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Donnerstag, 14. Mai 2015

Problematisches Streikrecht Teil 1 – GDL-Streik

Das Streikrecht ist ein Fremdkörper in unserem Rechtsgefüge. Arbeits- und Leistungsverweigerung führt im gewöhnlichen Leben nicht zu der Aussicht auf höhere Erlöse, sondern zu Einbußen bis hin zum Schadensersatz. Gerechtfertigt wird diese Ausnahme im Allgemeinen mit dem Verweis auf das Grundrecht. Das Streikrecht unterscheidet sich aber wesentlich von den sonstigen Grundrechten, die als Bürger- oder Menschenrechte ausgestaltet sind,  denn es gilt nicht für alle und nicht allgemein und ist daher im eigentlichen gar kein Grundrecht. Aus rechtlichen und faktischen Gründen ist ein Großteil der Bürger von vornherein von diesem Arbeitsverweigerungsrecht in bestehenden Vertragsverhältnissen ausgeschlossen. Darunter  natürlich die meisten Nichtarbeitnehmer. Für große Gruppen von Selbständigen wie Architekten und Rechtsanwälten wird die Entlohnung über eine staatliche Gebührenverordnung gesetzlich festgelegt. Ebenso für Beamte, die seit jeher kein Streikrecht haben. Aus faktischen Gründen sind aber auch große Teile der Arbeitnehmerschaft davon ausgeschlossen, sofern sie entweder in Betrieben arbeiten, die vom Kündigungsschutz ausgeschlossen sind (darunter viele Gastronomiebetriebe), oder für die persönlich der Kündigungsschutz nicht greift. Das Streikrecht hat vor allem historische Wurzeln und stammt aus einer Zeit, in der die Arbeiterschaft gleichzusetzen war mit den ärmeren und ärmsten Schichten der Gesellschaft auf den unteren Stufen der sozialen Hierarchie.  Es galt als Korrektiv gegen die ökonomische Überlegenheit der Unternehmer (Kapitalisten) als Arbeitgeber, zuweilen auch als Mittel des Klassenkampfs,  um damit im kämpferischen Zusammenschluss gegen die Machtinteressen Einzelner ein gemeinsames, mehr oder weniger verallgemeinerungsfähiges gesellschaftliches Interesse solidarisch durchzusetzen. Auch jenseits rechtlicher Beschränkungen lagen dabei jedoch die immanenten Schranken in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und äußerstenfalls in der  Überlebensfähigkeit der Betriebe.   Mit dem gesellschaftlichen Wandel haben sich die Koordinaten jedoch gründlich verschoben. Verantwortlich dafür sind zwei nur scheinbar gegensätzliche Tendenzen, die Vergesellschaftung und die Privatisierung, denn beide Prozesse gehen ineinander über.  Vor allem begünstigt das solche Berufsgruppen, die in den stark vergesellschafteten  Strukturen Schlüsselpositionen einnehmen oder einem wirtschaftlich unbegrenzt leistungsfähigen Arbeitgeber gegenüber stehen.  Am besten stellen sich die, für die beide Voraussetzungen zutreffen.  In den zurückliegenden Jahren haben daher vor allem Streiks im Öffentlichen Dienst und ähnlichen Strukturen in der öffentlichen Daseinsvorsorge für Aufsehen gesorgt. Neben der GDL kommen damit  Berufsgruppen in eine privilegierte Streikposition, die man traditionell eher nicht einer verarmten Arbeiterschaft zurechnet (Piloten) und solchen, die nicht einmal zur Arbeitnehmerschaft gehören, wie etwa selbständige Ärzte, die aber aus den (vergemeinschafteten) Sozialkassen bezahlt werden. In allen diesen Streikbewegungen, die zum Teil nur noch von kleinen Personengruppen getragen werden, kommt die Schlüsselposition zum Tragen und/oder  der Zugriff auf die quasi unerschöpflichen Quellen der  öffentlichen Kassen. In diesen Streiks ist auch kein Unternehmer oder Kapitalist der Streikgegner, sondern die Allgemeinheit.  Die Bahn ist prototypisch für die Vergesellschaftungstendenzen unter den Bedingungen der Privatisierung,  die die  Gewichte dieser großen Infrastruktureinrichtungen verschieben von der sozialen Daseinsvorsorge zum reinen Wirtschaftsbetrieb, für den der Staat aber in letzter Konsequenz die finanzielle Haftung übernimmt. Dabei ist es fast gleichgültig, ob es sich (noch) um staatseigene oder rein private systemische Großbetriebe oder  Infrastruktureinrichtungen handelt. Mit dem Rückzug des Staates aus seiner politischen Verantwortung für das Gemeinwesen geht das Abschmelzen einer auf dieses Gemeinwesen verpflichteten Beamtenschaft einher.  Die Streikbewegungen, die gerade in diesen Bereichen ausbrechen, sind daher vor allem geprägt von dem Schwinden einer  sozialer Verantwortung des Einzelnen,  die einen Beruf über die unmittelbaren pekuniären Interessen seiner Träger erhebt. Mit der Preisgabe der öffentlichen Kassen an rücksichtslose Verteilungskämpfe partikularer Interessensgruppen erscheint  der Staat in einer geradezu erbärmlichen Machtlosigkeit . Einer Berufsgruppe mit einer überschaubaren Personenzahl kann es so gelingen, der gesamten Volkswirtschaft täglich Schäden in 100 facher Millionenhöhe zuzufügen, die politischen Bemühungen um  die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene zurückzuwerfen und  die Arbeits- und Tagesabläufe von Millionen von Bahnnutzern, die man früher nicht Kunden, sondern  Bürger nannte, durcheinanderzuwirbeln,  und dennoch beurteilen die Arbeitsgerichte auf der Basis des geltenden Rechts  den Streik als verhältnismäßig!  Diese Ohnmacht des Staates hätte man früher als partiellen staatlichen Zusammenbruch gewertet. Ein Staat aber, der sich seiner Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit (dem Gemeinwesen) entzieht, ist nicht nur machtlos, sondern für seine Bürger wertlos.

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siehe auch http://peterkoch.twoday.net/stories/problematisches-streikrecht-kita-streiks/

Problematisches Streikrecht Teil 2 – Kita-Streiks

Der unbefristete Kita-Streik weist eine für die gegenwärtigen Streikbewegungen typische Konstellation aus. Wie auch immer der Tarifvertrag aussehen wird, es ist ein Vertrag zu Lasten Dritter.  Tarifvertragspartner sind in diesem Fall die Kommunen, die rund ein Drittel der Kinderbetreuung in Kindergärten und Krippen betreiben. Diese Haftung der öffentlichen Kassen ermutigt Verdi zu Gehaltsforderungen in Höhe von durchschnittlich 10% , die anderswo Schwindel erregen würden. Flankiert wird der Streik von einer feministischen Politik, allen voran aus dem Hause Schwesig, die auf eine finanzielle Aufwertung typischer Frauenberufen abzielt. Das Endgehalt einer ausgebildeten Erzieherin in der Gehaltsstufe S 6  beispielsweise (betrifft 40%  der Erzieherinnen) beträgt heute 3.289 Euro. Im Vergleich dazu der Feuerwehrmann: 2. 851 Euro Endgehalt. Gefordert wird von Verdi eine Hochstufung auf die Gehaltsstufe S 8 mit einem Monatsgehalt von 3.974 Euro. Das entspricht einer Anhebung von 21%! (1) Begünstigt werden die Erzieherinnen von dem staatlich verbürgten Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, der ihre Monopolstellung verstärkt. Dafür fordern die Erzieherinnen auch noch die Solidarität der Eltern ein, die als Nutznießer und Kunden in Wahrheit die eigentlichen Arbeitgeber sind. Würden aber sie zur Kasse gebeten, liefe der Streik ins Leere, da die Kosten für die Kinderbetreuung schnell eine kritische Grenze erreichen würden, ab der die eigene, durch Fremdbetreuung freigesetzte Erwerbsarbeit kaum mehr einen Überschuss über diese Kosten erbringen würde, zumal Mütter überwiegend nur in Teilzeit arbeiten. Der unmittelbare finanzielle Nutzen dieser Form der Arbeitsteilung reduziert sich bilanztechnisch auf die effizienter rationalisierte professionelle Kinderbetreuung.  Daneben soll die staatliche Kinderbetreuung jedoch einen gesellschaftlichen Nutzen haben, für die der Staat als Wahrer öffentlicher Aufgaben aufzukommen hat. Der wesentliche Effekt dieser Vergesellschaftung der Kinderbetreuung und –aufzucht besteht aber zunächst vor allem in der Verlagerung der finanziellen Beistandspflichten aus der Familie auf unbeteiligten Dritte, die so zum eigentlichen Unterhaltsschuldner werden. Das schafft für die Erzieherinnen und Mütter eine typische Win-win-Situation, die die Basis für die Solidarität der Eltern mit dem Streik sein kann.  Den Erzieherinnen verschafft es den quasi unbeschränkten Zugriff auf die öffentlichen Kassen, den sich Verdi auch nicht mit dem Argument der Schuldenbremse für die Kommunen weg reden lässt. Diesem begegnet sie mit Vorschlägen für neue Steuererhöhungen.  Der frühkindliche Bildungsauftrag (ab dem 1. Lebensjahr!) könnte zwar als ein gesamtgesellschaftliches Anliegen gelten und damit als ein staatlicher Auftrag, der die Erziehrinnen in die Nähe von Lehrerinnen rückt. Das staatliche Schulwesen indes war traditionell von einem Berufsbeamtentum geprägt, das gerade wegen des staatlichen Auftrags und der Ausrichtung auf das Gemeinwohlinteresse kein Streikrecht hatte. Der gesellschaftliche Nutzen verengt sich doch eher auf die Ökonomisierung der Kinderbetreuung im Sinne ökonomischer Verwertungsprozesse (,,frühkindliche Bildung von  grundlegender Bedeutung für das spätere Erwerbsleben”, Frankfurter Rundschau) Zumal auch dieser ,,staatliche Bíldungsauftrag” gerade einmal noch zu rund einem Drittel durch staatliche bzw. kommunale Einrichtungen ausgeführt, während sich die Entwicklung in der Branche zu einem privatwirtschaftlichen Gewerbe immer deutlicher abzeichnet.  Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche drückt sich hier darin aus, dass die eigentlich zur Kinderbetreuung berufene Mutter davon zugunsten der Lohnarbeit freigesetzt wird, dafür die Erzieherinnen dann aber die Kinderbetreuung in der Form der Lohnarbeit verrichten. ,,Alle Räder stehen still….” Diese frühe gewerkschaftliche Kampfparole des Proletariats erinnerte den Bourgeois auch daran, dass ihm alle Werte, die ihm aus der Produktion in der Form kapitalistischen Eigentums zuflossen,  durch den Schweiß und die Muskelkraft des Arbeiters geschaffen wurden. Das berührt den Kern der kapitalistischen Lohnarbeit, die Entfremdung des Arbeiters von seinem Arbeitsprodukt . Der Streik der Erzieherinnen räumt endgültig mit den akademischen  Theorien von dem pädagogischen Nutzen der vergesellschaften Kinderaufzucht auf und enthüllt ihr Wesen als entfremdete Arbeit. (Kleinstkinder als Humankapital) Kein guter Zustand für diese sensible Entwicklungsphase, in der sich vor allem durch die verlässliche Bindung an feste Bezugspersonen um ihrer selbst Willen die Grundlagen für die Bindungsfähigkeit  und Empathie im späteren Leben herausbilden.

