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Rechtspolitik

Donnerstag, 1. September 2016

Heiko Maas macht Gerichtssäle zu Showbühnen

Sieht man im Rechtsstaat eine tragende Säule unserer Verfassung, hat Justizminister Heiko Maas kein allzu inniges Verhältnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Zum wiederholten Male nutzt er seine Stellung als Justizminister, um an dieser Säule zu sägen. Sein neuestes Produkt ist sein Gesetzentwurf, mit dem das Verbot von Film- und Fernsehübertragungen in Gerichtssälen gelockert werden soll. Eine unabhängige Justiz ist der wesentliche Garant des Rechtsstaats. Unabhängigkeit bedeutet, dass sie nur an Recht und Gesetz gebunden und keinen sonstigen Einflüssen unterworfen ist. Das bedeutet nicht, dass die Justiz im Geheimen arbeitet. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit, die mit wenigen Ausnahmen (etwa für Jugendgerichts- oder familienrechtliche Verfahren) gilt, hat dabei eine wichtige Kontrollfunktion. Aber die Öffentlichkeit ist eben bereits gesetzlich garantiert. Mindestens ebenso wichtig ist jedoch die Kontrollfunktion der Justiz gegenüber der Politik . Werden aus den Gerichtssälen jedoch Showbühnen gemacht, hat dies mit der Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsprinzips nichts mehr zu tun. Stattdessen gerät die Justiz in die Abhängigkeit der Medien. Zu Recht stößt daher die Fernsehübertragung aus den obersten Gerichten auf die Skepsis von Bundesrichtern. Die mediale Berichterstattung sei im Rechtssinne nur mittelbare Öffentlichkeit. Auch sei ein Mehrwert an Information durch die Übertragung von Entscheidungsverkündungen bislang nicht erkennbar, wird der scheidende Präsident des Bundessozialgerichts Peter Masuch anlässlich des Festakts zu seiner Verabschiedung am gestrigen 31. August auf der Webseite des Gerichts wiedergegeben. Justizminister Maas hat mit der Vorlage des Gesetzentwurfs gleichzeitig versichert, aus den Gerichtssälen keine Showbühnen zu machen. Warum aber dann der Gesetzentwurf? Die mittelbare Medienöffentlichkeit stärkt nicht die Informationswert, sondern den Einfluss der Medien. Neben der Öffentlichkeit im Gerichtssaal, in der auch heute schon Medienvertreter anwesend sein können, werden alle Urteile der Bundesgerichte und Obergerichte veröffentlicht. Nach Presseberichten begründet das Justizministerium den Gesetzentwurf mit dem Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln, der das Verbot (von Fernsehübertragungen und audiovisuellen Aufzeichnungen) nicht mehr tragbar erscheinen lässt. Warum? Die modernen Kommunikationsmittel ermöglichen schon jetzt den sekundenschnellen Zugriff auf alle veröffentlichten Urteile über das Internet. Hat sich denn nach Auffassung des Justizministers die Justiz nach den Bedürfnissen der großen Medienanstalten zu richten? Die Meinungsbildungsprozesse, die über die großen Medienanstalten gesteuert werden, folgen anderen Gesetzen als die fachlich orientierte Meinungsbildung an den Gerichten. Liveübertragungen von Prozessen und Urteilsverkündigungen mit Kommentierung in Echtzeit gehen über die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit weit hinaus. Sie unterwerfen die Justiz einem Anpassungsdruck an die veröffentlichte Meinung. Vor allem erweitern sie damit die Macht der großen Medienanstalten, die über die Mechanismen der Meinungsbildungsprozesse direkten politischen Einfluss auf das Geschehen in der Justiz erlangen.

siehe auch http://peterkoch.twoday.net/stories/alarm-strafverfahren-als-tv-spektakel/

Samstag, 18. Juli 2015

Das Gröning-Urteil

Am 15. Juli hat das Landgericht Lüneburg den 94 Jahre alten ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren für die Beihilfe an dem Mord an mindestens 300.000 Juden in dem KZ Auschwitz verurteilt. Das Urteil wurde in der Öffentlichkeit mit Genugtuung als ,,gerechtes Urteil” oder ,,späte Gerechtigkeit” aufgenommen. Angesichts des Grauens von Auschwitz kann kein Urteil hart genug sein, um als gerecht empfunden zu werden. Hierin deutet sich bereits an, dass hinter der ,,Gerechtigkeit”, ist diese erst einmal in die Strafjustiz eingeführt, die Rechtsfindung, zu der auch ein juristisch angemessenes Strafmaß gehört, verschwindet. Der pathetisch aufgeladene Begriff der Gerechtigkeit lässt ebenso jeden Rest von Empathie  gegenüber einem gebrechlichen Angeklagten versteinern, dem das Verfahren selbst mit jedem Verhandlungstag sichtbar die letzten Lebenskräfte raubt und der so der  Gefahr ausgesetzt ist,  zum reinen Objekt einer öffentlichen Inszenierung zu werden.  Das Ausmaß des Grauens von Ausschwitz, das sich als Synonym für den Holocaust und damit das Menscheitsverbrechen schlechthin in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat, hat neben der juristischen aber vor allem eine historische Dimension, die Zweifel an einer strafrechtlichen Aufarbeitung des Geschehens aufwirft.

