Neue Weltordnung II: Neuausrichtung der US-Militärstrategie
Vorbemerkung
Der Begriff der neuen Weltordnung wurde erstmals von dem damaligen amerikanischen Präsidenten Bush sen. 1991 im Zusammenhang mit dem sog. zweiten Golfkrieg eingeführt. Der erste Beitrag zum Thema Neue Weltordnung befasst sich mit dem seitherigen Verfall der völkerrechtlichen Friedensordnung, der mit dem Libyenkrieg ein neues Stadium erreicht hat. Mit dem nachstehenden Beitrag werden im Kontext einer werdenden neuen Weltordnung Aspekte einer strategischen Neuausrichtung der US-Militärstrategie behandelt, soweit sie sich aus der zugängigen Berichterstattung der Tagespresse erschließen.
Kostengünstiger, effizienter, schlagkräftiger
Im Januar dieses Jahres meldeten die Medien eine neue strategische Ausrichtung der amerikanischen Streitkräfte verbunden mit Einsparungen im Verteidigungshaushalt von bis zu einer Billion Dollar in den nächsten zehn Jahren. Aber auch die Ausgabenkürzungen, die in Wahrheit nur eine Drosselung der Mehrausgaben sind, bedeuten nicht den militärischen Rückzug der USA aus dem Weltgeschehen, sondern dienen dem effizienten Ausbau der militärischen Dominanz unter veränderten weltpolitischen Herausforderungen. Die FAZ vom 6. Januar zitiert den US-Präsidenten Obama mit den Worten,
“Ja, unsere Streitkräfte werden kleiner sein, aber die Welt muß wissen, dass die Vereinigten Staaten ihre militärische Überlegenheit behalten werden und dass unser Militär schnell und flexibel auf alle Bedrohungen und Herausforderungen reagieren wird.”
Von den geplanten Einsparungen gibt es zwei Ausnahmen, die äußerst aufschlußreich für die Schwerpunkte der strategischen Neuausrichtung sind. Die eine betrifft die geostrategische Ausrichtung auf den asiatisch-pazifischen Raum. “Wir werden im Gegenteil unsere Präsenz im pazifischen Raum ausbauen,” sagte Vereidungsminister Panetta im Oktober beim Besuch der Verbündeten Japan und Südkorea. (1) Die zweite wesentliche Ausnahme betrifft die Ausgaben die Flugzugträgerflotte, die digitale Kriegsführung sowie die Aufklärung und Überwachung. (2)
Eine Schlüsselrolle für die Änderung an der amerikanischen Militärdoktrin spielt der Libyenkrieg. Erstmals praktizierten die USA hier die “Obama-Doktrin” des Führens aus der zweiten Hand. Mit der strategischen Konzentration auf den pazifischen Raum sind der Nato und den vornehmlich europäischen Verbündeten ein größerer militärischer Eigenanteil zugedacht. Aber vor allem stellt der Libyenkrieg einen Wendepunkt in der strategischen Kriegsführung selbst dar. Er fällt zusammen mit der Aufgabe der sog. Zwei-Kriege-Doktrin durch Obama, wonach die USA nicht mehr in der Lage sein müssen, zwei große Landkriege gleichzeitig zu führen. Damit ziehen die USA die Lehren aus den Fehlern des Irak- und Afghanistankrieges. Das bedeutet nicht etwa eine selbstauferlegte teilweise Abstinenz, sondern die Änderung in der Art der Kriegsführung. Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Lothar Rühl beschäftigt sich in der FAZ mit den strategischen Lehren aus dem Libyenkrieg und betont zunächst “die entscheidende Wirkung der vollkommenen Luftüberlegenheit” (3 )
Aus den Fehlern im Irak und in Afghanistan lernen
Aus dieser ersten libyschen Lektion, wie er das nennt, folgt die “Präferenz von Operationen aus der Luft, auch und künftig mehr mit Drohnen und Marschflugkörpern.” Für diese Art der Kriegsführung genügen am Boden der Einsatz einiger subversiv arbeitender Spezialkommandos, die die operative Leitung der am Boden kämpfenden Verbündeten übernehmen. Dies führt direkt zu der zweiten libyschen Lektion.
Der Libyenkrieg bedeutet auch deshalb historisch eine Zäsur, weil es dem Westen mit der Res. 1973 gelang, die bestehenden rechtlichen Hemmschwellen für einen Angriffskrieg weiter einzureißen. Im ersten Beitrag zur Neuen Weltordnung wurde ausgeführt, wie mit der Resolution des Sicherheitsrats die Eingriffsvoraussetzungén für eine Militärintervention herabgesetzt wurden auf die bewußt einseitige Unterstützung eine Bürgerkriegspartei. Der politisch gewollte Regimewechsel sollte auch dann noch für eine rechtliche Legitimation der Intervention herhalten, wenn dadurch eine ansonsten bereits zum Scheitern verurteilte Aufstandsbewegung doch noch zu einer siegreichen Revolution geführt werden konnte. Der Westen hat damit die Konsequenzen gezogen aus den Fehlern der beiden vorangegangen großen Landkriege, die in ihrem Ansatz aber bereits dem gleichen Ziel gedient haben. Diese strategische Lehre erläutert Lothar Rühl wie folgt:
“Die zweite libysche Lektion liegt in der Verfügbarkeit zuverlässiger Verbündeter in dem Land, in dem militärisch eingegriffen werden soll. Eigene Luftlande- und Seelandestreitkräfte wie Spezialeinsatzkräfte sind dafür zwingend, wenn einheimische Kräfte wie die ´Nordallianz`in Afghanistan und die libyschen Aufständischen nicht vorhanden sind oder schnell entstehen. Das war die Schwäche im Irak, die bis zum erklärten Abschluß der Intervention im Oktober 2011 (mit Ausnahme einiger sunnitischer Stammesmilizen) andauerte. Hier liegt noch immer die Schwäche in Afghanistan.”