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(1) FAZ 7.5.2015)

siehe auch http://peterkoch.twoday.net/stories/problematisches-streikrecht-gdl-streik/

Sonntag, 26. April 2015

Die Brandrede Gaucks zum Armenier Gedenken

Am 23. April hielt Bundespräsident Gauck in einem ökumenischen Gottesdienst die Gedenkrede zum 100. Jahrestag der armenischen Tragödie im damaligen Osmanischen Reich. Die Aufmerksamkeit war schon vorher auf  nur ein einziges Wort konzentriert: Völkermord. Nachdem es der Papst ausgesprochen hat und das Europaparlament, hat es auch der Bundestagspräsident und der Bundestag in einer angekündigten feierlichen Erklärung ebenfalls. Die Debatte um den moralischen Imperativ hatte innenpolitisch keine Gegner mehr. Die Rede Gaucks war nur noch der Höhepunkt einer inszenierten Kampagne, angekündigt über einen medialen Trommelwirbel, um noch einmal die Aufmerksamkeit auf das Wort zu lenken. Eine mediale Inszenierung, bei der es nur noch darum ging, das Wort zum richtigen Zeitpunkt, durch den richtigen Mann mit der denkbar größten politischen Sprengkraft in den internationalen Beziehungen zu plazieren.  Am Ende blieb nur noch ein resignierter Außenminister Steinmeier zurück, der sagte, ,,Ich bin Debatten leid, bei denen erwartet wird, dass ich über ein mir hingehaltenes Stöckchen springen soll, obwohl doch alle wissen, die Fragenden wie die Antwortenden, dass komplexe Erinnerungen selten auf einen Begriff zu bringen sind.”

Die Rede …

Die Komplexität des Geschehens und des Erinnerns spielte in der Rede Gaucks keine Rolle. Nach ihm ist alles ganz einfach. Bei einem Volk, von dem man im Allgemeinen nicht mehr weiß, als dass es das christliche Abendland bereits zweimal kurz vor Wien ernsthaft in Bedrängnis gebracht hat, und dessen Geschichte in den Schulbüchern nicht auftaucht, dessen Geschichte ist ein weißes Blatt, auf das auch der Bundespräsident seine Projektionen frei assoziieren kann, ohne von der medialen Öffentlichkeit der Geschichtsfälschung bezichtigt zu werden. Und so erlaubt sich der Bundespräsident, die dunkelste Seite der deutschen Vergangenheit auf dieses weiße Blatt der türkischen Geschichte zu projizieren.

Er gedachte der Armenier, die ,,zu Hunderttausenden Opfer von geplanten und systematischen Mordaktionen geworden sind.” und lieferte dafür seine geschichtliche Erklärung.

,,Diese geplante und kalkulierte verbrecherische Tat traf die Armenier aus einem einzigen Grund: weil sie Armenier waren.”

,,Die jungtürkische Ideologie” sagt er, suchte die Alternative ,,im ethnisch homogenen, religiös einheitlichen Nationalstaat (…) Trennung nach Volksgruppen, ethnische Säuberungen und Vertreibungen bildeten Anfang des 20. Jahrhunderts oftmals die düstere Seite der Entstehung von Nationalstaaten. Aber Einheits- und Reinheitsideologien enden nicht selten im Ausschluss und Vertreibung  und in letzter Konsequenz in mörderischer Tat. Im Osmanischen Reich entwickelte sich daraus eine genozidale Dynamik, der das armenische Volk zum Opfer fiel.”

Alles, was Gauck soweit sagt, ist richtig – wenn man statt von den Armeniern von den europäischen Juden spricht und das Osmanische Reich durch das ,,Dritte Reich” ersetzt. Für die Geschichte des Osmanischen Reichs stimmt davon nicht viel.

Um die Assoziation perfekt zu machen, begründet der Bundespräsident auch noch, warum wir über den armenischen Völkermord reden müssen:

,,Wir reden davon! ( ) Wir tun dies, damit Hitler nicht Recht behält. Und wir tun es, damit kein Diktator, kein Gewaltherrscher und niemand, der ethnische Säuberungen für legitim hält, erwarten kann, dass man seine Taten ignoriert oder vergisst.”

Sicher, der Bezug zu Hitler war geschickt an ein Zitat geknüpft, durch das diese Aussage rein sprachlich einen gewissen Sinn ergibt. Aber Gauck ging es vor allem um die Assoziation mit dem Gewaltherrscher. Aber wer soll denn eigentlich der osmanische Hitler, der Gewaltherrscher  und Diktator im untergehenden Osmanischen Reich gewesen sein? Und was weiß Gauck und der durchschnittliche Hörer seiner Rede von der Ideologie der Jungtürken?

…und die Geschichte

Richtig ist, dass ethnische Säuberungen und Vertreibungen den Prozess der Entstehung europäischer Nationalstaaten begleiteten. Die Türkei war in ihrer Vor- und Entstehungsgeschichte in diesem genuin europäischen Prozess davon  nicht ausgenommen. Im Zuge des aufkommenden Nationalismus auf dem Balkan wurde die dortige türkisch-muslimische Bevölkerung Opfer solcher ethnischer Säuberungen. Noch schlimmer traf es in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die (muslimische) tscherkessische Bevölkerung an der Schwarzmeerküste, die massenhaft den Massakern durch die russischen Eroberungsfeldzüge und der vollständigen Vertreibung zum Opfer gefallen ist. Ausgelöst wurde das Nationalitätenproblem nicht aus dem Innern des (türkisch beherrschten) Osmanischen Reichs, sondern eher durch den aufkommenden Nationalismus der Völker des Vielvölkerreichs, also bspw. des Nationalismus der Balkanvölker, des arabischen Nationalismus und eben auch des armenischen. Insofern gleicht der Zerfallsprozess des Osmanischen Reichs eher dem Untergang des Habsburgerreichs, als er Parallelen zu dem Aufstieg des deutschen Nationalismus und Nationalsozialismus  aufweist. Mit dem bemerkenswerten Unterschied zum Habsburgerreich, dass schon damals die Westmächte das nationalistische Aufbegehren der Völker zielstrebig zur Destabilisierung des multikulturellen osmanischen Vielvölkerreichs unterstützten. (Bespiel: Lawrence von Arabien).

Die armenische Tragödie gehört  aber strenggenommen nicht in diesen historischen Kontext. Denn die vielfältigen und teils divergierenden Oppositionsbewegungen, die unter die Sammelbezeichnung Jungtürken fallen, hatten vor allem das auch aus dem europäischen Exil genährte Ziel, gegen die  autoritäre Herrschaft des Osmanische Sultanats die Wiedereinsetzung der Verfassung von 1876 zu erkämpfen  sowie ,,die Versöhnung und Zusammenarbeit mit den nationalen Minderheiten.” (Udo Steinbach, langjähriger Direktor des Deutschen Orientinstituts) Und damit eben gerade nicht die Ausgrenzung. In ihrer Opposition gegen Sultanat und Absolutismus hatten sie in dem armenischen Nationalismus so etwas wie einen natürlichen Verbündeten. Die 1894  gegründete osmanische Gesellschaft für Einheit und Fortschritt (jungtürkisches Komitee) fiel politisch erstmals auf mit den organisierten  Protesten gegen die Armenier Pogrome 1895 . Andere antiabsolutistische Oppositionsbewegungen, wie der ,,Erste Kongress der osmanischen Liberalen” 1902, setzte sich aus Delegierten der wichtigsten Nationalitäten zusammen (darunter die Armenier) und forderten Reformen ,,nicht für dieses oder jenes Volk oder diese oder jene Religionsgemeinschaft, sondern ausnahmslos für alle Osmanen.” Ein Problem der türkischen Oppositionsbewegung bestand jedoch darin, dass sich die ebenfalls oppositionellen Nationalitäten wegen ihres eigenen Nationalismus und Unabhängigkeitsbestreben zunehmend von ihr abwandten, so namentlich der armenische und arabische Nationalismus.