Strafprozess oder politische Inszenierung

De Prozess hätte zur Sachaufklärung nicht zweieinhalb Monate benötigt. Alles was das Gericht von dem Angeklagten weiß, hat es von dem Angeklagten selbst. Gröning hat selbst seine Tätigkeit in Ausschwitz öffentlich gemacht, sich mit seinem Wissen schon in den achtziger Jahren gegen die Holocaust-Leugner gewandt und im ,,Spiegel” und der BBC von den Verbrechen des Vernichtungslagers berichtet. Die Erkenntnisse aus dem jetzigen Verfahrens liegen der deutschen Justiz seit Jahrzehnten vor. Von den zahlreich geladenen Zeugen wussten die Prozessbeteiligten schon vorher, dass sie keine weiteren Einzelheiten zu dem Angeklagten und damit nichts zur Sachaufklärung beitragen konnten. Gegen den Angeklagten hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit dem selben Wissen schon seit 1977 ermittelt, das Verfahren aber 1985 eingestellt. Sowohl die Wiederaufnahme des Verfahrens als auch die Art der öffentlichen Inszenierung gehen daher auf rein politische Entscheidungen zurück.

Nach den Angaben des Angeklagten hatte er sich 1940 freiwillig zur SS gemeldet, für die er aufgrund seiner Banklehre als Buchhalter eingesetzt wurde. Dafür mag der Wunsch einer Elitetruppe anzugehören maßgeblich gewesen sei oder die Aussicht, sich mit dem Bürodienst den Einsatz an der Front zu ersparen. Man weiß es nicht. 1942 wurde er zu einer ,,Sonderaufgabe” nach Auschwitz abkommandiert. Nach seinen Angaben war er dort ebenfalls als Buchalter der ,,Gefangeneneigentumsverwaltung” zugeteilt. Gröning hat aber auch angegeben, dass er von Beginn an erschüttert war von dem, was er dort antraf und Auschwitz ihm Angst gemacht habe. Er habe deshalb insgesamt drei Versetzungsgesuche an die Front gestellt habe, von denen letzterer bewilligt wurde. An Tötungsaktionen wäre er nicht beteiligt gewesen, dennoch trage er moralisch Mitschuld,  bekannte er vor Gericht  ,,in Demut vor den Opfern”. Ob auch juristisch schuldig, sagte er an`s Gericht gewandt, ,,müssen Sie entscheiden.”

Das Verfahren berührt die alte Frage nach der Kollektivschuld

Auf diese Angaben war das Gericht für die Verurteilung angewiesen, da das Verfahren keine weiteren Erkenntnisse erbracht hat. Zum einen konnten dem Angeklagten damit also keine weiteren Tatbeiträge nachgewiesen werden, und zum anderen ist es durchaus möglich, dass alles so stimmt, wie der Angeklagte angab. Nach der ganz gängigen Rechtsprechung zur Strafbarkeit von Beihilfe, erst recht angewandt auf die jahrzehntelange Rechtsprung zu den Naziverbrechen, hätte der Angeklagte nicht verurteilt werden dürfen. Denn danach ist für die Strafbarkeit von Beihilfe ein konkreter Tatbeitrag zur Haupttat nachzuweisen. Das Gericht hat nun den Nachweis individueller Schuld als Voraussetzung für die Strafbarkeit fallen gelassen und die Strafbarkeit wegen Beihilfe zu Mord ausgedehnt auf jede Mitwirkung als ,,kleines Rädchen” in  Auschwitz, ohne die die Tötungsmaschinerie nicht reibungslos hätte funktionieren können. Unter rechtsstaatlichen Grundsätzen ist diese Rechtsprechung bedenklich und höchstrichterlich noch nicht bestätigt.

Zutreffend ist sicherlich, dass ohne die Mitwirkung der vielen kleinen Rädchen die gigantische Tötungsmaschinerie nicht funktioniert hätte. Aber genau das macht die Frage nach der Täterschaft kompliziert und verschränkt die juristische mit historischen Dimension des Phänomens Auschwitz. Und genau hierin liegt auch die politische Crux des Verfahrens. Das Ausmaß des Holocausts als Menschheitsverbrechen schlechthin lässt unschwer erkennen, dass es sich nicht um eine Angelegenheit  im Bereich der ,,normalen” Kriminalität handelt.  Das Tätersubjekt in einem Verbrechen dieser Dimension ist nicht im üblichen Sinne individualisierbar, sondern ist der Staat schlechthin, der sich dabei auf das organisierte Zusammenwirken der gesamten Gesellschaft stützt. Zwar sind auch im staatlichen Auftrag durchgeführte kriminelle Handlungen individualisierbar. In diesen Fällen ist aber die individuelle Schuld wie auch sonst bei der gewöhnlichen Kriminalität nachzuweisen und Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Sanktion. Für das Funktionieren des Systems Auschwitz aber waren viele Umstände verantwortlich, an denen die Deutschen in den unterschiedlichsten Funktionen und an den unterschiedlichsten Stellen mitgewirkt haben , auch fernab und ohne jede direkte Beteiligung an dem eigentlichen Mordgeschehen. Nicht zuletzt gehört dazu der Krieg, auf den die gesamte gesellschaftliche Organisationsstruktur ausgerichtet war und in dessen Schatten sich der Holocaust faktisch in aller Öffentlichkeit abspielte.

