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Moralische Mobilmachung gegen die Türkei

Der Papst hat mit dem moralischen Gewicht  seines Amtes die armenische Tragödie 1915 in Ostanatolien als ersten Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet und ihn als eine der ,,unerhörten Tragödien des letzten Jahrhunderts”  in eine Reihe mit den Völkermorden des Nationalsozialismus und des Stalinismus gestellt. Damit hat Franziskus mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen hat er natürlich eine politisch motivierte Kampagne gegen die Türkei losgetreten, die mit den Erklärungen des Europarlaments, der bevorstehenden Erklärung des Deutschen Bundestags und der erwarteten Rede des Bundepräsidenten fortgeführt wird. Zugleich hat er die hierzulande überwunden geglaubte Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem Kommunismus wieder reaktiviert. Ganz nebenbei hat er die christlich/westlichen kolonialen Verbrechen, wie etwa der Vernichtungsfeldzug der deutschen Kolonialisten gegen das Volk der Herero in der Zeit von 1904 und 1908 gewissermaßen exkulpiert, sie zumindest aus der Reihe der Völkermorde herausdividiert. Vor allem aber hat er den Holocaust, diese  Singularität der bürokratisch organisierten und in den Konzentrationslagern industriell vollzogenen ,,Endlösung der Judenfrage” relativiert.  Und dies zu dem Zweck, den Genozid-Vorwurf zum politisch-moralischen Waffe in den aktuellen politischen Konflikten, in denen der Westen involviert ist, zu instrumentalisieren.  

Gesinnungsdiktatur statt wissenschaftlicher Diskurs

Die Bundesregierung hat inzwischen den Begriff Völkermord in dem Resolutionsentwurf des Deutschen Bundetags zugestimmt. Die anfängliche Zurückhaltung etwa des Bundesaußenministers Steinmeiers wurde von den Oppositionsfraktionen der Linken und den Grünen,  aber auch von Abgeordneten aus den Koalitionsfraktionen  heftig als ,,Einknicken” und ,,Kuschen” kritisiert. Außerdem signalisierte das Bundespräsidialamt, dass der Bundespräsident bei seiner Teilnahme am ökumenischen Gottesdienst am Donnerstag, dem Vorabend der 100jährigen Gedenkens, deutliche Worte sprechen wird. Der öffentlich in den Medien von Politkern, Prominenten und Künstlern geführte Diskurs drehte sich alleine um die Frage eines moralischen Imperativs bei der Verwendung des Begriffs Völkermord.  (Darf oder muss man Völkermord Völkermord nennen?) ohne jeden empirischen Bezug . Diese Art des Diskurses  signalisierte eine Wendung in der Bewertung geschichtlicher Ereignisse von der inhaltlichen Aufarbeitung (Wissenschaft)  hin zu einer reinen Gesinnungsfrage und zu vollmundigen Bekenntnissen, die ihrerseits wieder politischen Opportunitäten folgen. Auf der nächsten Stufe steht sodann die strafbewehrte Vorschrift über die richtige historische Sichtweise. Unter Sarkozy wurde die Leugnung des Völkermors an den Armeniern  bereits für strafbar erklärt, in der offensichtlichen Absicht, sich die Wählerstimmen der armenischen Diaspora zu sichern. Das Gesetz wurde aber von französischen Verfassungsrat für verfassungswidrig erklärt. In der Schweiz (sowie in einer Reihe anderer europäischer Staaten) gibt es ein entsprechende Gesetz. Aufsehen erregte der Fall Perincek, der nach diesem Gesetz von den Schweizer Gerichten verurteilt wurde und deshalb vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) zog. Die kleine Kammer des EGMR hob die Verurteilung  aber u.a. unter Verwies darauf, dass die Frage des Genozids an den Armeniern  unter Historikern umstritten sei, auf. Das Urteil ist aber nicht rechtskräftig, weil die Schweiz die große Kammer angerufen hat.

Die Haltung der Bundesregierung zu den Massakern an den Armeniern …

Die hier interessierenden historischen Ereignisse in den Kriegswirren 1915 in Ostanatolien  werden von den Historikern einhellig als eine Tragödie für die Armenier bewertet. Daran kann es gar keine Zweifel geben. Darin stimmen auch türkische Historiker wie auch die türkische Politik mit überein. Auch zum jetzigen Jahrestag drückt die türkische Politik wieder ihr Bedauern und ihre Anteilnahme aus. ,,Mit Respekt erinnern wir uns der der unschuldigen osmanischen Armenier, die ihre Leben verloren, und bieten ihren Nachfahren unser tief empfundenes Beileid an.” , so Ministerpräsident Davutoglu (AKP) in einer jüngsten Erklärung. (1) Keineswegs unstreitig unter Historikern ist allerdings  die Qualifizierung als Völkermord, also der Wille und die Absicht der Vernichtung des armenischen Volkes im Sinne der UN-Völkermordkonvention.