Der türkische Nationalismus, der in Gestalt der Jungtürken im wesentlichen säkular und revolutionär-demokratisch ausgerichtet war,  hatte niemals eine nennenswerte Strömung oder einen nennenswerten Führer hervorgebracht, der sich auf die ethnische Reinheit oder gar Rasseneinheit des Türkentums bezogen hätte. Ansätze eines Panturanismus, der sich auf die Einheit der altaischen Völker (Turkvölker) bezogen hat, hatte sich weder im untergehenden Osmanischen Reich noch in der Türkei jemals durchgesetzt. Da die türkisch demokratische Exilopposition sich traditionell wesentlich aus den Ideen der französischen Revolution nährte, hat der türkische Nationalismus auch Ähnlichkeit mit dem französischen Staats- und Nationenverständnis, der das Gegenteil von Ausgrenzung ist. (Türke ist, wer türkischer Staatsbürger ist.) Wegen dieses Verständnisses steht der türkische Staat noch heute in der Kritik, weil er etwa die Kurden als türkische Staatsbürger ansieht und nicht nach ethnischer Herkunft differenziert. 

Der Fanatismus oder das Risiko, eine ganze Nation zu beleidigen

Der Bundespräsident hat in seiner Rede noch gesagt, Täter früherer Tragödien (der Bundespräsident redet von rassistisch, ethnisch oder religiös motiviertem Massenmord) waren alle auf fanatische Weise von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt. In seiner Allgemeinheit ist diese Aussage richtig und ernst zu nehmen. Die Lehre daraus besteht in der kritischen Distanz zu den eigenen Glaubensüberzeugungen. Denn der Fanatismus beginnt im Kopf zumeist mit der völligen Ignoranz gegenüber den historischen Tatsachen. Wenn ein deutsches Staatsoberhaupt meint, einer anderen Nation vor der gesamten Weltöffentlichkeit eine moralische Standpauke halten zu müssen und bewusst die Vergiftung des politischen Klimas zwischen den Völkern herbeiredet, dann muss er genau wissen, was er tut und was er sagt.

 

Mittwoch, 22. April 2015

Moralische Mobilmachung gegen die Türkei

Der Papst hat mit dem moralischen Gewicht  seines Amtes die armenische Tragödie 1915 in Ostanatolien als ersten Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet und ihn als eine der ,,unerhörten Tragödien des letzten Jahrhunderts”  in eine Reihe mit den Völkermorden des Nationalsozialismus und des Stalinismus gestellt. Damit hat Franziskus mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen hat er natürlich eine politisch motivierte Kampagne gegen die Türkei losgetreten, die mit den Erklärungen des Europarlaments, der bevorstehenden Erklärung des Deutschen Bundestags und der erwarteten Rede des Bundepräsidenten fortgeführt wird. Zugleich hat er die hierzulande überwunden geglaubte Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem Kommunismus wieder reaktiviert. Ganz nebenbei hat er die christlich/westlichen kolonialen Verbrechen, wie etwa der Vernichtungsfeldzug der deutschen Kolonialisten gegen das Volk der Herero in der Zeit von 1904 und 1908 gewissermaßen exkulpiert, sie zumindest aus der Reihe der Völkermorde herausdividiert. Vor allem aber hat er den Holocaust, diese  Singularität der bürokratisch organisierten und in den Konzentrationslagern industriell vollzogenen ,,Endlösung der Judenfrage” relativiert.  Und dies zu dem Zweck, den Genozid-Vorwurf zum politisch-moralischen Waffe in den aktuellen politischen Konflikten, in denen der Westen involviert ist, zu instrumentalisieren.  

Gesinnungsdiktatur statt wissenschaftlicher Diskurs

Die Bundesregierung hat inzwischen den Begriff Völkermord in dem Resolutionsentwurf des Deutschen Bundetags zugestimmt. Die anfängliche Zurückhaltung etwa des Bundesaußenministers Steinmeiers wurde von den Oppositionsfraktionen der Linken und den Grünen,  aber auch von Abgeordneten aus den Koalitionsfraktionen  heftig als ,,Einknicken” und ,,Kuschen” kritisiert. Außerdem signalisierte das Bundespräsidialamt, dass der Bundespräsident bei seiner Teilnahme am ökumenischen Gottesdienst am Donnerstag, dem Vorabend der 100jährigen Gedenkens, deutliche Worte sprechen wird. Der öffentlich in den Medien von Politkern, Prominenten und Künstlern geführte Diskurs drehte sich alleine um die Frage eines moralischen Imperativs bei der Verwendung des Begriffs Völkermord.  (Darf oder muss man Völkermord Völkermord nennen?) ohne jeden empirischen Bezug . Diese Art des Diskurses  signalisierte eine Wendung in der Bewertung geschichtlicher Ereignisse von der inhaltlichen Aufarbeitung (Wissenschaft)  hin zu einer reinen Gesinnungsfrage und zu vollmundigen Bekenntnissen, die ihrerseits wieder politischen Opportunitäten folgen. Auf der nächsten Stufe steht sodann die strafbewehrte Vorschrift über die richtige historische Sichtweise. Unter Sarkozy wurde die Leugnung des Völkermors an den Armeniern  bereits für strafbar erklärt, in der offensichtlichen Absicht, sich die Wählerstimmen der armenischen Diaspora zu sichern. Das Gesetz wurde aber von französischen Verfassungsrat für verfassungswidrig erklärt. In der Schweiz (sowie in einer Reihe anderer europäischer Staaten) gibt es ein entsprechende Gesetz. Aufsehen erregte der Fall Perincek, der nach diesem Gesetz von den Schweizer Gerichten verurteilt wurde und deshalb vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) zog. Die kleine Kammer des EGMR hob die Verurteilung  aber u.a. unter Verwies darauf, dass die Frage des Genozids an den Armeniern  unter Historikern umstritten sei, auf. Das Urteil ist aber nicht rechtskräftig, weil die Schweiz die große Kammer angerufen hat.

Die Haltung der Bundesregierung zu den Massakern an den Armeniern …

Die hier interessierenden historischen Ereignisse in den Kriegswirren 1915 in Ostanatolien  werden von den Historikern einhellig als eine Tragödie für die Armenier bewertet. Daran kann es gar keine Zweifel geben. Darin stimmen auch türkische Historiker wie auch die türkische Politik mit überein. Auch zum jetzigen Jahrestag drückt die türkische Politik wieder ihr Bedauern und ihre Anteilnahme aus. ,,Mit Respekt erinnern wir uns der der unschuldigen osmanischen Armenier, die ihre Leben verloren, und bieten ihren Nachfahren unser tief empfundenes Beileid an.” , so Ministerpräsident Davutoglu (AKP) in einer jüngsten Erklärung. (1) Keineswegs unstreitig unter Historikern ist allerdings  die Qualifizierung als Völkermord, also der Wille und die Absicht der Vernichtung des armenischen Volkes im Sinne der UN-Völkermordkonvention.

Die Ereignisse, die zu der Katastrophe der Armenier von 1915 führten, waren durch Krieg und Bürgerkrieg in Ostanatolien vor und während des ersten Weltkrieges bestimmt, in dem die Armenier im Zuge des sich  formierende armenischen Nationalismus einen blutigen Guerillakrieg mit terroristischen Anschlägen führten und im Krieg offen mit Russland kollaborierten. ,,Die Bilanz der Gräueltaten armenischer Kämpfer, vor allem im Zusammenhang mit dem Rückzug russischer Truppen, ist nicht gering.” (2)

In Ostanatolien gab es schon um die Jahrhundertwende 1894 und in der Folgezeit  sowie 1909 Pogrome gegen die armenische Bevölkerung. Erstere Massaker wurden durch die von dem damaligen Sultan Abdülhamid II aufgestellten kurdischen Milizen, den sog. Hamidiye, begangen.  ,,Zwischen Armeniern und Kurden entwickelte sich eine Atmosphäre des ,wir oder sie’ ”(3)  Von dem kurdischen Beitrag an den Armenier-Massakern zu reden, ist heute politisch aber eher unschicklich wegen der oppositionellen Haltung der Kurden in der heutigen Türkei. Diese reicht jedoch zurück bis zu den frühen Kurdenaufständen gegen die junge türkische Republik unter Atatürk, der ein Gegner der Armenierpolitik des untergehenden Osmanischen Reichs war, die unter der Führung ihrer Scheichs und Agas noch stark dem Osmanischen Reich und dem Kalifat verhaftet waren.

Die Pogrome von 1909 wurden  von der Istanbuler Regierung mit Schärfe verurteilt und 124 muslimische Beschuldigte landeten am Galgen. (4)

Erst die Weigerung von England, Frankreich und Russland, die Grenzen des Osmanischen Reichs zuzusagen,(3) trieb die damalige osmanische Regierung der Jungtürken an die Seite der Mittelmächte, die ansonsten ein Krieg mit England eher vermeiden wollten.  Durch einen Aufstand der Armenier in Van vom 20.4. – 17.5.1915 gelang es den Russen, die Stadt zu besetzen. Dies war der Auslöser für die Verhaftung prominenter Armenier, ein Datum, das nun als Beginn der armenischen Katastrophe gilt.