Kennzeichnend für den Holocaust in seiner historischen Dimension ist das Zusammenwirken Aller, ohne das der Holocaust überhaupt nicht möglich gewesen wäre, und gleichzeitig die fehlende Subjektqualität im Handeln  des je Einzelnen.  Die geringen Handlungsspielräume des Einzelnen kommen auch juristisch in dem engeren kriminalistischen Sinne zum Tragen. Der Angeklagte Gröning etwa hätte angesichts der Schrecken, die ihm in Auschwitz begegnet sind, nicht einfach zur nächsten Polizeidienststelle laufen können, um den Vorgang anzuzeigen.  Ausgesprochen naiv nimmt sich der Vorhalt des Vorsitzenden Richters Franz Kompisch in der mündlichen Urteilsbegründung aus, der Angeklagte hätte sich an die Front versetzen lassen können, wenn er wirklich gewollt hätte. Als hätte der Angeklagte durch seine Teilnahme am Vernichtungsfeldzug im Osten zum System Auschwitz weniger beigetragen.

Mit der subjektiven Zuordnung des deutschen Volkes in seiner staatlichen Organisationsstruktur als handelndes Subjekt erscheint das Urteil in einem anderen Licht, als in dem der reinen Gerechtigkeit. Das Deutsche Reich ist mit dem verlorenen Krieg auch nach offizieller staatsrechtlicher Doktrin nicht untergegangen, sondern setzt sich im Staat Bundesrepublik Deutschland als staatrechtliches- und Völkerrechtssubjekt fort. Die subjektive Zuordnung als Handlungssubjekt ist damit unabhängig von dem je Einzelnen, den der Zufall in den Dimensionen von Zeit und Ort in die geschichtsmächtigen Vorgänge gleich welcher Art schicksalshaft verstrickt. Der deutsche Staat und das in ihm organisierte deutsche Volk behält seine Subjektqualität über die Lebensdauer der handelnden Einzelnen hinaus. Es ist auch der Staat, der sich die Strafverfolgung und die dazugehörige Rechtsprechung zuordnen lassen muss. Er muss sich daher auch zurechnen lassen, dass die wirklichen Täter im kriminalistischen Sinne, denen ihre Tatbeiträge in der Vernichtungsmaschinerie nachzuweisen gewesen wäre, in dem dafür zur Verfügung stehenden Zeitraum kaum strafrechtlich verfolgt wurden. Zwar hatten diese Täter in den Nachkriegsjahrzehnten nicht mehr die Macht wie unter der Naziherrschaft, aber sie waren oft noch in staatlichen Funktionen tätig und verfügten über mehr oder weniger mächtige Seilschaften. Die Justiz schlägt nunmehr erst zu einem Zeitpunkt unnachgiebig zu, zu dem von den ,,Tätern” (auch wenn dies im strafrechtlichen Sinne wie im Fall Gröning durchaus zweifelhaft ist)  nicht mehr die geringste Gefahr oder Gegenwehr ausgeht. Das ist keine nachholende Gerechtigkeit und macht aus dem Richter Kompisch keinen Helden, wie etwa die Rhein-Neckar-Zeitung kommentiert. Dem  rituellen Charakter des Verfahrens, in dem das Urteil bereits vorher feststand, haftet eher etwas Archaisches an und erinnert an ein sakrales Opferritual, mit dem sich die Gesellschaft von ihrer eigenen nachwirkenden Schuld und Verantwortung erlösen will.

Mittwoch, 22. Oktober 2014

Die ganze Härte des Rechtsstaats (Heiko Maas) - Verschärfung der Antiterrorgesetze

Am 24. September hat der UN-Sicherheitsrat eine Resolution verabschiedet, die alle Länder anhält, ,,Bewegungen von Terroristen oder terroristischen Gruppen zu verhindern.” (sog. Terrortourismus) In Politik und juristischer Wissenschaft gab und gibt es eine verbreitete Auffassung, daß die Bundesrepublik mit ihren Gesetzen hierfür ausreichend gerüstet ist. Gleichwohl hat gestern Innenminister Heiko Maas (SPD) in Abstimmung mit dem Innenminister Thomas de Maizière (CDU) seine Pläne zur  weiteren Verschärfung der Antiterrorgesetze vorgestellt. Danach soll u.a. künftig strafbar sein, wer Deutschland verläßt, um sich an schweren Gewalttaten im Ausland zu beteiligen oder sich dafür ausbilden zu lassen. Verdächtigten soll notfalls der Personalausweis entzogen werden können.

