Zum Tod Gaddafis
Am 21. Oktober 2011 bejubelten die Medien den Tod Gaddafis . “Jubel in Libyen” betitelte die Frankfurter Rundschau ihre Frontseite. Im Leitartikel dieser Seite befasste sich eine Frau Julia Gerlach ebenfalls mit diesem Thema unter der Überschrift “Ein Grund zu feiern.” “Der Tod von Muammar al-Gaddafi ist erst einmal ein Grund für eine Party.” meine sie.
Auch der Leitkommentar der Heidelberger “Rhein-Neckar-Zeitung” desselben Tages feierte den Tod Gaddafis als “Tag der Befreiung”. Damit sei ein “wichtiges Kapitel des arabischen Frühlings abgeschlossen.” Allerdings bestünden noch offene Fragen, von denen die RNZ folgende ins Zentrum rückte: “Wieso wurde er nicht – wie im UN-Mandat vereinbart – vor Gericht gestellt? Zwar wäre ihm, dem Massenmörder”, so der Kommentar weiter, “auch dann das Todesurteil sicher gewesen. Aber das zerstörte Libyen hätte Gelegenheit gehabt, seine jüngere Geschichte aufzuarbeiten.”
Dieser Kommentar gab Anlaß für folgenden Leserbrief an die Redaktion der RNZ:
“Befremdlich
Die medialen Freudenschüsse in der westlichen Welt über Gaddafis Tod lassen einen schaudern, deuten die Umstände doch auf einen barbarischen Akt der Lynchjustiz. Solch feinsinnige rechtsstaatliche Distinktionen scheinen im revolutionären Übereifer keine Rolle mehr zu spielen. Nach dem Kommentar von Klaus Welzel (RNZ v. 21.10.2011) hätte Gaddafi nach dem UN-Mandat eigentlich vor Gericht gestellt werden sollen. Aber auch dort wäre ihm ein Todesurteil sicher gewesen, so Welzel. So kommt es also auch schon nicht mehr drauf an. Bestürzend, wie sich hier der Wertewandel in der westlichen Welt offenbart. Das Gericht als Revolutionstribunal, bei dem das Todesurteil schon vorher feststeht! Was spielt es da noch für eine Rolle, dass der Internationale Strafgerichtshof die Todesstrafe gar nicht vorsieht?”
Der Leserbrief – wohl der erste, den ich je geschrieben habe, wurde selbstredend nicht abgedruckt und gab daher einen weiteren Impuls für diesen im Aufbau befindlichen Blog.
Tatsächlich wurde vor Beginn der Natointervention in Libyen Anklage gegen Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof erhoben, und zwar auf Betreiben des Sicherheitsrats. Getragen war die Anklage damit im Wesentlichen von den Interventionsmächten selbst. Der Luftkrieg der Nato war immer auch eine gezielte Jagd auf Gaddafi und – in einer Variante der Sippenhaft – auf seine Familie. Am 26.4.2011 meldete dieselbe Zeitung (RNZ) beispielsweise: “Mit neuen Luftangriffen auf Tripolis hat die Nato Gebäude einer Residenz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi in Schutt und Asche gelegt. Dabei wurden nach offiziellen libyschen Angaben 15 Menschen schwer verletzt.” Am 2.5.2011 wurde bei einem gezielten Luftangriff der Nato auf ein Haus in Tripolis der Sohn Saif al-Arab al Gaddafi getötet, ein an der Politik nicht beteiligter Mensch, der angeblich in München ein Jetsetleben führte. Klaus Welzel, der schon zitierte Kommentator der RNZ kommentierte schon damals unter dem Titel “Der tote Sohn” , “Es hieße Krokodilstränen weinen, würde man in besonderer Erschütterung den Tod von Gaddafis Sohn betrauern.” (RNZ v. 2.5.2011) Die Rhein-Neckar-Zeitung zitierte in der gleichen Ausgabe sinnigerweise die Äußerungen des US-Senatsabgeordneten Lindsay Graham, der laut RNZ der britischen Zeitung “The Economists” gegenüber geäußert hat, “Geht nach Tripolis, beginnt Gaddafis engeren Zirkel zu bombardieren,” und weiter, “Ich denke, es sollte im Mittelpunkt stehen, der Schlange den Kopf abzuschlagen. Das ist der schnellste Weg, diese Sache zu beenden.” (RNZ v. 2.5.2011) Die Nato hat jetzt auch sehr schnell zugegeben, daß sie auch den Konvoi bombardiert hatte, in dem sich Gaddafi befand und aus dem heraus er gefangen und sodann gelyncht wurde. Die Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof war wie im Falle Jugoslawiens von Beginn an Teil der strategischen Kriegsführung. Die Kriege des Westens nehmen mehr und mehr die Form einer gnadenlosen Menschenjagd an, und die Aggressoren bedienen sich dabei ihrer Weltjustiz mit dem Ziel, die Bewegungsfreiheit des Gegners einzuengen und vor allem, um in der Weltöffentlichkeit eine Vorverurteilung herbeizuführen.
Es verwundert daher wenig, wenn in diesem Klima einer verfallenden Rechtskultur ein mittelmäßiger Kommentator einer regionalen Tageszeitung die allgemeine Verrohung schon so weit verinnerlicht hat, daß für ihn die Justiz schon gar nicht mehr der Klärung einer evtl. Schuldfrage dient, sondern alleine der “Aufarbeitung der Geschichte” in einem Verfahren gegen einen bereits vorverurteilten Angeklagten. “Der schnelle Tod des Hauptfeindes”, meint er im Hinblick auf diese verpasste Gelegenheit, “zeigt eben auch, wie weit das Land nach Jahrzehnten der Tyrannei von einem Rechtsstaat entfernt bleibt.” Der kritische Leser aber sollte sich fragen, wie weit wir uns im Westen von dem Rechtsstaat bereits verabschiedet haben.
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