In dieser Lage wurde das Gesetz über die Bevölkerungsumsiedlung v. 27.5.1915 beschlossen. Dass es bei dieser Umsiedelung zu Greueltaten kam , u.a. durch Wegelagerer und Übergriffe der ansässigen Bevölkerung , ist ebenso unbestritten – auch auf türkischer Seite, wie auch der massenhafte Tod durch Hunger und Seuchen. Auch der damalige Parlamentspräsident Ahmet Riza hatte dagegen wiederholt  – erfolglos – Einspruch erhoben. Ein gezielter Vernichtungswille, gar aus rassistischen Motiven, ist daraus jedoch nicht abzuleiten. Vor allem existiert kein  Nachweis im Sinne einer Anordnung zum Massenmord, weshalb es aber nicht gesichert ist, dass es einen solchen nicht gegeben hat.  ,,Es gab (aber) eine Fülle von Anordnungen, die den osmanischen Befehlshabern eine geordnete und humane Abwicklung der Transporte vorschrieben.” (2) So ist es zumindest unter Historikern fraglich und umstritten, wie weit eine zu der damaligen Zeit mit der Umsiedelung überforderten ottomanische Bürokratie für die Katstrophe mitverantwortlich ist, denn auch die muslimische Bevölkerung erlitt in dieser Zeit unsägliches Leid durch Krieg, Hunger und Epidemien.  Die über die Medien im Vorfeld des Gedenktags suggerierte Eindeutigkeit und den Konsens unter Historikern über den  ,,Genozid” ist falsch. Auch ein historischer Laie kann sich durch Hinzuziehung der einschlägigen Literatur davon überzeugen.  ,,Die Annahme, das Istanbuler Regime hätte …von Anfang an auf eine Beseitigung der wirtschaftlich mit Muslimen konkurrierenden christlichen Bevölkerung gesetzt, geht sicher zu weit.” so bspw. Kreiser  (2)  Berücksichtigt werden müssen wohl auch die Opferzahlen unter der muslimischen Bevölkerung im Zusammenhang mit Krieg und Bürgerkrieg. ,,Bis 1918, als die russische Armee sich wegen der Oktoberrevolution teilweise auflöste, wurden erst im Gebiet von Van, Mus und Bitlis und dann auch in Erzurum und Erzincan der größte Teil der nicht geflohenen muslimischen Bevölkerung getötet. Der Blutzoll Anatoliens in dieser Zeit überstieg alle Maße.” (5) Ein Gleichsetzung der armenischen Tragödie mit dem Holocaust, wie sie Papst Franziskus vornimmt, verbietet sich jedenfalls offensichtlich.

Gerade weil es die Anordnung eines Massenmords nicht gibt, sollte die Aufarbeitung der historischen Ereignisse den Historikern vorbehalten bleiben und nicht marktschreierischen Moralisten, die sich um die geschichtlichen Tatsachen überhaupt nicht kümmern. Anstatt die Türkei mit dem Vorwurf völkerrechtlicher Bestimmungen (Genozid) zu provozieren , sollte die möglichst gemeinsame empirische Forschung der Geschichte der Versöhnung beider Völker den Weg bereiten, die durch die diplomatischen Provokationen nur hintertrieben werden.

….und in der Frage des Massenmords an den Herero

Im Gegensatz zu der armenischen Katstrophe liegt ein gezielter rassistischer Vernichtungswille im Falle des Kolonialkrieges gegen die Herero nahe, denn hierfür gab es einen Vernichtungsbefehl des Generalleutnants von Trotha ,„Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Dazu gehören auch überlieferte Zitate wie ,,Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss” (von Trotha) oder des Chefs des Generalstabs Alfred Graf von Schlieffen ,,Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.” Gleichwohl verweigerte Bundespräsident Roman Herzig 1998 bei einem Besuch  in Namibia die Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und Nama.

Auf eine Kleine Anfrage der Linken am 14.8.2012,  ob mit dem Begriff des Genozids aus Sicht der Bundesregierung auch historische Massaker vor 1948 entsprechend den Kriterien der UN-Völkermordkonvention als historische Fallbeispiele für Genozide charakterisiert und gewertet werden können,  namentlich auf  die „Massaker an den Herero in Afrika“ bezogen , antworte die Bundesregierung

,,Bewertungen historischer Ereignisse unter Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen, die im Zeitpunkt dieser Ereignisse weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für irgendeinen anderen Staat in Kraft waren, werden von der Bundesregierung nicht vorgenommen.”

und auf Nachfrage

,,Wie die Bundesregierung wiederholt ausgeführt hat, sind völkerrechtliche Bewertungen von historischen Ereignissen nur unter Anwendung der im Zeitpunkt dieser Ereignisse geltenden völkerrechtlichen Regeln und Bestimmungen und unter Zugrundelegung der historischen Fakten des konkreten Sachverhalts zu beurteilen. Was die historischen Fakten betrifft, so sind diese Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.” (6)

Natürlich drängt sich auf, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Doch hatte die Bundesregierung mit ihrer Antwort grundsätzlich recht, auch wenn dies einzugestehen im Zusammenhang mit den deutschen Kolonialverbrechen (und der anderer Kolonialmächte) schwer fällt.  Zumal es in diesem Fall um die Bewertung der eigenen Geschichte geht. Die strafrechtliche Würdigung eines vergangenen Ereignisses, zu dem es die Strafnorm noch nicht gab, kann nicht nach den heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Politik bestimmt werden. Erst recht kann die  wissenschaftliche Bewertung von historischen Ereignissen nicht von der Politik vorgeschrieben werden, sondern ist der empirischen Forschung und dem freien wissenschaftlichen Diskurs vorbehalten.  Ein notorisches Bekennertum kann zudem auch in die falsche Richtung führen, wenn daraus geradezu eine moralische Überlegenheit abgeleitet wird. Die Deutschen haben alleine  mit dem Holocaust eine schwere moralische Last zu tragen. Nimmt man sie wirklich ernst, sollte daraus eher ein wenig Demut erwachsen und gerade nicht die Legitimation,  weltweit als  moralischer  Oberlehrer wie Joachim Gauck aufzutreten.

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(1) FAZ 22.4.2015

(2) Kreiser, Neumann; Kleine Geschichte der Türkei, 376

(3) Seuffert, Kubasek; Die Türkei., S. 78

(4) Kreiser, Neumann, 374

(5) Seuffert, Kubasek, S. 79 mit Nachweisen

(6) Deutscher Bundestag, Drucksache 17/10841, 14.8.2102

Samstag, 4. April 2015

,,Die Ungehorsame”, feministischer Lehrfilm im Auftrag der Frauenministerin

Am Dienstag in der Karwoche zeigte SAT 1 den Film ,,Die Ungehorsame” im Rahmen eines Themenabends in Zusammenarbeit mit der Bundesministerin  für Familie, Senioren,Frauen und Jugend, Manuela Schwesig. Eine noch junge Ehe endet mit dem versuchten Mord des Ehemannes an seiner Frau. Mordmotiv: Frau hat die Küche nicht geputzt.  Die bereits halbtot zugerichtete Ehefrau kann den Täter mit einem Fleischspieß, den sie ihm in den Hals rammt, kurzzeitig außer Gefecht setzen, bis der Sohn der vorehelich alleinerziehenden Mutter ihr zu Hilfe kommt und dem Täter mit der Tranchiergabel von hinten den Rest gibt, während dieser dem Opfer noch mit eisernem Griff die Kehle zuschnürt. Natürlich wird die Ehefrau verdächtigt – dafür der Totalausfall der gerichtsmedizinischen Spurenauswertung - und des Mordes angeklagt. Das aber erzeugt keine Spannung, denn der Ablauf des Gerichtsverfahrens gibt einer jungen Pflichtverteidigerin die Gelegenheit, sukzessive in Rückblendenden die Wahrheit über einen Fall lang andauernder häuslicher Gewalt für das Publikum verständlich und mit vorhersehbarer Folge aufzuarbeiten.  In Etappen wird dann der Ehemann als ein Monster mit der Bereitschaft zu jeder Art irrationalen Gewaltausbrüchen gegen die Frau geschildert, ohne dass auch nur annähernd das Psychogram eines pathologischen Sonderlings gezeichnet würde oder sich das beklemmenden Gefühl über die Unausweichlichkeit eines emotional und tiefenpsychologisch verwurzelten Gewaltdramas einstellt. Also ein Film weitab von den Großen des Genres wie etwa ,,Psycho” von Alfred Hitchcock oder die Romane von Patricia Highsmith. Eigentlich kein Grund, sich damit zu befassen, wäre da nicht der aufdringliche Bildungsauftrag, der sonst den Öffentlich-Rechtlichen vorbehalten ist,  und der überwältigende Zuspruch aus den Feuilletonredaktionen: ,,Engagiert aufklärendes Beziehungsdrama”, schreibt die FAZ; ,,Tyrannenstück, das an öffentlich-rechtliche Glanzlichter erinnert” (Spiegel Online);  Eine kluge Aufarbeitung der Täter-Opfer-Beziehung, urteilt die taz; und den ,,Mut, dieses heiße Eisen anzupacken”, lobt der Stern.

