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Montag, 14. November 2016

Die schäumende Wut der Eliten

zu den Präsidentschaftswahlen in den USA

Als Kandidat für das Präsidentenamt hatte Angela Merkel Obama noch düpiert, als sie einen Wahlkampfauftritt vor dem Brandenburger Tor verhinderte, so dass besorgte Stimmen mahnend darauf verweisen mussten, vielleicht könnte sie es ja mit ihm noch zu tun bekommen. Als überzeugte Transatlantikerin setzte Merkel aber auf John Mc Cain, unter dessen republikanischem Vorgänger George W. Bush das transatlantische Bündnis vor allem wegen des Irakkrieges Risse bekam. Das „alte Europa“ (Rumsfeld) sollte nach Merkels Vorstellungen wieder fest an der Seite der USA stehen. Inzwischen haben sich die Fronten verkehrt. Die Schockwellen, die die Wahl Donald Trumps jetzt auslösten, lässt das alte Europa in Sorge um die Bündnistreue erzittern. Die besorgte Frage lautet nicht mehr, steht Europa noch zu den USA, sondern stehen die USA noch zu dem westlichen Bündnis, so in der Afghanistan Mission der Allianz „Resolute Support“, für die der US-amerikanische Kommandeur der Natotruppen gerade noch die aktuelle militärische Präsenz bis in das Jahr 2020 zugesichert hat, und vor allem in der Konfrontation mit Russland, nach der Sprachregelung des alten Europas „mit Putin“. Der Ukraine Konflikt und der Syrienkrieg sind die gefährlichsten Brandherde für den Weltfrieden. Der Kandidat hatte nicht nur eine Aussöhnung mit Russland angekündigt, ein militärisches Vorgehen der USA gegen Assad in Syrien ausgeschlossen und die Berechtigung der Nato in Frage gestellt, sondern auch noch allen Ländern gute Beziehungen angeboten, die mit den USA gute Beziehungen haben wollen. In Brüssel reagierte man sofort mit der Lancierung der Idee einer europäischen Armee. Der deutsche Außenminister, der den Kandidaten als „Hassprediger“ beleidigt hatte und dem Wahlsieger die Gratulation verweigerte, hat sich prompt für den Posten des Bundespräsidenten disqualifiziert. Und nassforsch stellte die Kanzlerin dem neuen US-Präsidenten Bedingungen (!) für die weitere Zusammenarbeit auf der Basis von Werten. „Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Haltung.“ Merkel sagt das so, als seien diese Benimm-Regeln aus dem Handbuch einer Frauenbeauftragten die Konstante westlicher Bündnispolitik und nicht die Blutspur von Vietnam bis Afghanistan. Der Satz mag in die Geschichte eingehen als Ausdruck von Realitätsverlust und Selbstüberschätzung einer in dieser Hinsicht vorbelasteten Regierungschefin. Nichts an diesem Satz ist neu oder originell. Gleichwohl bringt er auf plakative Weise den Bewusstseinszustand der heute herrschenden Eliten zum Ausdruck und erhält sein politisches Gewicht, in dem er, von einer deutschen Regierungschefin ausgesprochen, den Repräsentanten der USA wie ein ungezogenes Kind aussehen lassen soll. Das wertebasierte Verständnis einer Militärallianz (Ursula von der Leyen) knüpft insofern an die Rolle Angela Merkels an, in die sie sich mit der Flüchtlingspolitik begeben hat, als Werte per se grenzenlose Geltung beanspruchen. Die Universalität des moralischen Geltungsanspruchs verschmilzt mit dem universellen Geltungsanspruch der weltweit operierenden Militärallianz. Merkel bedient sich der Wirkung des Satzes, um die Nichtanerkennung irgendwelcher von Menschen gezogener Grenzen demonstrativ als verlässliche Konstante ihrer Politik zu behaupten, deren höherwertige Geltungskraft mindestens ideell auch über der Souveränität der amerikanischen Wählerentscheidung steht. Die Fokussierung auf Werte als Grundlage staatlichen Handelns und zwischenstaatlicher Beziehungen überwindet auch intern die Grenzen zwischen Recht und Moral. Die von Merkel verwendeten und der Sphäre des Rechts entlehnten Termini streifen in diesem Kontext ihre Verbindlichkeit ab, die dem Recht innewohnt. Mit Respekt vor dem Recht in dem Merkel-Zitat ist nicht etwa das Recht in den internationalen Beziehungen gemeint, (was ja keine schlechte Grundlage wäre für die Zusammenarbeit von Staaten) und das zum Beispiel den Angriffskrieg verbietet, sondern der Respekt vor dem völlig unbestimmten und frei definierbarem Recht und der Würde des Menschen, das ein jederzeitiges Eingreifen moralisch herausfordert und legitimiert. Und Merkels Einforderung von Demokratie als Bedingung für die Zusammenarbeit mit dem demokratisch gewählten Präsidenten wäre reine Tautologie, wenn Demokratie als Regierungsform und nicht als Wert begriffen wird, gegen den nach dem Verständnis der sog. Eliten diesseits und jenseits des Atlantiks das Wahlvolk schon mit seiner Wahlentscheidung verstoßen kann. Wurden vor nicht allzu langer Zeit deswegen noch sog. bunte Revolutionen in Drittstaaten geschürt wie die grüne Revolution in Iran nach der Wahl Ahmadineschads oder der „Aufstand der Zivilgesellschaft“ in der Türkei gegen die demokratisch gewählte Regierung Erdogan, richtet sich der Stachel der Kritik nun auch gegen das Wahlvolk im Inneren des westlichen Bündnisses selbst. (Ungarn, Polen, die Brexit-Entscheidung und nun Trump) Die Frankfurter Rundschau hat schon am Tag nach der Wahl zum „Widerstand“(!) gegen den gewählten Präsidenten aufgerufen. Junge Demonstranten in den USA randalieren und skandieren „You are not my President“ oder protestieren gegen den „Hassprediger“ mit Parolen wie „Trump, wie hate you“. Das ist der Nachwuchs der sog. Eliten, die man früher einfach Kinder der Bourgeoisie genannt hätte, und die sich von nichts und niemandem ihr Wahlergebnis vorschreiben lassen wollen. Eliten werden sie nur von sich selbst genannt. Schon hieraus spricht eine grenzenlose Verachtung für das „Volk“. Linksintellektuelle haben für die Trumpwähler den Begriff der „Deplorables“, die Verachtungswürdigen, in den akademischen Diskurs eingeführt. Noam Chomsky, ein renommierter Linguistik Professor einer privaten „Elite-Universität“ und linkes Idol aus dem Ostküstenestablishment hat zu den Gründen für das Wahldesaster ausgeführt. „Nahezu die Hälfte der (US-amerikanischen) Bevölkerung geht etwa davon aus, dass die Erde erst einige tausend Jahre alt ist und dass der Klimawandel kein Problem darstellt, weil Jesus Christus in den kommenden Jahrzehnten zurückkehren wird.“ (in einem Interview für die Rhein-Neckar-Zeitung vom 12.11.2016) Diese Aussage ist leider fern jeder Ironie. Da mit ihr die „weiße Arbeiterklasse“ (Chomsky) und nicht etwa alle Muslime über einen Kamm geschoren werden, konnte sie unbeanstandet veröffentlicht werden, ohne gegen irgendeinen Wertekodex zu verstoßen.