Die neuere Verschärfung knüpft an die  2002  erfolgte Einführung der Strafbarkeit der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung  nach § 129b StGB an und die 2009 in einer verfassungsrechtlichen Grauzone eingeführten Strafbarkeit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a StGB. Mit den geplanten Gesetzen wird damit eine weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Stadium der Deliktsvorbereitung vorgenommen. ( hier: das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland)

Kai Ambos, Strafrechtsprofessor und Richter am Oberlandesgericht, hat in der FAZ v. 2.10.2014 die Resolution des UN-Sicherheitsrats wegen schwerer rechtsstaatlicher Bedenken kritisiert, vor allem wegen der mehrheitlich autoritären Ausrichtung der UN-Mitgliedstaaten. Grundsätzlich sei die Bekämpfung des Terrortourismus zwar zu begrüßen, die Resolution des Sicherheitsrats verzichtet aber auf eine Definition des Terrorismus. Damit überlasse es die Resolution den Staaten, die Personen als terroristisch zu qualifizieren, die unter die Maßnahmen fallen sollen. Zudem verlangt die Resolution zwar einen begründeten Verdacht. Wie aber, fragt Kai Ambos, soll ein begründeter Verdacht festgestellt werden bei Handlungen, die die terroristische Absicht noch nicht manifestieren, ohne daß die präventivpolizeilichen Maßnahmen zwangsläufig zu einer ,,stereotypischen Diskriminierung” führen? Kai Ambos betrachtet daher die Resolution als Einladung an  ,,autoritäre Staaten, ihre Gegner zu bekämpfen.”

Was aber, so muß man wiederum Kai Ambos fragen, unterscheidet eigentlich die rechtliche Problematik dieser Resolution in den autoritären Staaten von der in Rechtsstaaten? Die Fragwürdigkeit dieser rechtlichen Vorgaben, insbesondere mit der angesprochenen weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der vorbereitenden Alltagshandlungen (z.B. Urlaubsreise in die Türkei) kann nicht davon abhängen, wie der Staat sich selbst definiert oder aus westlicher Sicht definiert wird. Aber genau dieses Vorverständnis scheint den westlichen Rechtsstaaten jede Hemmschwelle in der präventivpolizeilichen Terrorismusbekämpfung zu nehmen. Thomas Strobel, stellvertretender Vorsitzende der Unionsfraktion (CDU) meint dazu gar,  ,,Wir müssen das Strafrecht und besonders die Strafprozessordnung einem Islamisten-TÜV unterziehen.”  (1) Deutlicher kann sich die ,,stereotypische Diskriminierung”, die Kai Ambos befürchtet, und die Verlagerung der Strafverfolgung in ein Gesinnungsstrafrecht nicht manifestieren.

Kai Ambos befürchtet in seiner Kritik an der UN-Resolution völlig zu Recht die ,,Instrumentalisierung des Terrorismusbegriffs”. Aber dieses Problem beschränkt sich nicht auf die autoritären Mitgliedstaaten. Eben diese Instrumentalisierung der Terrorismusbekämpfung ist in der Bundesrepublik in vollem Gang,  vor allem mit der opportunen Anpassung des Terrorismusbegriffs an die jeweiligen politischen Interessen in der zunehmend kriegerisch werdende Außenpolitik. Terrorist ist immer der Feind.

Noch im Februar dieses Jahres hat das OLG Stuttgart Funktionäre der PKK wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach § 129b StGB verurteilt und bei der Strafzumessung u.a. berücksichtigt, dass es sich bei der PKK um eine besonders gefährliche terroristische Vereinigung handelt. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, daß Zweck und Tätigkeit der PKK unter anderem die Begehung von Anschlägen wie Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) sind. Und vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung denkt Volker Kauder, Fraktionschef der Union, laut darüber nach, der PKK Waffen zu liefern! Dieser Sinneswandel ist augenscheinlich durch nichts zu begründen außer, daß die PKK inzwischen als die Infanterie der USA und des Westens fungiert, so wie islamistische Milizen in Syrien und Libyen bis vor kurzem noch die Bodentruppen des Westens im Krieg gegen Gaddafi und Assad stellten.

Noch schlimmer käme es, wenn sich die weitergehenden Vorschläge der CDU durchsetzten, vor allem mit der Strafbarkeit der sog. Sympathiewerbung für Terrorvereinigungen. Abgesehen davon, daß sich Volker Kauder danach bereits in höchsten Maße strafbar gemacht hätte, wäre diese Verschärfung mit einem weitgehenden Eingriff in die Meinungsfreiheit verbunden. Die Qualifizierung der Hamas als Terrorvereinigung zum Beispiel würde nicht lange auf sich warten lassen,  und damit wäre auch die Meinungsäußerung zum Palästinakonflikt unter Strafvorbehalt gestellt.