Dramaturgie nach dem feministischen Lehrbuch

Der Täter: ein noch junger sympathischer Mann, erfolgreich, wohlhabend, gebildet und mit Geschmack, kurz - aus der gehobenen akademischen Mittelschicht (von Beruf Kardiologe). Erste Lehre: Häusliche Gewalt ist an kein Milieu gebunden, (sondern männlich) und kommt gerade in der ,,heilen Welt”vor, in der man sie nicht vermutet. (Deshalb wird ja auch das Opfer verdächtigt.) Dieser Täter führt dann artig der Reihe nach alle Facetten von häuslicher Gewalt vor, wie man sie aus dem feministischen Lehrbuch kennt.  Verbale Gewalt (Beschimpfung als Nutte), Tritte in den Magen und  Schläge ins Gesicht.  Und dann noch eben der Mordversuch. Und warum dies alles? Einmal wegen eines allgemeinen Beleidigtseins. Dann, weil die Frau in einem Getränkemarkt eingekauft hat. Von dem Getränkemarkt war bis dahin nicht die Rede gewesen. Gibt aber die Gelegenheit zu einer kleinen Vergewaltigung mitten in der Nacht, wohl nach dem Aufwachen aus schlechten Träumen. ,,Ich zeig dir, was der Getränkefuzzy nicht kann.” Es gab da offenbar einen Verkäufer, auf den der Täter eifersüchtig war. ,,Das glaub ich nicht. Hab ich dir nicht gesagt, dass dieser Getränkemarkt tabu für dich ist. Sag mal, red ich chinesisch.” hatte er sie angefahren bei Entdeckung des Kassenzettels. Und dann der missglückte Mordversuch, na ja, eben weil die Küche nicht geputzt war, in der forensischen Praxis eine eher seltene Todesursache. ,,Versuchst du mich zu verarschen. Aber das schaffst du nicht. Dafür bist du nicht clever genug, du kleine Schlampe.” Die Zeichnung der Figuren ist mehr als holzschnittartig. Der Täter (Mann) ist nur böse und schlecht. Das Opfer (die Frau) nur gut und liebevoll. Der Mann verbietet der Frau ihre Goldschmiede, die sie als Selbständige führt (macht sie finanziell abhängig). Er schafft das Kindermädchen ab. (Um die Erziehung soll sich die Mutter kümmern.) Die Ehefrau sei mit ihr nicht mehr zufrieden, weil sie Sachen gestohlen hätte, sagt er ihr. Also  auch noch verlogen und intrigant, (wenigstens diesen Part hätte man ja aus Gerechtigkeitsgründen der Frau zuordnen können.) Für das Kindermädchen war sie ,,wie eine große Schwester”. Das Opfer liebt ihren Mann trotz alledem. Will ihm helfen. Voller Hingabe bis zur Selbstaufgabe und Selbstanklagen. Glaubt daran, dass alles wieder wird wie früher. Hat Angst um das Kind.  Sagt natürlich niemanden etwas (einer Frau glaubt man ja nicht)  usw. usw.. Und am Ende kommt das dann doch bei Gericht alles raus. ,,Vor Gericht wird Leonie (das Opfer) von einer hochmotivierten jungen Strafverteidigerin verteidigt, und das Urteil fällt am Schluss eine patente Richterin. Die Männer können da nur schweigend zusehen.” (Süddeutsche Zeitung) Der Film endet dann mit dem Abspann - Jede vierte Frau ist schon einmal Opfer häuslicher Gewalt durch ihrem Partner geworden.

Fiktionale Realität

,,Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein”, ergänzt die taz die offizielle Statistik.  Auf diese Statistik bezieht sich auch Frau Ministerin Schwesig anlässlich der Filmpremiere in Berlin am 31.3.2015. Aber Statistik sei das eine, ,,und das andere ist, dass wir – so wie heute in diesen Film – hinter dieser Zahl in dieses Leben reinschauen. Was heißt es denn, Gewalt in der Partnerschaft zu erleben?””  Mit Themenabenden wie diesen,  dehnt sich der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Erziehungsfernsehens nun auch auf die Privaten aus.  Etwas seltsam erscheint aber, wie viele Männer federführend an dem Projekt beteiligt waren:  Jochen Ketschau, Vice-President von SAT 1, der versichert, nun öfter solche Themenabende auf das Programm zu setzten. Ivo-Alexander Beck, Ideengeber und Produzent. Und neben dem Hauptdarsteller natürlich, Regisseur Holger Haase und Drehbuchautor Michael Helfrich. Vorsicht ist geboten! Statistisch ist mindestens einer von ihnen ein Täter.

Sonntag, 29. März 2015

Syriza blufft mit Russland-Karte

Spiegel Online berichtet am heutigen Sonntag von einer unmittelbar bevorstehenden Reise des griechischen Energieministers Lafazanis nach Moskau. Dabei soll es zum einen um die Senkung der Erdgaspreise für griechische Haushalte gehen sowie um die Aufhebung von Importverboten für griechische Waren wie frisches Obst. Diese fallen unter das von Russland verhängte Importverbot für EU-Waren, das Russland im Gegenzug zu den Wirtschaftssanktionen verhängt hat. Um über die griechische Bitten zu verhandeln, will Ministerpräsident Tsipras am 8. April selbst nach Moskau fahren.

Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt. Am Freitag hat die griechische Regierung ihre Reformliste bei der Troika eingereicht. Die Auszahlung einer weiteren Kredittranche über 7,2 Milliarden Euro hängt von dem positiven Votum der Institutionen ab. Die Verhandlungen der Gläubiger mit der griechischen Regierung haben bereits begonnen oder stehen unmittelbar bevor. Bereits für den morgigen Montag wird nach einem Bericht der FAZ in der Samstagsausgabe erwartet, dass die griechische Regierung ohne liquide Mittel dasteht.

Nach neuesten Schätzungen wird Griechenland zudem eine weiteres Hilfspaket von 30  bis 40 Milliarden Euro benötigen. Nach den Angaben von Bundesbankpräsident Weidmann wäre eine ungeordnete Insolvenz Griechenlands jetzt möglich, ,,wenn ein Mitgliedsland der Währungsunion … die Zahlungen an die Anleihegläubiger einstellt.” (1 )

Die EU und die Eurogemeinschaft hat inzwischen vor allem ein politisches Interesse am Verbleib Griechenlands in der Eurozone.  Dabei spielt die Aufrechterhaltung der europäischen Front gegen Russland eine eminent wichtige Rolle. Am 28.2.2015 schrieb FAZ Herausgeber Berthold Kohler ,,Im Kampf um Griechenland geht es nicht mehr alleine um die Abwendung eines Staatsbankrotts und um die Frage, was von den Prinzipien der Währungsunion übrig bleibt, sondern auch darum, wie stabil und widerstandsfähig die EU ist, wenn ihr eine aggressive Macht wie Putins Russland entgegentritt.”

Die Verhandlungen Tsipras mit der russischen Regierung stehen also unter einer doppelten Voraussetzung. Russland wird den Importverbot für griechische Waren voraussichtlich nur aufheben, wenn Griechenland seinerseits aus der Sanktionsfront der EU ausbricht. Sollte dies aber geschehen, setzt Griechenland das Interesse der EU an seinem Verbleib in der Eurozone aufs Spiel. Nach dem Bericht von  Spiegel Online  soll Lafazanis mit den Verhandlungen mit Russland das Recht auf Energieabkommen zwischen EU-Mitgliedern und nicht EU-Staaten gegen eine zentrale europäische Oberaufsicht verteidigen. Damit liefe die Politik Griechenlands quer zu der strategischen Linie der EU, die Abhängigkeit vom russischen Öl und Gas zu verringern.  Sollte sich die Syriza Regierung an diesem Punkt durchsetzen, wäre dies die bisher erste Maßnahme der Regierung,  mit der sie ihre Souveränität verteidigte und die das Attribut einer antihegemonialen Politik gegen die EU und ihre Gremien verdiente.

Realistischer ist die Annahme, dass Syriza und die griechische Regierung die russische Karte wieder nur spielt, um an die Tröpfe der Hilfsgelder heranzukommen und damit Teil und Profiteur  dieses hegemonialen Gebildes zu sein. Aber die griechische Regierung hat die ,,Institutionen” nun herausgefordert. Und daran wird man sie messen können. Zum Beispiel bei der nächsten Abstimmung über die Russlandsanktionen. Auch Griechenland besitzt mit seiner Stimme ein Vetorecht, von dem Syriza bisher allerdings keinen Gebrauch gemacht hat. Ein Einknicken der Institutionen (Troika) gegen das Versprechen Griechenlands, in Sachen Russland wieder auf den rechten Weg zurückzukehren, wäre kein Gewinn der Syriza Regierung im Kampf für die Souveränität Griechenlands.

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(1) FAZ 28.3.2015

Sonntag, 22. März 2015

EZB Proteste–Rauchzeichen über Frankfurt

Brennende Autos, Barrikaden und Rauchschwaden über Frankfurt, ,,Krass”, zitiert die Frankfurter Rundschau einen jungen Demonstranten, der beim Cappuccino im Starbucks  die Bilder der Demos im Smartphone verfolgt. Abgesehen aber vom Spaßfaktor eines solchen Events, was signalisieren die Rauchzeichen eigentlich, welches politische Signal geht von ihnen aus?  Außer der Empörung der Polizeigewerkschaft und einigen pflichtschuldigen Verurteilungen der Gewaltexzesse ist einer Krawallveranstaltung selten so viel Sympathie aus dem politischen Establishment entgegengeweht. Selten konnten sich die Organisationen und Unterstützer  des ,,Protests”, die selbst weit in den etablierten Politik- und Medienbetrieb hineinreichen, schon im Vorfeld so offen zu den angekündigten Rechtsbrüchen bekennen und anschließend den Erfolg ihrer Sache bejubeln, ohne auch nur annähernd in den Verdacht des Aufrufs zu Straftaten zu gelangen. Irgendwie lag für die bürgerliche (Medien-) Öffentlichkeit der Geruch von Freiheit in der Luft und das Signal von Aufbruch.  Das Medienecho und die äußerste Milde des Rechtsstaats, wo sonst die äußerste Härte regiert, ließ erkennen, hier entlud sich nicht der Zorn einer verelendeten Masse oder einer ausgegrenzten Minderheit aus dem ,,Prekariat”. Hier feierte sich eine avancierte bürgerliche Zivilgesellschaft in ihrem zivilen Ungehorsam.  Für die Abgeordnete Heike Hänsel von der Linken, nicht eben unmaßgeblich an der Organisierung des Protests beteiligt, winkten die (Rauch-) Zeichen der Freiheitsbewegung von dem  Maidan herüber. Nanu?  Auf dem Maidan haben sich die Menschen versammelt, um eine gewählte Regierung zu stürzen, die der EU die kalte Schulter gezeigt hat. Die Freiheit des ,,Euromaidan” hatte einen Namen und der hieß ,,Europa” inkl. der IWF Reformauflagen und der politische Aufsicht durch die EU-Kommission. 