Samstag, 29. Oktober 2016

„Demo für Alle“ - Trennung von Staat und Sexualität!

Demonstrationen gegen und für den Hessischen Lehrplan zur Sexualerziehung

Die Trennung von Staat und Religion gilt als eine der segensreichsten Errungenschaften der Aufklärung. Religion ist Privatsache. Warum eigentlich? Religion ist vor allem ein soziales Phänomen. Sie stiftet ein Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Weise, wie das kein Parteiprogramm oder ein Interessenverband je zu leisten vermag. Sie legt sich wie eine zweite kulturelle Haut über ein soziales Gemeinwesen und schafft kollektive Identitäten. Religion ist damit per se eine öffentliche Sache. Davon zeugen noch die sonntäglichen Kirchenglocken auch in der säkularen Gesellschaft. Sie läuten für alle vernehmlich den Feiertag ein, den die Gemeinschaft auf irgendeine Weise kollektiv begeht. Das Gemeinschaftserlebnis dringt noch durch bis zum sonntäglichen Spaziergang im Stadtpark, und wenn sich die Gläubigen um den Pfarrer versammeln, dann geht es auch nicht um die satzungsgemäße Entlastung des Kassenwarts eines Tierzüchtervereins. Das Bekenntnis zur Religion ist über den Glauben hinaus immer auch ein Bekenntnis zur Gemeinschaft. Wie sehr die Religion als öffentliche Angelegenheit im Bewusstsein verankert ist, kann man den einleitenden Worten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland entnehmen, in dem sich das deutsche Volk zur Verantwortung vor Gott und den Menschen bekennt. Die Verbannung der Religion in die Privatsphäre sollte dann eigentlich auch eine redaktionelle Änderung der Präambel des Grundgesetzes verlangen, eingedenk des Umstands, dass die Deutschen den Errungenschaften der Aufklärung über Jahrhunderte hinterherhinken. Sie hat aber auch etwas heimtückisch Heuchlerisches, vor allem wenn die Verbannung im Gewand der religiösen Toleranz daherkommt. Ist sie, die Religion, erst einmal in das Private eingehegt, verliert sie augenblicklich ihre gemeinschaftsstiftende Funktion und damit den Kern ihrer sozialen und kulturellen Bedeutung. Ginge es um den Tierschutz, spräche man von einer nicht artgerechten Haltung. Das Verschwinden der Religion aus dem öffentlichen Raum hat sehr viel zu tun mit dem Zerfall kollektiver Bande und der Auflösung von Gemeinwesen.

Die Leerheit des öffentlichen Raums, aus dem das Gemeinschaftliche aller Art in die unverbindliche Privatheit entschwunden ist, führt zu einer der merkwürdigsten Umkehrungen in den neueren Entwicklungen. Dem Rückzug des Öffentlichen in die Privatsphäre folgt der staatliche Zugriff auf das Private. Es hat etwas von einem unfreiwilligen Sprachwitz, dass diese Entwicklung ebenfalls mit dem Begriff Aufklärung verknüpft ist, wenngleich dabei niemand an die Philosophie des 18. Jahrhunderts denkt. Die Unverbindlichkeit der Religion als Privatangelegenheit hat den verbindlichen Religionsunterricht aus den Klassenzimmern verdrängt. Das Vakuum des öffentliche Raums, aus dem sich der Staat zurückgezogen hat, wird aufgefüllt mit der privatesten aller denkbaren Angelegenheiten - der Sexualität, über die der Staat jetzt seine umfassende Allmacht beansprucht. Die Religion als Vermittler von Werten wurde nicht einmal von der Aufklärung in Frage gestellt. Dass nun ausgerechnet die sexuelle Aufklärung in den Schulen zum Träger der Wertevermittlung wird, gehört dagegen nicht zum Erbe der Aufklärung. Sexuelle Aufklärung ist hier nicht als „Wissensvermittlung“ zu verstehen, wie der umstrittene Hessische Lehrplan hierzu feststellt, sondern Sexualerziehung als wertegebundener fächerübergreifender Erziehungsauftrag der Schule, womit der obrigkeitsstaatliche Charakter dieser Einmischung in die Privatangelegenheiten der Menschen festgeschrieben ist. Die Lehrkräfte sollen sich “als Aufklärer begreifen”, “die den Auftrag haben, den Schülerinnen und Schülern das Thema Sexualität …. im Rahmen der Werteordnung des Grundgesetzes nahezubringen.” Nach dem Grundgesetz stehen Ehe und Familie unter besonderem staatlichem Schutz. Verfassungsrechtlich bedeutet dies nicht nur eine funktionelle Bestandsgarantie, sondern auch eine Grenzziehung, die die Privatsphäre vor staatlicher Einmischung schützt. Sexualität ist Privatsache! Die Art des partnerschaftlichen Zusammenlebens auch. Kurz gesagt, dies geht den Staat nichts an. Und die Erziehung der Kinder ist Sache der Eltern. Dies gilt im Besonderen für solche Angelegenheiten, die nicht in die öffentliche Sphäre übergreifen und daher der ureigenen Privatsphäre angehören, vornehmlich also die Sexualität. Der Hessische Lehrplan zur Sexualerziehung reduziert die erziehungsberechtigten Eltern aber auf die Rolle als machtlose Zuschauer. Sie sind von den Inhalten der Sexualerziehung zu informieren. Sonst nichts. Für Schüler pfeift die Verbindlichkeit durch den Text wie der Peitschenhieb eines Bierkutschers. „Sexualerziehung ist für alle Schülerinnen und Schuler verbindlich und nicht an die Zustimmung der Eltern gebunden“(!) Im Zentrum steht der Angriff auf den traditionellen Schutzraum der Privatsphäre, die grundgesetzlich geschützten Familie. „Gegenstand der Sexualerziehung in Schulen soll die Vermittlung von Wissen über die Existenz unterschiedlicher Partnerschaftsformen und Verständnisse von Familie, sexuellen Orientierungen und geschlechtlicher Orientierungen und deren Akzeptanz sein.“ Die Sexualerziehung ist nach Altersstufen gegliedert. „unterschiedliche Familiensituationen (z.B. Patchworkfamilien, Alleinerziehende, Pflegefamilien, gleichgeschlechtliche Partnerschaften)“ Verbindlich! - für die fächerübergreifende Bearbeitung in der Altersstufe der 6 - 10 Jährigen. „Rolle der Frau, Rolle des Mannes - früher und heute“. Verbindlich! - für die Altersstufe der 10 - 12 Jährigen. „Unterschiedliche sexuelle Orientierungen und gleichgeschlechtliche Identitäten. “ Verbindlich! - für die Altersgruppe der 10-12 Jährigen. Das geht so weiter bis in die höheren Altersstufen. „Die verpflichtende Teilnahme am Unterricht gilt ebenfalls für ältere Schülerinnen und Schüler und ist nicht an deren Zustimmung gebunden.“ Verpflichtend z.B. für diese Altersgruppe „Geschlechtsspezifisches Rollenverhalten“. Institutionen im schulischen Umfeld können in die Konzeptentwicklung einbezogen werden. Außerunterrichtliche Angebote gehören zum festen Bestandteil des Schullebens. Sexualerziehung total. Was der Text des Hessischen Lehrplans zur Sexualerziehung als Vermittlung der Werteordnung des Grundgesetzes ausgibt, hat mit dem Grundgesetz nichts zu tun. Das Grundgesetz schützt die Familie und die Privatsphäre vor staatlichem Eingriff. Dieses verfassungsrechtliche Abwehrrecht kann man als Wert bezeichnen, der sich einfügt in eine von der Aufklärung geprägten Gesellschaftsordnung, die auf der Trennung von Öffentlichem und Privatem beruht. Das Grundgesetz begründet keinen Erziehungsstaat.