Die Instrumentalisierung des Strafrechts zu politischen Zwecken (politische Justiz) wird nicht durch den Rechtsstaat geheiligt, sondern ist eine Gefahr für den Rechtsstaat. Die Drohung mit der ,,ganzen Härte des Rechtsstaats”, mit der Heiko Maas seine Gesetzespläne vorstellte, ist ein Warnsignal.

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(1) FAZ, 26.9.2014

Freitag, 31. Mai 2013

Das Bundesverfassungsgericht und die postmoderne Familie II

Vorbemerkung

Dieser Beitrag ist Teil einer Serie von Artikeln, die sich mit verschiedenen Aspekten des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften vom 19.2.2013 (1) befassen. Der vorausgehende Beitrag,  Teil I dieser Serie,  befasst sich sich mit der Problematik einer verfassungsändernden Verfassungsrechtsprechung.  Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit den Konsequenzen auf den Grundrechtsschutz, den die Entscheidung weit über die Gestaltung der Rechtsverhältnisse gleichgeschlechtlicher Partnerschaften hinaus hat.

 

II. Eingriff in das Elterngrundrecht  und die Rechte des Kindes durch das Bundesverfassungsgericht

 

Das Urteil wird weitgehend verstanden als ein Beitrag zum Abbau der Diskriminierung von Homosexuellen, indem es gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften verfassungsrechtlich einen Gleichstellungsanspruch auf Elternschaft einräumt. Die Ausweitung des verfassungsrechtlichen Elternbegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare berührt aber zugleich auch das Verhältnis von rein rechtlicher zu leiblicher Elternschaft, wobei letztere  mit der Entscheidung ihren bisherigen unbedingten Grundrechtsschutz verliert. Das Urteil geht an keiner Stelle auf Inhalt und Reichweite des privilegierten Ehe- und Familienschutzes nach Art. 6 GG ein. Faktisch wird aber die wertentscheidende Grundsatznorm mit der Einebnung der Ehe und der begrifflichen Ausdehnung der Familie aufgegeben. Das Bemerkenswerte an dem Verfassungsgerichtsurteil ist daher , daß es den Grundrechtsschutz nicht stärkt oder erweitert, wie das etwa mit der Einführung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der Fall war, sondern daß erstmals durch das Verfassungsgericht selbst  folgenschwer in ein bestehenden Grundrechtsschutz vor allem in dem Verhältnis von Eltern und Kindern eingegriffen wird.

1. Der Grundrechtsschutz aus Art. 6 II 1 GG

Maßgeblich für den Grundrechtsschutz der Eltern-Kind Beziehung ist Art. 6 II 1 GG, in dem es heißt, ,,Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern.” Aus dieser Vorschrift folgt sowohl das Elterngrundrecht wie das subjektive Gewährleistungsrecht des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung. Sowohl die herrschende Meinung wie die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgerten aus der Formulierung eines natürlichen Rechts, daß dieses ein dem Staat vorgegebenes Recht ist, das weder von ihm verliehen wird noch sonst wie zu seiner Disposition steht und dessen Träger diejenigen sind, die dem Kind das Leben geben. (2)

Nach diesem Verständnis bestimmt sich auch das Verhältnis von Staat und Familie. Die Familie, und insbesondere die Kernfamilie von Eltern und ihren Kindern, ist nach traditionellem Verständnis der geschützte private Bereich schlechthin, in den der Staat nur in in extremen Ausnahmefällen, etwa bei eklatanter Kindeswohlgefährdung, eingreifen darf. Diese Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht mit der Adoptionsentscheidung aufgehoben und damit das Verhältnis von Staat und Familie  neu bestimmt. Vor allem  fallen nun dem Staat entscheidende Eingriffsbefugnisse in die Familie und die hoheitliche Gestaltungsbefugnisse in den privatesten Lebensverhältnissen der Menschen zu.

2. Die fragwürdige Neuinterpretation des Art. 6 II 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht

Die Neuinterpretation stützt das Bundesverfassungsgericht auf einen Kunstgriff. Weil Art. 6 II,1 GG von Eltern spricht und nicht von Mutter und Vater, sei der verfassungsrechtliche Elternbegriff grundsätzlich geschlechtsneutral und das Grundgesetz offen für gleichgeschlechtliche Elternschaft. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte  können diese Auslegung rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht räumt in dem Urteil selbst ein, daß zum Entstehungszeitpunkt des Grundgesetzes die Erstreckung des Elternbegriffs auf gleichgeschlechtliche Elternpaare, ,,schlicht außerhalb es damaligen Vorstellungshorizonts “ des historischen Verfassungsgebers lag. Damit konnte wegen der Selbstverständlichkeit des Elternbegriffs  auch nur die verschiedengeschlechtliche Elternschaft gemeint sein.  Auch wenn sich die Einstellung gegenüber Homosexuellen seither zu Recht gewandelt hat, folgt daraus weder verfassungsrechtlich noch nach der Verkehrsauffassung die Aufgabe des komplementären Elternbegriffs.

