bestürzend, wie sich hier der Wertewandel in der westlichen Welt offenbart. Das Gericht als Revolutionstribunal, bei dem das Todesurteil schon vorher feststeht! Was spielt es da noch für eine Rolle, dass der Internationale Strafgerichtshof die Todesstrafe gar nicht vorsieht?”

Der Leserbrief – wohl der erste, den ich je geschrieben habe, wurde selbstredend nicht abgedruckt und gab daher einen weiteren Impuls für diesen im Aufbau befindlichen Blog.

Tatsächlich wurde vor Beginn der Natointervention in Libyen Anklage gegen Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof erhoben, und zwar auf Betreiben des Sicherheitsrats. Getragen war die Anklage damit im Wesentlichen von den Interventionsmächten selbst. Der Luftkrieg  der Nato war immer auch eine gezielte Jagd auf Gaddafi und – in einer Variante der Sippenhaft – auf seine Familie. Am 26.4.2011 meldete dieselbe Zeitung  (RNZ) beispielsweise: “Mit neuen Luftangriffen auf Tripolis hat die Nato Gebäude einer Residenz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi in Schutt und Asche gelegt. Dabei wurden nach offiziellen libyschen  Angaben 15 Menschen schwer verletzt.” Am 2.5.2011 wurde bei einem gezielten Luftangriff der Nato auf ein Haus in Tripolis  der Sohn Saif al-Arab al Gaddafi getötet, ein an der Politik nicht beteiligter Mensch, der angeblich in München ein Jetsetleben führte. Klaus Welzel, der schon zitierte Kommentator der RNZ kommentierte schon damals unter dem Titel “Der tote Sohn” , “Es hieße Krokodilstränen  weinen, würde man in besonderer Erschütterung den Tod von Gaddafis Sohn betrauern.” (RNZ v. 2.5.2011)  Die Rhein-Neckar-Zeitung zitierte in der gleichen Ausgabe sinnigerweise die Äußerungen des US-Senatsabgeordneten Lindsay Graham, der laut RNZ der britischen Zeitung “The Economists”  gegenüber geäußert hat, “Geht nach Tripolis, beginnt Gaddafis engeren Zirkel zu bombardieren,” und weiter,  “Ich denke, es sollte im Mittelpunkt stehen, der Schlange den Kopf abzuschlagen. Das ist der schnellste Weg, diese Sache zu beenden.” (RNZ v. 2.5.2011) Die Nato hat jetzt auch sehr schnell zugegeben, daß sie auch den Konvoi bombardiert hatte, in dem sich Gaddafi befand und aus dem heraus er gefangen und sodann gelyncht wurde. Die Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof war wie im Falle Jugoslawiens von Beginn an Teil der strategischen Kriegsführung. Die Kriege des Westens nehmen mehr und mehr die Form einer gnadenlosen Menschenjagd an, und die Aggressoren bedienen sich dabei ihrer Weltjustiz mit dem Ziel, die Bewegungsfreiheit des Gegners einzuengen und vor allem, um in der Weltöffentlichkeit eine Vorverurteilung herbeizuführen.

Es verwundert daher wenig, wenn in diesem Klima einer verfallenden Rechtskultur ein mittelmäßiger Kommentator einer regionalen Tageszeitung die allgemeine Verrohung schon so weit verinnerlicht hat, daß für ihn die Justiz schon gar nicht mehr der Klärung einer evtl. Schuldfrage dient, sondern alleine der “Aufarbeitung der Geschichte” in einem Verfahren gegen einen bereits vorverurteilten Angeklagten. “Der schnelle Tod des Hauptfeindes”, meint er im Hinblick auf diese verpasste Gelegenheit, “zeigt eben auch, wie weit das Land nach Jahrzehnten der Tyrannei von einem Rechtsstaat entfernt bleibt.” Der kritische Leser aber sollte sich fragen, wie weit wir uns im Westen von dem Rechtsstaat bereits verabschiedet haben.

Dieser Beitrag wurde von de vorherigen Blog übernommen.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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