Dienstag, 18. Oktober 2016

Ferdinand von Schirachs “Terror”– fragwürdige Staatsbürgerkunde in der ARD

Am Montagabend zeigte die ARD den Spielfilm „Terror“ nach einem Theaterstück von Ferdinand von Schirach, in dem ein Major der Bundeswehr wegen Mordes vor Gericht steht, weil er ein gekapertes Passagierflugzeug abgeschossen hat, mit dem Terroristen mutmaßlich einen schrecklichen Terrorangriff durchführen wollten. Über die Schuld des Angeklagten sollte das Publik im Anschluss abstimmen.

Eigentlich hat sich an diesem Fernsehabend Unglaubliches ereignet. Für einen Spielfilm über eine fiktive Gerichtsverhandlung wird das Fernsehpublikum interaktiv als Richter einbezogen, das mit seinem Votum über die Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Art.1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland richten soll. Die sog. Grundwerte der Verfassung, die sonst in der politischen Alltagsrhetorik bis zur Beliebigkeit ins Spiel gebracht werden, werden also offen zur Disposition gestellt. Über die suggestive Wirkung einer ausgeklügelten, vermeintlich realitätsnahen Inszenierung kann man jeden Verfassungsgrundsatz bei einem juristischen Laienpublikum in Zweifel ziehen. Es ist fraglich, ob auf solche Weise die Infragestellung des Verbots der Todesstrafe erlaubt worden wäre. In dem Spielfilm geht es aber um den zentralen Grundsatz unserer Verfassung schlechthin, dem der verfassungsgebende Gesetzgeber Ewigkeitsgarantie verliehen hat, der also auch nicht durch ein Mehrheitsvotum der Volksvertretung eingeschränkt oder abgeschafft werden kann. Ärgerlich an dem Film ist, dass eine staatliche Ermächtigung zum Abschuss von Passagierflugzeugen auf der Basis einer gesicherten Prognoseentscheidung nach Auswertung sachverständiger Stellen durch das Bundesverfassungsgericht realistischerweise  nicht angenommen werden kann. Die moralische Abwägung zwischen  dem Leben der Passagiere und Besatzungsmitglieder auf der einen Seite und den möglichen Opfern eines mutmaßlichen Terrorakts wird sich danach niemals so zugespitzt abspielen, wie in dem Film suggeriert. Für die Abschussentscheidung dürfte die konstruierte Gewissensnot in der Realität von militärtaktischem Kalkül überlagert werden.  Und ärgerlich ist auch, dass die Frage der Bestrafung des (fiktiven) Täters  in dem Film juristisch unzutreffend mit der Frage nach der Ermächtigung des Staates zum vorsätzlichen Töten unschuldiger Menschen aus Gründen der Gefahrenabwehr verknüpft wird, wodurch ein (angepeiltes) Votum der Zuschauer für einen Freispruch die Zustimmung zu einer staatlichen Ermächtigung zum Töten antizipiert. Im wirklichen Leben ist die Angelegenheit juristisch geklärt. Eine Vorschrift des Luftsicherheitsgesetzes, die einen Fall im Sinne hatte, wie er dem Film zugrunde liegt, hat das Bundesverfassungsgericht mit Bezug auf die Menschenwürde für verfassungswidrig erklärt. Welcher Regie folgt hier eigentlich die ARD, nach der sie einen Fernsehabend serviert, der diesen Verfassungsgrundsatz bei dem Publikum wieder in Zweifel zieht?

Der Autor von Schirach ist als erfahrener Anwalt in der Lage, sich die Dramaturgie einer echten Gerichtsverhandlung geschickt zunutze zu machen. Selbst nach einem überzeugenden Plädoyer der Staatsanwaltschaft schöpfen die Angeklagten in der Regel nach dem Plädoyer der Verteidigung wieder Hoffnung, selbst wenn es der Sach- und Rechtslage gar nicht entspricht. Auch nach dem halbwegs überzeugenden Plädoyer der Staatsanwältin in dem Film hat das Verteidigerplädoyer hier die größere Suggestivkraft, weil gerade gewonnen Überzeugungen scheinbar plausibel wieder in Frage gestellt werden. Der Schlagabtausch zwischen den Rechtsvertretern gestaltet sich als ein Disput über das Verfassungsrecht, genauer, ein Disput über Moral gegen geltendes Verfassungsrecht. Und was der fiktive Verteidiger hier publikumswirksam zum Besten gibt, müsste einem eigentlich die Sprache verschlagen. Der Verteidiger empört sich rhetorisch geschickt und von der Regie effektvoll inszeniert, dass sein Mandant, der unter Mordanklage steht, „wegen eines Prinzips“ (gemeint ist die Menschenwürde) verurteilt werden soll.  Wegen nichts, sozusagen. Das hätte die Staatsanwältin gesagt. Nur wegen eines Prinzips also, um dann hinzuzufügen, „Es ist mir gleichgültig, wie das Prinzip genannt wird, meinetwegen Verfassung“. Was dem Zuschauer hier vorgeführt wird, ist Verfassungsfeindlichkeit par excellence. Und wie es die Dramaturgie will, entlässt der Verteidiger die Zuschauer vor Abgabe ihres Votums mit der Mahnung, dass dieses „zweifelhafte Prinzip“ (!) uns gegen die Terroristen wehrlos mache.