Mit der verfassungsändernden Rechtsprechung greift das Bundesverfassungsgericht eigenmächtig in die Grundlagen einer gewachsenen (und im übrigen verfassungsrechtlich geschützten) Rechtskultur ein, die es alleine auf einen geänderten Zeitgeist stützt. Zwischen der Aufgabe des komplementären Elternbegriffs und der Einstellung zur Homosexualität besteht aber kein direkter Zusammenhang. In Frankreich hat die Einführung des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare zu einer mächtigen Gegenbewegung geführt unter der Losung ,,ein Kind braucht eine Mama und einen Papa”, die sich nicht per se gegen Homosexuelle, sondern gegen die  institutionelle Aufhebung der traditionellen Familie richtet. Der Kulturkampf in dem mitteleuropäischen Land Frankreich zeigt zudem, wie unzuverlässig die Berufung auf den vermeintlichen Zeitgeist ist, wenn es um einen verfassungsrechtlich geforderten gesellschaftlichen Konsens für eine Verfassungsänderung geht.

3.  Der Staat schützt nicht mehr die Familie, er gründet sie

Die entscheidende rechtspolitische Konsequenz der Änderung des verfassungsrechtlichen Elternbegriffs liegt vor  allem in dem Verlust des Schutzes der auf Abstammung beruhenden Eltern-Kind Beziehung.  Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt das Elterngrundrecht in dem Urteil noch zu Recht mit der Kindeswohlfunktion und begründet dies mit dem ,,Gedanken, daß in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution.”  Das Urteil erinnert auch noch zutreffend an ,, die von der Verfassung vorausgesetzte – spezifische elterliche Hinwendung zu Kindern.” Umso erstaunlicher dann, daß die Verfassungsrichter  nunmehr den Schluß daraus ziehen: ,,Für die Schutzbedürftigkeit dieses zum Wohl des Kindes  gewährten Elternrechts gegenüber dem Staat macht es keinen Unterschied, ob die Eltern gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind.”

Dies bedeutet aber mit anderen Worten: Es macht keinen Unterschied, ob es die eigenen Eltern sind oder fremde Personen!

Im Sinne der dieser Rechtsprechung ist das Elternrecht dem Staat damit nicht mehr als anzuerkennendes Recht vorgegeben, sondern wird vom Staat zugeteilt. ,,Sofern das einfache Recht die rechtliche Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Partner begründet, sind diese auch im verfassungsrechtlichen Sinne als Eltern anzusehen.” Mit dieser grundsätzlichen Feststellung hat das Bundesverfassungsgericht das Elternrecht von der natürlichen Abstammung abgekoppelt. Elterliche Hinwendung und das Kindeswohl folgen dann der staatlichen Zuweisungsentscheidung wie bei der Erteilung einer Baugenehmigung oder der Fahrerlaubnis. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich damit nicht mehr auf den institutionelle Schutzgewähr für die Familie, sondern ihm fallen die letztendlichen Gestaltungsbefugnisse zu. Diese in dem Urteil aufgestellten Grundsätze sind allgemeiner Natur und wirken sich aus auf die Regelung der Rechtsverhältnisse der Familie im Allgemeinen und damit weit über die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil auch bereits weitgehend die Kriterien für die staatliche Zuweisung der Elternrolle entwickelt, was Gegenstand eines weiteren Beitrags sein wird.

Das Elterngrundrecht verliert damit seinen spezifischen grundrechtlichen  Schutz als natürliches Recht und seine Bedeutung als unveräußerliches Menschenrecht. Das gilt auch für das subjektive Gewährleistungsrecht des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung, das  nun nicht mehr auf die eigenen Eltern gerichtet ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil die Grundrechte aus Art. 6 II 1 GG soweit uminterpretiert, daß sie dem – verfassungsrechtlich allerdings keineswegs gebotenen – Gleichstellungsanspruch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften untergeordnet werden können. Damit ist zunächst als unmittelbare Folgewirkung der Mißbrauch des Adoptionsrechts zur Herstellung des vermeintlichen Gleichstellungsauftrags nach Art. 3 I GG freigegeben. Mit den Folgen des Urteils  für das Adoptionsrecht und das Recht der Reproduktionsmedizin  beschäftigen sich die folgende Beiträge.