Scheitert Syriza, scheitert Europa

Was aber haben die Proteste ,,im Herzen der Bestie” und der Maidan gemein? Nimmt man die politischen Kapriolen der neuen griechischen Regierung, die die Proteste erkennbar beflügelt hat, muß man sagen, fast alles. So mächtig sich der Wille in der Ukraine nach EU-Europa zu marschieren, mit Gewalt seinen Weg gebahnt hat, so mächtig kämpft die griechische Regierung um den Verbleib in der VIP-Lounge dieses Clubs.  Was der Ukraine als erster Schritt das Freihandelsabkommen ist, ist Griechenland, darin der Ukraine schon weit voraus, der Euro. Hauptsache der Cashflow stimmt.

Nur in der Rhetorik unterscheiden sich beide. Während die ukrainische Regierung ihren selbsterwählten neuen Herren noch respektvoll begegnet, randaliert die Regierung Syriza im eigenen Haus und entfaltet eine beispiellose feindlichen Propaganda gegen ihre Geldgeber aus den Mitgliedsländern.  Hier kann etwas nicht stimmen,  denn die angegriffenen Repräsentanten der Institutionen überbieten sich mit ihren Bekenntnissen (und Garantien!), dass Griechenland im Euro bleiben muß, ganz gleich, was die Regierung anstellt. Und für Mama Merkel, für die Führungsstärke ein Fremdwort ist, dafür Alternativlosigkeit die einzige Richtschnur ihres Handelns  steht bereits vorher fest, scheitert Syriza, scheitert Europa.

Die EZB hat Griechenland gar nichts zu sagen – wenn Griechenland aus dem Euro austritt

Warum sich die Protestbewegung die EZB als Ziel ihrer Randale ausgesucht hat,  versteht wahrscheinlich nur, wer die politische Idiosynkrasie gegen den Namensbestandteil ,,Bank” schon für ein politisches Programm hält. Die EZB ist keine Geschäftsbank  (also auch keine profitgierige Zockerbank). Sie ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung auf der Basis eines rechtlichen Mandats aufgrund vertraglicher Vereinbarungen der Mitgliedsländer. Sie ist damit nicht einmal eine Notenbank im klassischen Sinne, sowenig wie das Europaparlament ein Parlament im klassischen Sinne ist,  sondern eher ein Exekutivorgan der nationalen Notenbanken, denen sie Weisungen auch gegen deren erklärten Willen erteilen kann, wie etwa im Falle der deutschen Bundesbank.  Darin liegt ein – demokratisch nicht legitimiertes  - Machtpotential,  und von diesem Machtpotential macht sie eifrig Gebrauch mit einem gewissen immanenten Hang zur Überschreitung ihres Mandats.  Dafür steht die EZB zu Recht unter Kritik. Nur - die Protestler in Frankfurt, in der griechischen Regierung und in der europaweiten Linken kritisieren dies ja gerade nicht.  Die griechische Regierung etwa könnte sich der Exekutivgewalt der EZB ganz einfach entziehen, wenn sie aus dem Euro austräte.

Verkehrte Welt

Wenn die EZB im Volksmund die Geldhähne aufdreht, womit sie eine mehr oder weniger verdeckte monetäre Staatsfinanzierung zugunsten der Südländer betreibt, heißt dies,  sie weist die nationalen Notenbanken an, Geldmittel in die Finanzmärkte zu pumpen. Nach Ausbruch der Finanzkrise hatte sie damit die Krisenländer einschließlich Griechenland lange vor den öffentlichen Rettungsprogrammen finanziert und hat ihnen jetzt bereits wieder einen Zugang zu den Kapitalmärkte zu Kreditkonditionen (sog. billiges Geld) auf fast dem  Vorkrisenniveau ermöglicht  Damit unterminiert die EZB aber gleichzeitig die nationalen Programme und multilateralen Vereinbarungen zur Stabilitätspolitik, also der verhassten Austerität. Täte die EZB dies nicht, so würde sie den Südländern bildhaft gesprochen, den Geldhahn zudrehen. Im Falle Griechenlands, das völlig von dem Marktzugang abgeschnitten ist, käme jetzt allerdings nur noch eine offene,  ungeschminkte verbotene Staatsfinanzierung in Betracht, was von der griechischen Regierung vehement gefordert wird und im Wochentakt mit der Gewährung der sog. ELA Krediten durch die EZB, also der Erlaubnis für die griechische Notenbank zum Gelddrucken, auch faktisch geschieht, auf Kosten und Risiko der öffentlichen Kassen der anderen Euroländer. Natürlich muß sich die EZB hier Beschränkungen auferlegen, will sie wenigstens den Schein ihres Mandats zur Wahrung der Geldwertstabilität wahren.  Und genau deswegen empört sich Tsipras und mit ihm die europäische Linke, die EZB sei das Seil, das um Griechenlands Hals liegt. Griechenland könnte außerhalb des Euros völlig autonom seine Druckerpresse auf Hochtouren beschleunigen, nur könnte es so wegen des Effekts der Inflation die Kaufkraft nicht  erhöhen. Innerhalb des Euroraums aber halten die europäischen Linken die EZB für allmächtig und glauben, der Effekt würde sich irgendwie in der Schuldnergemeinschaft verflüchtigen. Die Rauchzeichen über Frankfurt sind daher eher Symbol für die ideologischen Nebelschwaden in den Köpfen,  die einem fast religiös anmutenden Glauben an die Allmacht des Geldes gleichkommen.

Der Aufbruch in ein neues ,,Europa von unten” ist dasselbe neue Europa, das sich die Kapitalmärkte wünschen, ein einheitlicher Wirtschaftsraum mit einer wirklichen wirtschaftlichen Zentralmacht, vereinigt in der europäischen Schuldenunion. Niemand anderes als Mario Draghi selbst, der den Konstruktionsfehler einer zentralen Notenbankpolitik in einem wirtschaftlich kleinteiligen Euroraum notorisch beklagt, würde den Protestierenden auf der Straße dafür allzu gerne die Hände schütteln.

Freitag, 13. März 2015

Griechenland: Türkei sollte Vorbild sein – nicht Feind

Die links-rechte Regierungskoalition Griechenlands setzt mitten im Schuldenstreit, in dem sie für das wirtschaftliche Überleben ihres Landes im Euroverbund kämpft, eine alte nationalistische Politik gegenüber dem Nachbarn Türkei fort. Der griechische Verteidigungsminister Kammenos von der Partei ,,Unabhängige Griechen” schärft in Worten und Taten das Feindbild Türkei und provoziert neue Spannungen in der Ägäis, indem er sich z.B. in einem ,, Akt des Patriotismus” mit dem Militärhubschrauber direkt an die türkische Grenze fliegen ließ, um dort auf der vor 19 Jahren umkämpften winzigen (unbewohnten) Ägäisinsel Imia einen Kranz zu Ehren gefallener griechischer Soldaten abzuwerfen.  Ein Akt, der eine niederschwellige militärische Reaktion und Gegenreaktion der türkischen und griechischen Luftstreitkräfte provozierte und die Türkei veranlasste in diplomatischen Worten Griechenland zu drängen, ,,diese unverantwortlichen Taten so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen.” (1) Der ,,linke” Außenminister Kotzias von Syriza und ehemaliges ZK-Mitglied der griechischen Kommunistischen Partei steht ihm in nichts nach. Vor dem Außenministertreffen der EU in Riga letztes Wochenende brachte er die brisante Variante von Sanktionen gegen die Türkei ein wegen der Besetzung Nordzyperns, also  in einer Art konsequenter Erweiterung der schon gegen Rußand verhängten Sanktionen, die Griechenland ja unterstützen würde (und in der Tat auch unterstützt).  Aber ,,Sie (die EU) verlangen, daß wir für ein außereuropäisches Gebiet kämpfen, nicht aber für ein Gebiet in der EU. Ich bin gegen doppelte Moral”, zitiert ihn AFP. Wobei der griechische Außenminister freilich unerwähnt läßt, daß die Türkei und die Zyperntürken seinerzeit den Wiedervereinigungsplan des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annans unterstützt haben, der nur durch das griechisch-zyprische Nein in dem Referendum zu Fall gebracht wurde. Auch in einem Interview gegenüber der Tagesschau am 7.3.2015 bekräftigt Kotzias die griechische Unterstützung der Rußlandsanktionen, beschwert sich aber über die Folgenlosigkeit, mit der sich die Türkei nicht an den Sanktionspolitik beteiligt.

EU Politik gegenüber der Türkei – die große Schwester der Troika-Politik

Die kleinlich gehässigen Ausfälle der griechischen Regierung  gegen die Türkei sind deshalb so schäbig, weil sie sich gegen ein Land richten, das im europäischen Umfeld wie kein anderes unter einem ähnlichen Schicksal zu leiden hatte wie Griechenland unter der Troika, wenngleich weit weniger selbstverschuldet.  Im Falle Griechenlands ist die Abhängigkeit von öffentlichen Geldgebern vor allem dem Zusammenbruch eines durch den Eurobeitritt Griechenlands verursachten spekulativen Wirtschaftswachstums geschuldet, während sie im Fall der Türkei in einer strukturellen wirtschaftlichen Rückständigkeit des Landes mit den Merkmalen eines Entwicklungslands gegenüber dem entwickelten Finanzkapitalismus seine wesentliche Ursache  hatte.

1963 schloss die damalige EWG ein Assoziationsabkommen mit der Türkei ab. 1987 wurde der Antrag auf Vollmitgliedschaft aber abgelehnt. Seither besteht der Heranführungsprozeß der Türkei an Europa bis heute in einer andauernden offen diskriminierenden Hinhaltetaktik. Am 1.1.1996 trat die Zollunion der EU mit der Türkei in Kraft, an der die Türkei hauptsächlich wegen der Perspektiven auf eine Vollmitgliedschaft interessiert war. Ansonsten hatte sie durch das Zollabkommen im Wesentlichen nur Nachteile. Sie öffnete ihre Wirtschaft der EU und passte ihre Wirtschaftsgesetze an die EU an. Die Folge war ein drastischer Anstieg ihres Außenhandelsbilanzdefizits und der Wegfall von geschätzten 2,6 Milliarden Dollar jährlich an Zolleinnahmen. Die EU hatte dagegen ihre Verpflichtungen aus der Zollunion nie eingehalten und nicht einmal die vorgesehenen Ausgleichszahlungen aus einem EU-Fond in Höhe von 375 Millionen Euro (damals noch Ecu) ausgezahlt.