„Wir müssen begreifen, dass wir im Krieg sind!“

Das Volk hat das Wort.

Und das Volk hat entschieden: Mit 86,9 % gegen die Verfassung.

 

aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Die Ausweglosigkeit und Unentrinnbarkeit, welche die Lage der als Opfer betroffenen Flugzeuginsassen kennzeichnen, bestehen auch gegenüber denen, die den Abschuss des Luftfahrzeugs anordnen und durchführen. Flugzeugbesatzung und -passagiere können diesem Handeln des Staates auf Grund der von ihnen in keiner Weise beherrschbaren Gegebenheiten nicht ausweichen, sondern sind ihm wehr- und hilflos ausgeliefert mit der Folge, dass sie zusammen mit dem Luftfahrzeug gezielt abgeschossen und infolgedessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.

Donnerstag, 1. September 2016

Heiko Maas macht Gerichtssäle zu Showbühnen

Sieht man im Rechtsstaat eine tragende Säule unserer Verfassung, hat Justizminister Heiko Maas kein allzu inniges Verhältnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Zum wiederholten Male nutzt er seine Stellung als Justizminister, um an dieser Säule zu sägen. Sein neuestes Produkt ist sein Gesetzentwurf, mit dem das Verbot von Film- und Fernsehübertragungen in Gerichtssälen gelockert werden soll. Eine unabhängige Justiz ist der wesentliche Garant des Rechtsstaats. Unabhängigkeit bedeutet, dass sie nur an Recht und Gesetz gebunden und keinen sonstigen Einflüssen unterworfen ist. Das bedeutet nicht, dass die Justiz im Geheimen arbeitet. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit, die mit wenigen Ausnahmen (etwa für Jugendgerichts- oder familienrechtliche Verfahren) gilt, hat dabei eine wichtige Kontrollfunktion. Aber die Öffentlichkeit ist eben bereits gesetzlich garantiert. Mindestens ebenso wichtig ist jedoch die Kontrollfunktion der Justiz gegenüber der Politik . Werden aus den Gerichtssälen jedoch Showbühnen gemacht, hat dies mit der Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsprinzips nichts mehr zu tun. Stattdessen gerät die Justiz in die Abhängigkeit der Medien. Zu Recht stößt daher die Fernsehübertragung aus den obersten Gerichten auf die Skepsis von Bundesrichtern. Die mediale Berichterstattung sei im Rechtssinne nur mittelbare Öffentlichkeit. Auch sei ein Mehrwert an Information durch die Übertragung von Entscheidungsverkündungen bislang nicht erkennbar, wird der scheidende Präsident des Bundessozialgerichts Peter Masuch anlässlich des Festakts zu seiner Verabschiedung am gestrigen 31. August auf der Webseite des Gerichts wiedergegeben. Justizminister Maas hat mit der Vorlage des Gesetzentwurfs gleichzeitig versichert, aus den Gerichtssälen keine Showbühnen zu machen. Warum aber dann der Gesetzentwurf? Die mittelbare Medienöffentlichkeit stärkt nicht die Informationswert, sondern den Einfluss der Medien. Neben der Öffentlichkeit im Gerichtssaal, in der auch heute schon Medienvertreter anwesend sein können, werden alle Urteile der Bundesgerichte und Obergerichte veröffentlicht. Nach Presseberichten begründet das Justizministerium den Gesetzentwurf mit dem Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln, der das Verbot (von Fernsehübertragungen und audiovisuellen Aufzeichnungen) nicht mehr tragbar erscheinen lässt. Warum? Die modernen Kommunikationsmittel ermöglichen schon jetzt den sekundenschnellen Zugriff auf alle veröffentlichten Urteile über das Internet. Hat sich denn nach Auffassung des Justizministers die Justiz nach den Bedürfnissen der großen Medienanstalten zu richten? Die Meinungsbildungsprozesse, die über die großen Medienanstalten gesteuert werden, folgen anderen Gesetzen als die fachlich orientierte Meinungsbildung an den Gerichten. Liveübertragungen von Prozessen und Urteilsverkündigungen mit Kommentierung in Echtzeit gehen über die demokratische Kontrollfunktion der Öffentlichkeit weit hinaus. Sie unterwerfen die Justiz einem Anpassungsdruck an die veröffentlichte Meinung. Vor allem erweitern sie damit die Macht der großen Medienanstalten, die über die Mechanismen der Meinungsbildungsprozesse direkten politischen Einfluss auf das Geschehen in der Justiz erlangen.

siehe auch http://peterkoch.twoday.net/stories/alarm-strafverfahren-als-tv-spektakel/

Sonntag, 10. Juli 2016

Sharon Dodua Otoo legt ein Ei ….

und gewinnt in Klagenfurt.

Auf zum goldenen Matriarchat.

Klagenfurt, Ingeborg Bachmann und Literaturtage,  dieser Dreiklang stand einmal für große Literatur, die von hier ihren Ausgang nahm. Diese Zeiten scheinen endgültig vorbei. Zu seinem Vierzigsten sei das Jubiläum auf der Höhe der Zeit angekommen, meint Wiebke Porombka in ,,Zeit Online”. ,,Diversität as it`s best.” Diversität, nicht Literatur. Also Internationalität und natürlich ,,das Geschlechterverhältnis”! Drei Preisträgerinnen gegen einen Mann. Endlich Geschlechtergerechtigkeit. ,,Auf zum goldenen Matriarchat.”  (Stefanie Sargnagel bei der Entgegennahme des Publikumspreises) So wird die jüngere Tradition fortgesetzt, ,,Männer zu Affen, Frauen zu Preisen” triumphierte schon 2015 der Literaturkritiker Jan Wiele.

Nach dem Koordinatensystem politischer Korrektheit stand die Vergabe des Hauptpreises dieses Mal wohl schon vorher fest. Sharon Dodua Otoo, weiblich, Ausländerin aus Groß-Britannien, ghanaischer Migrationshintergrund, schwarz und was noch ? –  Aktivistin. Jede andere Entscheidung hätte wohl gegen irgend eine ausgleichende Gerechtigkeit verstoßen.