Die Ereignisse, die zu der Katastrophe der Armenier von 1915 führten, waren durch Krieg und Bürgerkrieg in Ostanatolien vor und während des ersten Weltkrieges bestimmt, in dem die Armenier im Zuge des sich  formierende armenischen Nationalismus einen blutigen Guerillakrieg mit terroristischen Anschlägen führten und im Krieg offen mit Russland kollaborierten. ,,Die Bilanz der Gräueltaten armenischer Kämpfer, vor allem im Zusammenhang mit dem Rückzug russischer Truppen, ist nicht gering.” (2)

In Ostanatolien gab es schon um die Jahrhundertwende 1894 und in der Folgezeit  sowie 1909 Pogrome gegen die armenische Bevölkerung. Erstere Massaker wurden durch die von dem damaligen Sultan Abdülhamid II aufgestellten kurdischen Milizen, den sog. Hamidiye, begangen.  ,,Zwischen Armeniern und Kurden entwickelte sich eine Atmosphäre des ,wir oder sie’ ”(3)  Von dem kurdischen Beitrag an den Armenier-Massakern zu reden, ist heute politisch aber eher unschicklich wegen der oppositionellen Haltung der Kurden in der heutigen Türkei. Diese reicht jedoch zurück bis zu den frühen Kurdenaufständen gegen die junge türkische Republik unter Atatürk, der ein Gegner der Armenierpolitik des untergehenden Osmanischen Reichs war, die unter der Führung ihrer Scheichs und Agas noch stark dem Osmanischen Reich und dem Kalifat verhaftet waren.

Die Pogrome von 1909 wurden  von der Istanbuler Regierung mit Schärfe verurteilt und 124 muslimische Beschuldigte landeten am Galgen. (4)

Erst die Weigerung von England, Frankreich und Russland, die Grenzen des Osmanischen Reichs zuzusagen,(3) trieb die damalige osmanische Regierung der Jungtürken an die Seite der Mittelmächte, die ansonsten ein Krieg mit England eher vermeiden wollten.  Durch einen Aufstand der Armenier in Van vom 20.4. – 17.5.1915 gelang es den Russen, die Stadt zu besetzen. Dies war der Auslöser für die Verhaftung prominenter Armenier, ein Datum, das nun als Beginn der armenischen Katastrophe gilt.

In dieser Lage wurde das Gesetz über die Bevölkerungsumsiedlung v. 27.5.1915 beschlossen. Dass es bei dieser Umsiedelung zu Greueltaten kam , u.a. durch Wegelagerer und Übergriffe der ansässigen Bevölkerung , ist ebenso unbestritten – auch auf türkischer Seite, wie auch der massenhafte Tod durch Hunger und Seuchen. Auch der damalige Parlamentspräsident Ahmet Riza hatte dagegen wiederholt  – erfolglos – Einspruch erhoben. Ein gezielter Vernichtungswille, gar aus rassistischen Motiven, ist daraus jedoch nicht abzuleiten. Vor allem existiert kein  Nachweis im Sinne einer Anordnung zum Massenmord, weshalb es aber nicht gesichert ist, dass es einen solchen nicht gegeben hat.  ,,Es gab (aber) eine Fülle von Anordnungen, die den osmanischen Befehlshabern eine geordnete und humane Abwicklung der Transporte vorschrieben.” (2) So ist es zumindest unter Historikern fraglich und umstritten, wie weit eine zu der damaligen Zeit mit der Umsiedelung überforderten ottomanische Bürokratie für die Katstrophe mitverantwortlich ist, denn auch die muslimische Bevölkerung erlitt in dieser Zeit unsägliches Leid durch Krieg, Hunger und Epidemien.  Die über die Medien im Vorfeld des Gedenktags suggerierte Eindeutigkeit und den Konsens unter Historikern über den  ,,Genozid” ist falsch. Auch ein historischer Laie kann sich durch Hinzuziehung der einschlägigen Literatur davon überzeugen.  ,,Die Annahme, das Istanbuler Regime hätte …von Anfang an auf eine Beseitigung der wirtschaftlich mit Muslimen konkurrierenden christlichen Bevölkerung gesetzt, geht sicher zu weit.” so bspw. Kreiser  (2)  Berücksichtigt werden müssen wohl auch die Opferzahlen unter der muslimischen Bevölkerung im Zusammenhang mit Krieg und Bürgerkrieg. ,,Bis 1918, als die russische Armee sich wegen der Oktoberrevolution teilweise auflöste, wurden erst im Gebiet von Van, Mus und Bitlis und dann auch in Erzurum und Erzincan der größte Teil der nicht geflohenen muslimischen Bevölkerung getötet. Der Blutzoll Anatoliens in dieser Zeit überstieg alle Maße.” (5) Ein Gleichsetzung der armenischen Tragödie mit dem Holocaust, wie sie Papst Franziskus vornimmt, verbietet sich jedenfalls offensichtlich.