Die Auszahlung scheiterte an einem Veto Griechenlands!

Das gestiegene Außenhandelsdefizit brachte die Türkei in noch stärkere Abhängigkeit von ausländischen Kapitalgebern und war nach verbreiteter Auffassung mitverantwortlich für die Krise um die Jahrtausendwende. Gleichzeitig machte es neue Beistandsabkommen mit dem IWF erforderlich, die die Türkei zu Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung, Strukturreformen zur Verbesserung der Investitionsbedingungen und einem drastischen Abbau des Sozialstaats zwang.  Zeitgleich mit der Anerkennung als Beitrittskandidat 1999 durch den Europäischen Rat, freilich bei damals unbefristeter Aussetzung der Beitrittsverhandlungen bis zur vollständigen Erfüllung der sog. Kopenhagener Kriterien,   wurde das 17. Beistandsabkommen mit dem IWF abgeschossen. Seither besteht der Heranführungsprozeß der Türkei an Europa in einem Zangengriff von Europäischer Kommission und IWF zur vollständigen Übernahme des rechtlichen Besitzstands der EU durch die Türkei, wie es in der Amtssprache des Bundesaußenministeriums heißt.  Eine Art verschärfter Troika-Politik der EU (ohne EZB) gegen die Türkei.

Die Linke als ständiger Schrittmacher des Reformdrucks auf die Türkei

Ganz im Gegensatz zu der jetzigen Rhetorik in der Griechenlandfrage  war die europäische Linke in großen Teilen Schrittmacher in dem Reformdruck auf die Türkei, d.h. sie forderte ein noch strengeres Vorgehen, als durch die offiziellen EU-Gremien ohnehin schon vorgegeben war. Namentlich gilt dies für ,,Die Linke”, die (damals noch PDS) im November  2001 im Rahmen einer Anhörung der Bundestagsfraktion eigens  ihre Thesen zur deutschen Türkei Politik vorstellte.  Darin forderte sie, ,,wirtschaftlichen und politischen Druck” auf die Türkei auszuüben zur Durchsetzung der Kopenhagener Kriterien und dabei auch Bürgschaften und Kredite einschließlich des Internationalen Währungsfonds (IWF) daran zu binden. ,,Die Beitrittskandidatur hat auf dem Prüfstand zu bleiben.” heißt es in ihren Thesen. Die Kopenhagener Kriterien waren eine Teilstrecke auf dem Weg zur vollständigen Übernahme des sog. rechtlichen Besitzstands der EU. In ihrem wirtschaftlichen Teil beinhalteten sie in etwa eine funktionierende Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit,  dem Wettbewerbsdruck und dem Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten.

Die Bedeutung dieser Prüfsteine für die Türkei waren damals bereits bekannt. In die Schlußphase der  Beistandsverhandlungen zum 17. Beistandsabkommen mit dem IWF parallel zur Anerkennung des Kandidatenstatus 1999 fiel das katastrophale Erdbeben mit einem geschätzten Schaden für die Türkei von 20 Milliarden Dollar. Die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen über die dringend benötigte Kreditvergabe war die Einführung einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, die Streitigkeiten bei Konzessionsbedingungen und –verträgen regelte (also bei Vorhaben der öffentlichen Infrastruktur, die an private Unternehmen vergeben werden) . Das türkische Parlament mußte damals eigens den Art. 47 der türkischen Verfassung ändern, der bis dahin nur den Tatbestand der Verstaatlichung enthielt und in seinen zweiten Absatz die Privatisierung einführen.  Die gleichzeitig geforderten umfangreichen Privatisierungsmaßnahmen für internationale Investoren erbrachten dann nicht die erhofften Erlöse und machten neue Beistandsabkommen erforderlich. Die unsozialen Reformvorhaben stießen in der ganzen türkischen Gesellschaft auf Widerstand und äußerten sich vor allem in anhaltenden Streikbewegungen, geführt von dem Gewerkschaftsdachverband Türk-Is und dem revolutionären Dachverband DISK.  Unter anderem durfte die Türkei die Gehälter ihrer Beamten im Haushaltsjahr 2000 nur um 25% erhöhen, bei einer damaligen Inflationsrate von 60%! Trotzdem hieß es in den Thesen der PDS, daß die ,,demokratischen und oppositionellen Kräfte” in der Türkei auf den ,,externen wirtschaftlichen und politischen Druck” setzten.

Die Politik der Regierung Erdogan hat die Türkei aus der Abhängigkeit von IWF und EU-Kommission befreit

Die türkische Regierung hat im Mai 2013 die restliche Rate der Kredite an den IWF zurückgezahlt.  Bereits 2010 hatte Erdogan weitere IWF Kredite abgelehnt mit der Bemerkung, er wolle sich von dem Fonds nichts mehr sagen lassen. Die Druckmittel auch der EU-Gremien gegenüber der Türkei in den EU-Beitrittsverhandlungen sind daher inzwischen begrenzt, bei einem ohnehin spürbar nachlassenden Interesse seitens der Türkei.  Im Bewußtsein der türkischen Bevölkerung hat Erdogan damit den IWF ,,rausgeschmissen”, und das ist für die Türkei eine Frage der nationalen Ehre. Erdogan genießt für diese Politik, die die Türkei in die Unabhängigkeit geführt hat, die Unterstützung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung. Die Türkei entwickelt sich nun vom Schuldner zum Kreditgeber gegenüber dem IWF und fordert mit anderen Ländern selbstbewußt eine Änderung der Machtstrukturen im IWF zugunsten der Schwellenländer. Ironischerweise wird der gewählten Präsident wegen  dieses neuen Selbstbewußtseins  des ganzen Landes in der Wahrnehmung  der westlichen, und hier vor allem der linken Öffentlichkeit in die Nähe eines,,Diktators” oder wenigstens ,,neuen Sultans” gerückt.

Die Türkei könnte in der Frage von Ehre und Würde für eine überwiegend linke Syriza Regierung Vorbild sein. Doch diese geht andere Wege. Sie setzt politisch auf ein Interesse der EU und des Westens an einer stabilen Front vor allem in den eskalierenden Konflikten in Osteuropa und wirtschaftlich auf die innovativen Kräfte eines Finanzmarktkapitalismus, die auf eine Neuordnung Europas drängen. Dabei haben Syriza und ihre Unterstützer wie ,,Die Linke” oder Attac mächtige Verbündete, namentlich in dem ehemaligen Vize-Präsidenten bei Goldman Sachs und jetzigem EZB Präsidenten Mario Draghi, dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, dem französischen Präsidenten Hollande und seines U-Boots in der Kommission, dem EU-Kommissar  Moksovici,  u.a. Aber das wäre das Thema für einen anderen Beitrag. (2)

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(1) FAZ 9.3.2015

(2) siehe dazu auch vorstehenden Beitrag ,,Griechisches Lehrstück” http://peterkoch.twoday.net/stories/griechisches-lehrstueck/

Montag, 23. Februar 2015

Griechisches Lehrstück

Gemessen an ihrem vollmundigen Auftreten haben die smarten Rebellen aus Athen in Brüssel vor allem erst einmal eine peinliche Niederlage erlitten.  Statt die Troika zu entmachten, mussten sie vor der versammelten Eurogruppe die Hosen runterlassen und versprechen, in Zukunft wieder lieb zu sein. Ist es daher nicht auch peinlich, wenn Tsipras diese Niederlage nun als gewonnene Schlacht verkündet? Teils teils. So ganz Unrecht hat er damit nicht. Nachdem es eine Zeitlang so aussah, als könnte der Eurovorhang für Griechenland fallen, haben sich Syriza und die Finanzminister der Eurogruppe zunächst einmal auf die Fortsetzung der Konkursverschleppung zu Lasten Dritter geeinigt, und das sind im Falle Griechenlands die öffentlichen Kassen der anderen Euro Länder.  Was anderswo der Strafverfolgung unterliegt,  der gerade der sprichwörtliche kleine Mann nicht entkommt, kann hier aus politischem Kalkül für beide Seiten als Erfolg gefeiert werden. So weit sind beide Seiten nämlich gar nicht voneinander entfernt.  Wenn Tsipras und seine halbstarke Rebellentruppe die Troika und die Politik der Währungsunion angreift, dann muß man zuallererst anmerken, daß dies eigentlich gar nicht so gemeint ist.

Alles nicht so gemeint

Die Troika verlangt von Griechenland ein umfangreiches Privatisierungsprogramm, das das Land dem Ausverkauf an ausländische Investoren preisgibt:  Unter anderem  Verkauf von Aktien des staatlichen Energierunternehmens PPC mit dem Verlust der Aktienmehrheit, Verkauf von griechischen Inseln und Küstenstreifen,  Verkauf des ehemaligen Athener Flughafens Ellinikon sowie der Privatisierung der Immobilien.  Schon kurz nach Regierungsantritt kündigte die Regierung den Stopp des Privatisierungsprogramms an und legte vorerst die weitere Privatisierung des Hafens von Piräus aufs Eis.  Auf diesen haben freilich die Chinesen bereits eine Art Anwartschaft und werden  jetzt bereits 2  Containerterminals von einem chinesischen Staatsunternehmen betrieben.   Nicht angetastet wurde die Vertragsanbahnung über den Betrieb der griechischen Regionalflughäfen durch den Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport mit der griechischen Privatisierungsagentur. (1)

Als die Troika wegen der Privatisierungsvorhaben unruhig wurde,  beeilte sich der stellvertretende Ministerpräsident Dragasakis zu versichern, daß es keinen  Stopp der Privatisierungen geben würde. Im Gegenteil wüsche sich Griechenland Investoren. Anderslautende Meldungen führte er auf die Unerfahrenheit verschiedener neuer Minister zurück.