Die Geschichte ist eher banal. Sie besteht aus drei Teilen, im Mittelpunkt eine Figur, die so in jeder Hinsicht das Gegenteil der Autorin ist, alt, männlich, deutsch und weiß.  Und damit das politisch korrekte Angriffsziel. Keinen Mangel an unsympathischen Männern stellte Juror Stefan Gmünder für die diesjährigen Lesetage fest.  ,,Das muss uns vielleicht zu denken geben.” (es wird gelacht)  Mit diesem unterwürfigsten  männlichen Bekennermut haben die Literaturtage politisch schon etwas gebracht.

Gezeichnet wird bei Sharon Dodua Otoo der alte, männliche, weiße Deutsche als Prototyp des Spießers. Wie zeichnet man einen deutschen Spießer? Natürlich beim Frühstück, pünktlich um sieben Uhr dreißig (deutsche Tugend) mit einem von der Ehefrau sekundengenau gekochten Frühstücksei – und doch verunglückt. Das Ei ist weich. Der Spießer verärgert -  und verkleckert sich natürlich die Krawatte. Ist das nun  genau beobachtet oder nur doof? Man muss auch nicht lachen. Nur die Ehefrau gluckst im Stillen vor klammheimlicher Schadenfreude. Sicher, wäre man bei der Szene geblieben und hätte nicht noch allerhand Klischees hinterhergejagt , wie  der deutsche Spießer ist gesetzestreu  (rote Ampel) , treudeutsch (gegen Anglizismen), und wenn jemensch ihn fragt ..naja, belassen wir es bei dieser Neuschöpfung;  wie gesagt, wäre man bei der Szene geblieben, man hätte was daraus machen können. Wer da an Loriot denkt, liegt nicht falsch. Aber hier kein Anflug von Slapstick. Die Sache misslingt, weil die Autorin auf Höheres hinaus will. Deshalb ein,,literarische Kniff”.  Im zweiten Teil wechselt die Erzählerperspektive auf das Ei. Das Ei als universeller und zeitloser Begleiter der Lebenden, denen es in  in wechselnden Gestalten so allerhand politisch motivierte Streiche spielt. Das Ei selbst hat sich geweigert, hart zu werden. Ein gesellschaftskritisches Ei , denn hart ist nämlich deutsch, wer es nicht gemerkt hat.  War auch schon mal ein roter Teppich und hätte damals gerne Helmut Kohl durch Hochklappen zum Stolpern gebracht. Bei Mugabe später ist es ihm gelungen.  Welche Linie die Autorin von Helmut Kohl zu Robert Mugabe zieht, bleibt unerfindlich. Aber irgendwie soll auch das gesellschaftskritisch sein oder metaphysische Dimensionen eröffnen mit philosophischen Tiefgang  oder surrealistisch sein. Die Jury ist sich da nicht ganz einig.

Im dritten Teil wird sicherheitshalber noch eins auf den Spießer drauf gepackt. Man soll den Sinn schließlich auch verstehen. Er, der Spießer,  begegnet – immer noch vom Ei erzählt – unvorhergesehen seiner Putzfrau , die er bis dato nicht kannte, im Bad. Dort wollte er seine Krawatte säubern. Die Putzfrau hat seinen Schlüpfer in der Hand und es entspannt sich folgender Dialog: ,,Wer bist du? , fragt er  (mit Schweißperlen auf der Stirn(!)) ,,Ich bin deine Putzfrau.” ,,Duzen wir uns?” ,,Sie haben damit angefangen”

Übrigens die Autorin hat die einzelnen Teile mit umfangeiche technischen Leseanweisungen versehen. Bei dem ersten Teil soll man sich zum Beispiel das linke Auge zuhalten und den Text in die rechte Hand nehmen. Bei dem zweiten Teil soll man die rechte Hand langsam zum Kopf heben und das rechte Auge zuhalten. Ein Selbstversuch hat ergeben: Lassen Sie es, die Geschichte wird dadurch auch nicht besser.

Donnerstag, 10. September 2015

Repressive Toleranz

Im Juni dieses Jahres hat der Supreme Court, das Oberste Gericht der USA, mit einer Mehrheit von 5 zu 4 Richtern in einer ,,historischen Entscheidung” die Eheschließung von Homosexuellen für verfassungsgemäß erklärt.  Letzte Woche wurde eine für Eheschließungen zuständige Verwaltungschefin eines Landkreises von Kentucky auf Weisung eines obersten Bundesrichters in Beugehaft genommen , da sie  sich weigerte, weiterhin Eheschließungen zu registrieren. Die Eheschließungen von homosexuellen Paaren  könne sie nicht mit ihren christlichen Überzeugungen vereinbaren . Um dem Vorwurf der Diskriminierung zu entgehen, wurden von ihrem Amt gar keine Eheschließungen mehr registriert.

Kim Davis ist keine weisungsgebundene Standesbeamtin, sondern wurde als ,,county clerk” in das Amt gewählt. Sie kann deshalb auch nicht entlassen werden, sondern nur abgewählt oder ihres Amtes enthoben werden.  Da beides aber offenbar aktuell nicht ansteht, drohten ihr bis zu 18 Monaten Beugehaft. Der Freilassung sollte nach der Anordnung des Bundesrichters von einer Meinungsänderung abhängig  gemacht werden. Nach einer erneuten gerichtlichen Anhörung wurde sie inzwischen aber ,,unter Auflagen” wieder freigelassen. Nach eigenen Bekunden soll Kim Davis jedoch ihre Überzeugungen nicht aufgegeben haben. Inwieweit dies mit den erteilten Auflagen vereinbar sein wird, bleibt abzuwarten.

In den USA lieferte der Vorfall den konservativen Präsidentschaftsbewerbern ein gefundenes Fressen, gleichzeitig aber auch der ,,liberalen” Öffentlichkeit in Amerika und darüber hinaus auch diesseits des Atlantiks die Gelegenheit, eine Form radikalen Christentums zu verhöhnen. Man muss aber selbst kein Christ sein, um sich verwundert die Augen zu reiben, wenn man in einem westlichen Gemeinwesen, das sich bis dato als christlich, zumindest als christlich geprägt, wahrgenommen und definiert hat, und zudem für Religionsfreiheit steht, für christliche Glaubensüberzeugungen ins Gefängnis kommt.