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(1)  http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20130219_1bvl000111.html

(2) Beschluß d. Bundesverfassungsgerichts v. 9.4.2003, BVerfGE 108, 82

Mittwoch, 22. Mai 2013

Das Bundesverfassungsgericht und die postmoderne Familie I

 

Vorbemerkung

Mit Urteil v. 19.2.2013  hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Sukzessivadoption nach § 7 Abs. 9 Lebenspartnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften für verfassungswidrig erklärt und damit der völligen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe den Weg bereitet. (1) Faktisch bedeutet diese Einebnung der Ehe politische die  Abkehr vom traditionellen Familienbild im Sinne eines feministischen Familienverständnisses  und verfassungsrechtlich die  Aufgabe des grundrechtlichen  Ehe- und Familienschutzes.  Die nachfolgenden Beiträge befassen sich in loser Folge mit den verschiedenen Aspekten der äußerst komplexen Urteilswirkungen auf die Rechtskultur und die weiteren rechtspolitischen Entwicklungen dieser Entscheidung  weit über die rechtliche Gestaltung der Lebenspartnerschaften hinaus.  Die Themen rechen von der Problematik einer verfassungsändernden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und deren Auswirkungen auf die Balance eines gewaltenteiligen Machtgefüges  bis zu den Eingriffen in den Grundrechtsschutz für die leibliche Eltern-Kind Beziehung und die daraus vor allem resultierende Schwächung der Rechtsstellung des leiblichen Vaters in der Reproduktion.

 

Die feministische Politik gibt ein unergründliches Rätsel auf, wenn sie die Einebnung der Ehe betreibt, obwohl diese die einzige Rechtseinrichtung unseres Kulturkreises bildet, in der von jeher die Frauenquote strikt eingehalten wird. (Prof. Dr. Josef Isensee, in der Neuen Juristischen Wochenschrift 93, 2583 (2585))

 

I. Verfassungsändernde Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht

 

1. Die Stellung  des Bundesverfassungsgerichts im demokratischen Machtgefüge

In dem System der Gewaltenteilung nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Sonderstellung ein. Die formal unabhängigen Gewalten der Legislative, Exekutive und Judikative unterliegen den bekannten Interdependenzen. Der Staat wird von der unabhängigen Justiz auf die Einhaltung seiner eigenen Gesetze kontrolliert, aber nach den rechtlichen Vorgaben der gesetzgebenden Gewalt. In diesem Kreislauf hat der Wähler über die Wahl der Gesetzgebungsorgane das letzte Wort. Das Bundesverfassungsgericht ist in diesem Machtgefüge einerseits Teil der unabhängigen Justiz und wird wie ein Gericht nur tätig, wenn es angerufen wird. Wo kein Kläger, da kein Richter. Von einem Gericht unterscheidet es sich aber dadurch, daß seine Rechtsprechung unmittelbar Gesetzeskraft erlangt. Es vereinigt in sich daher Elemente sowohl der judikativen wie der legislativen Gewalt. Damit verbleibt beim Bundesverfassungsgericht ein Moment, das sich jeder demokratischen und richterlichen Kontrolle entzieht. Diese  für die Demokratie untypische Machtkonzentration ist durchaus ambivalenter Natur. Die Unabhängigkeit auch des Verfassungsgerichts ist unabdingbar für seine Funktionieren als Kontrollorgan  über die Einhaltung der Verfassung durch sämtliche staatliche Gewalten.  Die andere Seite des Funktionierens liegt aber ausschließlich in einer unbedingt einzuhaltenden selbstauferlegten Beschränkung auf diese Kontrollfunktion.  Von außen kann diese Selbstbeschränkung der eigenen Macht durch kein anderes Verfassungsorgan erzwungen werden.

2. Neuartige  Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich als Hüter der Verfassung  bewährt und damit ein nahezu selbstverständliches Vertrauen in die Integrität seiner Richter und die Autorität seiner Institution erworben.  In der Frage einer möglichen Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung ist die öffentliche Aufmerksamkeit aber noch weitgehend an den Erfahrungen der Weimarer Republik ausgerichtet  Noch kaum in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten sind die Herausforderungen für die Verfassung und die Verfassungsgerichtsbarkeit  durch neuere gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungstendenzen. Und dies, obwohl schon von maßgeblichen politischen Akteuren die Geltung des Grundgesetzes als Ordnungsrahmen für unsere Gesellschaft im Ganzen in Frage gestellt werden. Verantwortlich sind die rasanten gesellschaftliche Veränderungen, die allgemein unter dem Stichwort der Globalisierung zusammengefasst werden und worunter namentlich auch die zunehmende europäische Integration fällt. Nicht zuletzt die Finanzkrise hat mit ihren Herausforderungen an die staatlichen Krisenbewältigung schon an dem Bestand nationalstaatlicher Souveränität in der Haushaltspolitik gerüttelt. Begleitet werden diese Entwicklungstendenzen sowohl von einem ständigen technologischen Fortschritt , insbesondere in der Digitalisierung und gewandelten gesellschaftlichen Lebensformen. Damit wachsen die Herausforderungen für das Bundesverfassungsgericht, die Verfassung zunehmend kreativ auf die neuen Bedingungen anzuwenden. Ein Beispiel für die Fortschreibung der Verfassung ist das von dem Verfassungsgericht eingeführte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Gleichzeitig verschwimmen allerdings auch die Unterschiede zwischen Auslegung der Verfassung, einer  kreativen verfassungskonformen Fortschreibung des Rechts, und einer verfassungsändernden Rechtsprechung.