Richtig ungemütlich wurde es für die neue Regierung, als Zweifel darüber aufkamen, ob sie die Sanktionspolitik gegen Rußland weiter mittrage. Das ließ den sonst so verständnisvollen Griechenlandversteher Martin Schulz (SPD, Präsident des europäischen Parlaments) ein “Donnergrollen” (2) vernehmen und veranlasste ihn, bei seinem Zusammentreffen mit Tsipras einmal ,,Tacheles” zu reden, schließlich sei die Regierung nicht gewählt, um Sanktionen gegen Rußland zu boykottieren.  Giannis Varoufakis stellte freilich umgehend seine eigenen diesbezüglichen Äußerungen als ein Missverständnis  hin. Die griechische Regierung hätte sich nur über mangelnde Unterrichtung durch die europäische Außenbeauftragte geärgert.

Der Wahlkampf von Syriza stand ganz im Zeichen des Rausschmisses der Troika. Tsirpas verkündete mehrfach, das Diktat der Troika zu brechen.  Kurz nach Regierungsantritt sagte  der Wirtschaftsminister Varoufakis gegenüber dem Chef der Eurogruppe  Jeroen Dijsselbloem ,,Unser Land weigert sich, mit der Troika zu kooperieren.” Das freilich erklärte er kurzerhand zu einem Übersetzungsfehler. ,,Wollen wir neue Mittel, ohne Überwachung zu akzeptieren? Nein” (3)

So kann es die neue griechische Regierung als Erfolg verbuchen, daß sie jetzt nicht mehr mit der Troika verhandelt, sondern mit Institutionen, zusammengefasst unter dem Spitznamen Trifkat , ,,Instution formerly known as the Troika” wie man in Brüssel hinter vorgehaltener Hand spöttelt.

Syriza ist nicht die Opposition gegen den Kasinokapitalismus, sondern sein Spiegelbild

Nicht alles, was Syriza sagt, ist falsch . Es trifft zu, daß die Hilfsprogramme zur Krisenpolitik zunächst die Banken gerettet hat und die Gelder zu großen Teilen nicht bei den Griechen angekommen sind. Berücksichtigt man aber die ökonomische Rolle der Banken, insbesondere in dem Währungsraum des Euro, wäre die Rettung der Volkswirtschaften ohne die Bankenrettung nicht denkbar. Die Bankenrettung im Zuge der Krisenbewältigung war der Einsicht in die sog. systemische Relevanz der Banken geschuldet, ohne die der gesamte Kapital- und Zahlungsverkehr zusammengebrochen und auch die Ersparnisse der Menschen verloren gewesen wären. Das Linksbündnis Syriza wird aber auch das politische Machtzentrum der Eurogruppe nicht mit einem Caritasverband verwechseln, sonst würde es sich nicht so eilfertig daran beteiligen, Rußlands Ökonomie absichtsvoll mit der Sanktionspolitik in den Ruin und Millionen von Russen in die Verelendung zu treiben. Sicher, in der Ukraine befindet sich der Westen im Konflikt mit Rußland.  Anlaß hierfür ist  die in Teilen in die europäische Integration strebende Bevölkerung der Westukraine. Damit aber eigentlich kein Vorbild für Syriza, das die Folgen dieser europäischen Integration am eigenen Leib erfährt und doch Anlaß für die eigene Revolte ist.  Rußland hätte Griechenland in seiner Krise sicher auch beigestanden, vielleicht sogar aus Solidarität oder historischer Verbundenheit mit seinen orthodoxen Brüdern, aber mangels ökonomischer Potenz nicht so lukrativ wie die Eurogruppe. Der Ökonomie des Raubtierkapitalismus , wie das gerne ,,kritisch” genannt wird, erzeugt eben auch die Mentalität, daß man um des schnöden Vorteils willen sogar seinen eigenen Bruder verkauft.

Daß der Zusammenbruch großer Banken eine Kettenreaktion auslöst,  der auf die gesamten sog. Realwirtschaft übergreifen kann,  hatte sich in der Tat im Fall von Lehman Brothers gezeigt.  Aus dieser Erfahrung ist das geflügelte Wort von too big to fail entstanden. Schon während des Wahlkampfs 2012 hatte Syriza Chef Tsipras den griechischen Wählern eingebläut, die Gläubiger Griechenlands würden den Bankrott Griechenlands wegen der Folgen für den ganzen Euroraum nicht riskieren. Noch nach der jüngsten Wahl tönte der neue Finanzminister Varoufakis, im Falle eines Bankrotts bräche der gesamte Euroraum wie ein Kartenhaus zusammen. Syriza setzt damit auf die Furcht vor der Kettenreaktion genau in der Logik des too big to fail, wie sie die Eigentümlichkeiten der (meistens fälschlich) sog. neoliberalen Politik hervorgebracht hat. Neoliberal ist deshalb falsch, weil diese Politik gerade das Haftungsprinzip, also die Verantwortlichkeit für eigenes Handeln, und damit ein Grundprinzip des Liberalismus außer Kraft setzt.

Die Widersprüche in der Politik Syrizas spiegeln die Widersprüche der Eurokonstruktion

Die Spekulation auf die Alternativlosigkeit der Rettungspolitik nach dem Prinzip des too big to fail war freilich für das kleine Griechenland, das bereits von dem Zugang zu den Kapitalmärkten abgeschnitten ist,  eine gewagtes Vabanquespiel. Nach Jahren der Rettungspolitik hat sich die gewaltige Schuldenlast Griechenlands fast vollständig auf öffentliche Gläubiger verlagert. Das Druckmittel – oder man muß sagen das Erpressungspotential – auf das Syriza spekulierte,  bestand daher  nur noch in der Inhaftnahme der Steuerzahler der anderen Euroländer. Insofern ist es für Syriza durchaus schon ein Erfolg, daß die Eurogruppe weiterhin bereit ist, den Rettungsgeldern für Griechenland, an denen  alleine Deutschland nach unterschiedlichen Angaben mit bis zu 85 Mrd. Euro beteiligt ist, noch weiteres Geld hinterherzuwerfen. Dazu muß man bedenken, daß bei dem Schuldenstand Griechenlands von über 175 % seines BIP nach ganz überwiegender Auffassung der Ökonomen  die Schulden niemals zurückgezahlt werden können.

Die Forderung der Eurogruppe, die Zahlungen an Reformen zu binden, die die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wieder herstellt,  hat daher eine gewisse Plausibilität. Syriza setzt dagegen die Kritik an der Austeritätspolitik, die die gegenwärtige Wirtschaftskrise erst erzeugt hätte und fordert weitere Geldzuflüsse zur Schaffung von Wirtschaftswachstum.  Mit dieser eher vulgärkeyensianischen Argumentation begründen Syriza und die mit ihr verbündeten europäischen Linken etwa die Forderung nach einem Marshallplan. Mit dem  Marshallplan erhielten die Empfängerländer Kredite in Höhe von ca. 2,1 % ihres BIPs. An Griechenland sind aber schon Rettungsgelder geflossen in Höhe von mindestens  170 % des BIPs.

Die Behauptung, erst die Austeritätspolitik habe die Krise in Griechenland erzeugt,  ist falsch. Die griechische Krise ist entstanden mit dem Platzen einer inflationären Blase, als die sich das Wirtschaftswachstum nach der Euroeinführung entpuppte.  Mit billigem Geld wurde über Jahre ein spekulatives Wirtschaftswachstum mit einem wachsenden Leistungsbilanzdefizit finanziert. Mit der Finanzkrise zeigten sich die Widersprüche in der Konstruktion der Währungsunion in dem Zielkonflikt einer Wechselkursstabilität zur Erleichterung des Kapitalverkehrs (das das Wirtschaftswachstum in den jetzigen Krisenländer erst ermöglichte) und einer Budgetbeschränkung gegen eine ausufernde Verschuldung.  Das alles kann man in den Wirtschaftsteilen der großen  Zeitungen oder etwa bei Hans-Werner Sinn nachlesen und zeigt sich fast täglich in dem Ringen um die Aufweichung der Stabilitätskriterien auch gegen geltendes Recht. Das risikoaffine Verhalten der Kapitalmärkte war vor allem der Sicherheit geschuldet, die Eurozone werde als öffentlicher Ausfallschuldner für ihre riskanten Geldgeschäfte bereitstehen. Dieses risikofreie Agieren der Banken, das durch Haftungsfreistellungen für Forderungen gegenüber den Euroländern noch gefördert wurde, ist das Wesen dessen, was H.-W.  Sinn den Kasinokapitalismus nennt.  Der Zielkonflikt zwischen inflationärem Wirtschaftswachstum und Haushaltsdisziplin der öffentlichen Kassen bestimmt noch immer die Politik innerhalb der Eurozone und das Verhältnis ihrer einzelnen Akteure zueinander.  Die europäische Linke, die sich um Kräfte wie Syriza sammelt, setzt auf das Prinzip der Gemeinschaftshaftung und eines auf Pump basierenden Wirtschaftswachstums.  Hier schließen die europaweiten linken Kräfte den Kreis mit den Interessen des nach Expansion strebenden Finanzkapitals. Aus diesem Grunde möchte auch Syriza unter allen Umständen in dem ihr doch so verhaßten Euroverbund verbleiben.

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(1) FAZ 29.1.2015

(2) FAZ 30.1.2015

(3) FAZ 2.2.2015

 

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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