Der Fall entfaltet aber auch vor dem Hintergrund der Rechtslage in Deutschland auch abseits des weltanschaulich geprägten  Wahlkampfgetümmels in den USA eine gewisse Brisanz. Ähnlich wie in den USA haben auch in der Bundesrepublik die ,,obersten Richter” des Bundesverfassungsgerichts die Verfassung in diesem sensiblen Punkt eigenmächtig geändert. Zumindest das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Grundgesetzänderung den besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie beseitigt. Ähnlich wie in den USA unterliegt auch die Bundesrepublik einem von einer herrschenden Elite verordneten Wertewandel, der eine diffuse Werteordnung über geltende Gesetze stellt, und sei es geltendes Verfassungsrecht . Nach der eigenwilligen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt das Festhalten an dem natürlichen Recht der Eltern an ihren leiblichen Kindern und umgekehrt, also dem was das Grundgesetz als Familie unter seinen besonderen Schutz gestellt hat, gegen das Toleranzgebot gegenüber homosexuellen Paaren, die ihren Kinderwunsch nur über den Markt in Form von Leihmutterschaft und das dafür zweckentfremdete Adoptionsrecht erfüllen können.  Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang vom staatlichen Gleichstellungsauftrag. Die Toleranz schlechthin hat einen überragenden Wert in dieser diffusen Werteordnung.  Wenn das Bundesverfassungsgericht die so verstandene Toleranz zu einem Verfassungsgebot erhebt, werden die Anhänger des Grundgesetzes in seinem eben noch geltenden originären  Sinngehalt zu Verfassungsfeinden(!) Auch wenn der Meinungsstreit in der Bundesrepublik nicht in den für uns teils befremdlichen Formen des US-Präsidentschaftswahlkampfs stattfindet, nimmt er unvermeidlich die Züge eines quasireligiösen Glaubensstreits an, soweit er sich dabei auf rational nicht hinterfragte absolute Werte wie das Toleranzgebot bezieht. Für die Zwiespältigkeit absoluter Werte ist der Fall Kim Davis instruktiv. Die Beugehaft erscheint dabei als eine an das Mittelalter erinnernde bizarre Form der Verfolgung abweichender Glaubensgrundsätze, aber auch als die  unvermeidliche Kehrseite der verordneten Toleranz.

Samstag, 18. Juli 2015

Das Gröning-Urteil

Am 15. Juli hat das Landgericht Lüneburg den 94 Jahre alten ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren für die Beihilfe an dem Mord an mindestens 300.000 Juden in dem KZ Auschwitz verurteilt. Das Urteil wurde in der Öffentlichkeit mit Genugtuung als ,,gerechtes Urteil” oder ,,späte Gerechtigkeit” aufgenommen. Angesichts des Grauens von Auschwitz kann kein Urteil hart genug sein, um als gerecht empfunden zu werden. Hierin deutet sich bereits an, dass hinter der ,,Gerechtigkeit”, ist diese erst einmal in die Strafjustiz eingeführt, die Rechtsfindung, zu der auch ein juristisch angemessenes Strafmaß gehört, verschwindet. Der pathetisch aufgeladene Begriff der Gerechtigkeit lässt ebenso jeden Rest von Empathie  gegenüber einem gebrechlichen Angeklagten versteinern, dem das Verfahren selbst mit jedem Verhandlungstag sichtbar die letzten Lebenskräfte raubt und der so der  Gefahr ausgesetzt ist,  zum reinen Objekt einer öffentlichen Inszenierung zu werden.  Das Ausmaß des Grauens von Ausschwitz, das sich als Synonym für den Holocaust und damit das Menscheitsverbrechen schlechthin in das Gedächtnis der Menschheit eingegraben hat, hat neben der juristischen aber vor allem eine historische Dimension, die Zweifel an einer strafrechtlichen Aufarbeitung des Geschehens aufwirft.

Strafprozess oder politische Inszenierung

De Prozess hätte zur Sachaufklärung nicht zweieinhalb Monate benötigt. Alles was das Gericht von dem Angeklagten weiß, hat es von dem Angeklagten selbst. Gröning hat selbst seine Tätigkeit in Ausschwitz öffentlich gemacht, sich mit seinem Wissen schon in den achtziger Jahren gegen die Holocaust-Leugner gewandt und im ,,Spiegel” und der BBC von den Verbrechen des Vernichtungslagers berichtet. Die Erkenntnisse aus dem jetzigen Verfahrens liegen der deutschen Justiz seit Jahrzehnten vor. Von den zahlreich geladenen Zeugen wussten die Prozessbeteiligten schon vorher, dass sie keine weiteren Einzelheiten zu dem Angeklagten und damit nichts zur Sachaufklärung beitragen konnten. Gegen den Angeklagten hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft mit dem selben Wissen schon seit 1977 ermittelt, das Verfahren aber 1985 eingestellt. Sowohl die Wiederaufnahme des Verfahrens als auch die Art der öffentlichen Inszenierung gehen daher auf rein politische Entscheidungen zurück.

Nach den Angaben des Angeklagten hatte er sich 1940 freiwillig zur SS gemeldet, für die er aufgrund seiner Banklehre als Buchhalter eingesetzt wurde. Dafür mag der Wunsch einer Elitetruppe anzugehören maßgeblich gewesen sei oder die Aussicht, sich mit dem Bürodienst den Einsatz an der Front zu ersparen. Man weiß es nicht. 1942 wurde er zu einer ,,Sonderaufgabe” nach Auschwitz abkommandiert. Nach seinen Angaben war er dort ebenfalls als Buchalter der ,,Gefangeneneigentumsverwaltung” zugeteilt. Gröning hat aber auch angegeben, dass er von Beginn an erschüttert war von dem, was er dort antraf und Auschwitz ihm Angst gemacht habe. Er habe deshalb insgesamt drei Versetzungsgesuche an die Front gestellt habe, von denen letzterer bewilligt wurde. An Tötungsaktionen wäre er nicht beteiligt gewesen, dennoch trage er moralisch Mitschuld,  bekannte er vor Gericht  ,,in Demut vor den Opfern”. Ob auch juristisch schuldig, sagte er an`s Gericht gewandt, ,,müssen Sie entscheiden.”

Das Verfahren berührt die alte Frage nach der Kollektivschuld

Auf diese Angaben war das Gericht für die Verurteilung angewiesen, da das Verfahren keine weiteren Erkenntnisse erbracht hat. Zum einen konnten dem Angeklagten damit also keine weiteren Tatbeiträge nachgewiesen werden, und zum anderen ist es durchaus möglich, dass alles so stimmt, wie der Angeklagte angab. Nach der ganz gängigen Rechtsprechung zur Strafbarkeit von Beihilfe, erst recht angewandt auf die jahrzehntelange Rechtsprung zu den Naziverbrechen, hätte der Angeklagte nicht verurteilt werden dürfen. Denn danach ist für die Strafbarkeit von Beihilfe ein konkreter Tatbeitrag zur Haupttat nachzuweisen. Das Gericht hat nun den Nachweis individueller Schuld als Voraussetzung für die Strafbarkeit fallen gelassen und die Strafbarkeit wegen Beihilfe zu Mord ausgedehnt auf jede Mitwirkung als ,,kleines Rädchen” in  Auschwitz, ohne die die Tötungsmaschinerie nicht reibungslos hätte funktionieren können. Unter rechtsstaatlichen Grundsätzen ist diese Rechtsprechung bedenklich und höchstrichterlich noch nicht bestätigt.