3. Das Adoptionsurteil des Bundesverfassungsgerichts als Zäsur

In diesem Zusammenhang hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften die Bedeutung einer Zäsur. Mit ihm werden die Grenzen der Anpassung der Verfassung an geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen überschritten.  Nach allgemeinem Verständnis hat das Bundesverfassungsgericht mit diesem  Urteil den entscheidenden Schritt zur vollkommenen Gleichstellung der heterosexuellen Ehe mit der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft vollzogen.  Das ist mit der geltenden Verfassung und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 GG nicht vereinbar.

Art. 6 GG stellt im Sinne einer wertentscheidenden Grundsatznorm Ehe und Familie unter besonderen Schutz.  Mit Beschluß v. 4.10.1993 hat die 3.  Kammer des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden,

,,Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Ehe nach Art. 6 I GG die Vereinigung von Mann und Frau ist. (es folgen zahlreiche Nachweise). Daraus folgt, daß aus dieser Grundrechtsnorm  ein Recht auf Eingehung  einer Ehe mit einem gleichgeschlechtlichen Partner nicht hergeleitet werden kann.” (2)

Im der 54. Auflage des Palandt von 1995, dem maßgebliche Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, scheibt der langjährig verantwortliche Bearbeiter für das Familienrecht und inzwischen emeritierte Rechtsprofessor Diederichsen  unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

,,Familie und Ehe sind die wichtigsten Grundlagen des Gemeinschaftslebens. Auf ihnen bauen sich Gemeinde und Staat auf. Sie stehen deshalb unter dem besonderen Schutz des Staates… Das BGB enthält keine Begriffsbestimmung von Ehe und Familie. Unter Ehe ist aber in Anknüpfung an die christlich-abendländische Tradition nur die rechtliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau zu verstehen, so daß gleichgeschlechtliche Paare kein Recht auf Eheschließung haben. Eine Korrektur dieser Grundvorstellung  kann nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung erfolgen, sondern müßte in einem Staat mit Gewaltenteilung dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, bei dem wegen GG 6 verfassungsändernde Mehrheit erforderlich ist.” (3)

Parlamentarische Vorstöße für eine entsprechende Verfassungsänderung wurden seinerzeit von der Gemeinsamen Verfassungskommission, die ihre Arbeit am 1.7.1993 abgeschlossen hatte, abgelehnt.

 

4.  Die Brisanz des Urteils liegt nicht in der Gleichbehandlung von Homosexuellen, sondern in den  Eingriffen in das Elterngrundrecht und die  grundrechtlich geschützten Rechtspositionen von Kindern.

Das Bundesverfassungsgericht greift in dem Urteil den schon länger in seiner Rechtsprechung eingeführten Gesichtspunkt des fehlenden Abstandsgebots auf. Danach enthält der besondere Ehe- und Familienschutz des Art. 6 GG nicht das Gebot, andere Lebensgemeinschaft schlechter zu stellen. Das ist im Grundsatz richtig und nachvollziehbar, denn die Träger der Grundrechte aus Art. 6 GG verlieren nichts dadurch, daß bestimmte Privilegien auf andere Lebensformen ausgeweitet werden. Dies wäre etwa der Fall bei der Ausdehnung der steuer- und erbrechtlichen Privilegien auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.

In dem Urteil geht es jedoch nicht um die  Ausweitung des besonderen Ehe- und Familienschutzes, sondern um die Einebnung der Ehe und damit  faktisch um die Beseitigung der verfassungsrechtlichen  Institutsgarantie,  wofür die vermeintliche Gleichbehandlung von Homosexuellen gleichsam nur den Vorwand liefert. Die Gleichstellung mit anderen Lebensgemeinschaften erfolgt denn auch bereits in der Praxis mit der durch das Urteil politisch erneut angestoßenen Einschmelzung oder  Abschaffung  des Ehegattensplittings.

Im Zentrum der Adoptionsentscheidung steht jedoch die Ausweitung des Elternbegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare. Die damit einhergehende Änderung des verfassungsrechtlichen Elternbegriffs betrifft den Wesenskern der Familie selbst und  führt zwangsläufig zu substantiellen Eingriffen in den  Schutz der auf Abstammung beruhende Eltern-Kind Beziehung und damit in bisher bestehende Grundrechte für Eltern und Kinder. Darauf geht der Folgebeitrag ein.

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(1) http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20130219_1bvl000111.html

(2) BVerfG 1. Sen. 3. Ka NJW 93, 3058

(3) Palandt, 54. Aufl. 1995, Einl. 1 zu Viertes Buch, Familienrecht

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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