Gerade weil es die Anordnung eines Massenmords nicht gibt, sollte die Aufarbeitung der historischen Ereignisse den Historikern vorbehalten bleiben und nicht marktschreierischen Moralisten, die sich um die geschichtlichen Tatsachen überhaupt nicht kümmern. Anstatt die Türkei mit dem Vorwurf völkerrechtlicher Bestimmungen (Genozid) zu provozieren , sollte die möglichst gemeinsame empirische Forschung der Geschichte der Versöhnung beider Völker den Weg bereiten, die durch die diplomatischen Provokationen nur hintertrieben werden.

….und in der Frage des Massenmords an den Herero

Im Gegensatz zu der armenischen Katstrophe liegt ein gezielter rassistischer Vernichtungswille im Falle des Kolonialkrieges gegen die Herero nahe, denn hierfür gab es einen Vernichtungsbefehl des Generalleutnants von Trotha ,„Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Dazu gehören auch überlieferte Zitate wie ,,Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss” (von Trotha) oder des Chefs des Generalstabs Alfred Graf von Schlieffen ,,Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.” Gleichwohl verweigerte Bundespräsident Roman Herzig 1998 bei einem Besuch  in Namibia die Entschuldigung für den Völkermord an den Herero und Nama.

Auf eine Kleine Anfrage der Linken am 14.8.2012,  ob mit dem Begriff des Genozids aus Sicht der Bundesregierung auch historische Massaker vor 1948 entsprechend den Kriterien der UN-Völkermordkonvention als historische Fallbeispiele für Genozide charakterisiert und gewertet werden können,  namentlich auf  die „Massaker an den Herero in Afrika“ bezogen , antworte die Bundesregierung

,,Bewertungen historischer Ereignisse unter Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen, die im Zeitpunkt dieser Ereignisse weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für irgendeinen anderen Staat in Kraft waren, werden von der Bundesregierung nicht vorgenommen.”

und auf Nachfrage

,,Wie die Bundesregierung wiederholt ausgeführt hat, sind völkerrechtliche Bewertungen von historischen Ereignissen nur unter Anwendung der im Zeitpunkt dieser Ereignisse geltenden völkerrechtlichen Regeln und Bestimmungen und unter Zugrundelegung der historischen Fakten des konkreten Sachverhalts zu beurteilen. Was die historischen Fakten betrifft, so sind diese Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.” (6)

Natürlich drängt sich auf, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Doch hatte die Bundesregierung mit ihrer Antwort grundsätzlich recht, auch wenn dies einzugestehen im Zusammenhang mit den deutschen Kolonialverbrechen (und der anderer Kolonialmächte) schwer fällt.  Zumal es in diesem Fall um die Bewertung der eigenen Geschichte geht. Die strafrechtliche Würdigung eines vergangenen Ereignisses, zu dem es die Strafnorm noch nicht gab, kann nicht nach den heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Politik bestimmt werden. Erst recht kann die  wissenschaftliche Bewertung von historischen Ereignissen nicht von der Politik vorgeschrieben werden, sondern ist der empirischen Forschung und dem freien wissenschaftlichen Diskurs vorbehalten.  Ein notorisches Bekennertum kann zudem auch in die falsche Richtung führen, wenn daraus geradezu eine moralische Überlegenheit abgeleitet wird. Die Deutschen haben alleine  mit dem Holocaust eine schwere moralische Last zu tragen. Nimmt man sie wirklich ernst, sollte daraus eher ein wenig Demut erwachsen und gerade nicht die Legitimation,  weltweit als  moralischer  Oberlehrer wie Joachim Gauck aufzutreten.

……………………………………………..

(1) FAZ 22.4.2015

(2) Kreiser, Neumann; Kleine Geschichte der Türkei, 376

(3) Seuffert, Kubasek; Die Türkei., S. 78

(4) Kreiser, Neumann, 374

(5) Seuffert, Kubasek, S. 79 mit Nachweisen

(6) Deutscher Bundestag, Drucksache 17/10841, 14.8.2102

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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