Zutreffend ist sicherlich, dass ohne die Mitwirkung der vielen kleinen Rädchen die gigantische Tötungsmaschinerie nicht funktioniert hätte. Aber genau das macht die Frage nach der Täterschaft kompliziert und verschränkt die juristische mit historischen Dimension des Phänomens Auschwitz. Und genau hierin liegt auch die politische Crux des Verfahrens. Das Ausmaß des Holocausts als Menschheitsverbrechen schlechthin lässt unschwer erkennen, dass es sich nicht um eine Angelegenheit  im Bereich der ,,normalen” Kriminalität handelt.  Das Tätersubjekt in einem Verbrechen dieser Dimension ist nicht im üblichen Sinne individualisierbar, sondern ist der Staat schlechthin, der sich dabei auf das organisierte Zusammenwirken der gesamten Gesellschaft stützt. Zwar sind auch im staatlichen Auftrag durchgeführte kriminelle Handlungen individualisierbar. In diesen Fällen ist aber die individuelle Schuld wie auch sonst bei der gewöhnlichen Kriminalität nachzuweisen und Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Sanktion. Für das Funktionieren des Systems Auschwitz aber waren viele Umstände verantwortlich, an denen die Deutschen in den unterschiedlichsten Funktionen und an den unterschiedlichsten Stellen mitgewirkt haben , auch fernab und ohne jede direkte Beteiligung an dem eigentlichen Mordgeschehen. Nicht zuletzt gehört dazu der Krieg, auf den die gesamte gesellschaftliche Organisationsstruktur ausgerichtet war und in dessen Schatten sich der Holocaust faktisch in aller Öffentlichkeit abspielte.

Kennzeichnend für den Holocaust in seiner historischen Dimension ist das Zusammenwirken Aller, ohne das der Holocaust überhaupt nicht möglich gewesen wäre, und gleichzeitig die fehlende Subjektqualität im Handeln  des je Einzelnen.  Die geringen Handlungsspielräume des Einzelnen kommen auch juristisch in dem engeren kriminalistischen Sinne zum Tragen. Der Angeklagte Gröning etwa hätte angesichts der Schrecken, die ihm in Auschwitz begegnet sind, nicht einfach zur nächsten Polizeidienststelle laufen können, um den Vorgang anzuzeigen.  Ausgesprochen naiv nimmt sich der Vorhalt des Vorsitzenden Richters Franz Kompisch in der mündlichen Urteilsbegründung aus, der Angeklagte hätte sich an die Front versetzen lassen können, wenn er wirklich gewollt hätte. Als hätte der Angeklagte durch seine Teilnahme am Vernichtungsfeldzug im Osten zum System Auschwitz weniger beigetragen.

Mit der subjektiven Zuordnung des deutschen Volkes in seiner staatlichen Organisationsstruktur als handelndes Subjekt erscheint das Urteil in einem anderen Licht, als in dem der reinen Gerechtigkeit. Das Deutsche Reich ist mit dem verlorenen Krieg auch nach offizieller staatsrechtlicher Doktrin nicht untergegangen, sondern setzt sich im Staat Bundesrepublik Deutschland als staatrechtliches- und Völkerrechtssubjekt fort. Die subjektive Zuordnung als Handlungssubjekt ist damit unabhängig von dem je Einzelnen, den der Zufall in den Dimensionen von Zeit und Ort in die geschichtsmächtigen Vorgänge gleich welcher Art schicksalshaft verstrickt. Der deutsche Staat und das in ihm organisierte deutsche Volk behält seine Subjektqualität über die Lebensdauer der handelnden Einzelnen hinaus. Es ist auch der Staat, der sich die Strafverfolgung und die dazugehörige Rechtsprechung zuordnen lassen muss. Er muss sich daher auch zurechnen lassen, dass die wirklichen Täter im kriminalistischen Sinne, denen ihre Tatbeiträge in der Vernichtungsmaschinerie nachzuweisen gewesen wäre, in dem dafür zur Verfügung stehenden Zeitraum kaum strafrechtlich verfolgt wurden. Zwar hatten diese Täter in den Nachkriegsjahrzehnten nicht mehr die Macht wie unter der Naziherrschaft, aber sie waren oft noch in staatlichen Funktionen tätig und verfügten über mehr oder weniger mächtige Seilschaften. Die Justiz schlägt nunmehr erst zu einem Zeitpunkt unnachgiebig zu, zu dem von den ,,Tätern” (auch wenn dies im strafrechtlichen Sinne wie im Fall Gröning durchaus zweifelhaft ist)  nicht mehr die geringste Gefahr oder Gegenwehr ausgeht. Das ist keine nachholende Gerechtigkeit und macht aus dem Richter Kompisch keinen Helden, wie etwa die Rhein-Neckar-Zeitung kommentiert. Dem  rituellen Charakter des Verfahrens, in dem das Urteil bereits vorher feststand, haftet eher etwas Archaisches an und erinnert an ein sakrales Opferritual, mit dem sich die Gesellschaft von ihrer eigenen nachwirkenden Schuld und Verantwortung erlösen will.

Mittwoch, 17. Juni 2015

Merkels Griechenlandrettung

Die wahre Größe so mancher historischer Persönlichkeiten liegt rückblickend darin, dass sie sich nach Erfüllung ihrer historischen Mission selbst überflüssig gemacht haben. In den seltensten Fällen muss das diesen Großen der Geschichte auch bewusst gewesen sein. Angela Merkel jedoch scheint sich selbst für eine solcherart bedeute Persönlichkeit zu halten. Nach mehreren sozialdemokratischen Metamorphosen der Union unter ihrer ,,Führung”, möchte sie nun offenbar als die Persönlichkeit in die Geschichte eingehen,  die die europäische Mission des ,,linksradikalen” Bündnisses Syrizas unter Tsipras und Varoufakis zu einem historischen  Durchbruch führt.

Griechenland ist schon lange pleite

Eigentlich ist im Verhältnis der Wahrungsunion des Euro und Griechenland alles gesagt. Zum einen ist Griechenland schon längst pleite und schon lange nicht mehr in der Lage, seine aktuellen Kreditverbindlichkeiten zu bedienen oder die eigenen Staatsausgaben zu bestreiten.  (von einer Rückzahlung des gewaltigen Schuldenbergs irgendwann in der Zukunft ganz zu schweigen) Und trotzdem heißt es wieder mal von der Politik, Griechenland stünde kurz vor der Pleite und der Zeitrahmen werde immer enger. Währenddessen finanziert sich Griechenland mit den sog. Ela-Krediten, die von Mario Draghi gewährt werden. Inzwischen ist die Obergrenze der Ela-Kredite auf 83 Milliarden Euro erhöht worden. In der Regierungszeit Syrizas damit um eine Vielfaches der noch aus dem aktuellen Hilfspaket ausstehenden 7,2 Milliarden Euro. Die Ela-Kredite (Emergency Liquidity Assistance) sind deswegen so ärgerlich, weil sie nach den geltenden Regeln missbräuchlich vergeben werden und offen gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen.  Natürlich werden die Kredite nicht von Mario Draghi vergeben oder der EZB, sondern münden in weiteren Rettungspaketen für angeschlagene griechische Banken und schlagen sich im Falle des Ausscheidens Griechenlands aus der Währungsunion als uneintreibbare Forderungen der restlichen Euroländer nieder.  Während die Griechen Monat für Monat Milliarden von den Banken abziehen, werden die Geschäftsbanken über die Ela-Kredite ermächtigt, sich bei der griechischen Notenbank Geld gegen wertlose Pfänder (Pfänder, die nur dem Schein nach Sicherheit bieten) zu leihen.

Die politische Linke will die Neuordnung Europas

Mit jeder Ausweitung der Ela-Krediten wird der Verbleib Griechenlands in der Eurozone fester gezurrt: Mit der zynischen Argumentation, dass hierdurch ein Austritt Griechenlands für die Steuerzahler des Euroraums immer teurer wird, werden damit immer neue Hilfsgelder begründet. Und für die Hilfsgelder gilt dann exakt dasselbe. Das nutzt die Syriza-Regierung geschickt, um jede Bedingung der Geldgeber kategorisch abzulehnen ebenso wie die Spielregeln der Währungsunion überhaupt.  Die Vertreter der Institutionen der ehemaligen Troika sind Syriza schon weit entgegen gekommen z.B mit einem faktischen Verzicht der öffentlichen Geldgeber, der nur nicht Schuldenschnitt genannt wird.  Eigentlich geht es kaum verhüllt nur noch um ein symbolisches Zugeständnis. Aber die kompromisslose Ablehnung Syrizas ist durchaus konsequent. Es geht dem Linksbündnis nicht um diese oder jene Milliarde oder einen halben Prozentpunkt mehr oder weniger für den anvisierten Haushaltsüberschuss, sondern um eine grundlegende Umstellung von dem Prinzip Hilfsgelder auf ein System der Dauersubventionierung durch einen vergemeinschafteten europäischen Haushalt sowie einer ,,echten” Europäisierung der EZB. Ideen, die der von Mario Draghi angemaßten europäischen Fiskalpolitik durch die EZB ebenso entgegenkommt wie der Idee  von Jean-Claude Juncker mit seinem ehrgeizigen EU- Investitionsprogramm, das im Kern darin besteht, durch öffentliche Anschubfinanzierung und vor allem durch die Garantiehaftung des europäischen Fiskus, private Investoren zu riskanten Finanzanlagen zu animieren. Im Grunde setzt diese Politik  auf die Wiederholung des Effekts, der bereits mit der Einführung des Euros beabsichtigt war und der u.a. für das griechische Schuldendilemma verantwortlich ist, nur auf höherer Stufenleiter. Dahinter steckt die neokeynesianische Philosophie, nach der eine Schuldenkrise am besten überwunden werden kann durch immer weitere Schuldenaufnahme. Vor allem die politische Linke, von den Sozialdemokraten bis zu den Linksradikalen (z.B. ,,Die Linke” in Deutschland  oder ,,Podemos” in Spanien), hat diese apologetische Philosophie der Finanzmärkte als neues Wundermittel für sich entdeckt.

Die Union könnte Syriza ausbremsen, aber … 

Nicht nur gegen die Dreistigkeit der griechischen Regierung, sondern auch gegen die immer dreister werdende Mandatsüberschreitung der europäischen Institutionen, für die es in Europa keine politische Mehrheit gibt, regt sich ein verständlicher Unmut.  Deshalb auch ein deutlich zu vernehmendes Grummeln in der Unionsfraktion.  Angela Merkel hält sich jedoch auffällig zurück, abgesehen von dem vielsagenden ,,Wo ein Wille ist…” Die beinah tägliche Beschwörung eines unmittelbar bevorstehenden Grexits ist eine wie für sie geschaffene Rettung-in-letzter-Minute-Inszenierung.  Der Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist für sie alternativlos. Um der ,,Griechenlandrettung” (gemeint ist der Verbleib in der Eurozone)  eine historische Dimension zu verleihen, wird sie von Christ- wie von Sozialdemokraten  als eine Frage  von Krieg und Frieden gehandelt. In dieser Frage möchte Angela Merkel allerdings den Sozialdemokraten den Rang ablaufen. Eine praktische Relevanz hat die Zugehörigkeit Griechenlands zur Eurozone in dieser Hinsicht freilich  vor allem allem vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise, in der Merkel eine ,,Desintegration” Europas als Schwächung gegenüber Putin unter allen Umständen vermeiden will. Daher eher eine Frage von Krieg. Ohne den standhaften Glauben an ihre historische Mission jedenfalls würde wohl auch die Union der Griechenlandrettung à la Varoufakis die Gefolgschaft verweigern. Mit Merkel aber werden sich die Zweifler verkrümeln, wie widerwillig auch immer.

Der Sieg von Syriza wird ein Dammbruch sein.

So unbedeutend die Volkswirtschaft des kleinen Griechenlands auch scheinen mag, über die Fortsetzung der Rettungspolitik wird es zum Hebel für die Neuordnung Europas. Sein Beispiel wird Nachahmer finden und einen Dammbruch auslösen.  Die Zugeständnisse an Syriza sind schon jetzt ein offener Bruch der europäischen Verträge und führen unumkehrbar in die Transferunion und die Zentralisierung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik in Brüssel, damit aber auch zum Ende der Souveränität über die nationale Haushaltspolitik (eine dem Grundgesetz widersprechende Entmachtung des Parlaments!). In diesen Fragen ist die Union in Worten jedenfalls mit den entgegengesetzten Zielen (und Wahlversprechen) angetreten.

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