Mit den Änderungen an der Militärdoktrin durch die Obama-Administration gelingt dem Westen gegenwärtig gleichzeitig die ideologische Befreiung aus den Fesseln, die ihm die öffentliche Meinung in den langandauernden, teuren und aus Sicht des Westens verlustreichen Landkriegen zunehmend auferlegen. Der arabische Frühling hat dem Ausbau der politischen und militärischen Dominanz des Westens und insbesondere der USA erheblichen Auftrieb verschafft. Neben der militärischen führt auch die politische und ideologische Vereinnahmung des arabischen Frühlings durch den Westen zu einer Zäsur und zu einer seit dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr dagewesenen Symbiose der öffentlicher Meinung mit der strategischen Kriegsführung der westlichen Kommandozentralen. Begonnen hat dies bereits damit, daß die kreative Wortschöpfung “UN-Mandat” zu einer schleichenden Akzeptanz von militärischen Interventionen führte, sofern der Sicherheitsrat der Nato die Absolution erteilt. Ähnlich schablonenhaft knüpfen die ideologischen Reflexe an die Bürgerkriegssituation als Eingriffsermächtigung an , indem die Niederschlagung eines bewaffneten Aufstands einhellig als gewaltsames Vorgehen “des Regimes” gegen das eigene Volk gebrandmarkt wird und ebenso schwerbewaffnete und mitunter terroristisch operierende Aufständische umstandslos zu Zivilisten erklärt werden. Diese einseitige Ausrichtung der öffentlichen Meinung an der schwindender Akzeptanz der Legitimität staatlicher Auufstandsbekämpfung (und damit des staatlichen Gewaltmonopols) wird begleitet von einem Prozeß zunehmender Akzeptanz einer globalen militärischen Aufstandsbekämpfung. In Afghanistan etwa erscheint der Einsatz militärischer Gewalt, zumindest zur gezielten Aufstandsbekämpfung, völlig unproblematisch. Aufschlußreich insoweit Christian Bommarius in der Frankfurter Rundschau,
“In Afghanistan herrscht ein bewaffneter nicht-internationaler Konflikt. Hier sind Schläge gegen militärisch operierende Einheiten ebenso gestattet wie gegen einzelne Aufständische. Deren Tötung ist nicht nur in direkter Konfrontation zulässig, sondern auch beim Essen und im Schlaf . (4)
Jederzeit, überall, mit allen Mitteln
Mit der Res. 1973 nutzte der Westen die Gunst der Stunde, daß er diplomatische Unterstützer auch im arabischen Lager hatte. Dem Zerfallsprozeß des arabischen Lagers und dem ihn begleitenden Bedürfnis nach Begleichung alter Rechnungen war es geschuldet, daß ausgerechnet die libanesische Hizbullah maßgeblich daran beteiligt war, den USA im Sicherheitsrat die diplomatische Vorlage für den Libyenkrieg zu liefern. Der Zynismus, mit dem die USA sich für den insoweit begrenzten Libyenkrieg den Schein einer völkerrechtlichen Legitimität verschaffte, darf allerdings nicht davon ablenken, daß der Westen – und allen voran die USA – sich bereits weltweit und grenzenlos in einem permanenten Krieg befinden. Nach wie vor beanspruchen die USA dafür als völkerrechtliche Grundlage die Res. 1373 des Sicherheitsrats vom 28.9.2001, die damals als Reaktion auf 9/11 erging. Die USA beanspruchen daraus für sich, jederzeit, überall und mit allen Mitteln den Bedrohungen von Frieden und Sicherheit durch terroristische Handlungen entgegenzutreten. “Mit allen Mitteln “ haben sich die USA in die Resolution schreiben lassen, um den Antiterrorkrieg ohne jede geographischen, rechtlichen und militärischen Schranken führen zu können.
Drohnenkrieg und …..
Obama, der den Antiterrorkrieg nur nicht mehr so nennt, stützt sich dabei weiterhin auf die im gleichen Jahr ergangene Ermächtigung des Kongresses “zum Einsatz aller notwendigen und angemessenen Gewalt.” Unter Obamas Führung haben sich die Mittel mehr und mehr auf den Einsatz von Spezialkommandos und vor allem auf die Intensivierung des Drohnenkriegs verschoben. In mindestens sechs Ländern, Afghanistan und Pakistan, Irak und Libyen sowie in Somalia und im Jemen setzen die USA Drohnen ein.
Seit Obamas Amtsantritt sollen alleine in Pakistan mehr als 1500 mutmaßliche Taliban und Al-Qaida Kämpfer durch Drohnen getötet worden sein, vornehmlich wohl bei der Bekämpfung der Aufstandsbewegung in Süd Waziristan. Diese Zahl betrifft nur die gezielten Tötungen, nicht die Gesamtzahl der Opfer auch durch sog. Kollateralschäden. Und dies, obwohl die USA weder gegen noch in Pakistan offiziell Krieg führen.
Die Angriffe auf Somalia und die Arabischen Halbinsel werden bisher hauptsächlich von dem Stützpunkt in Djibouti aus geflogen. Daneben wurden im letzten Halbjahr Stützpunkte ausgebaut in Arba Minch auf einem Flughafen in Äthiopien sowie auf den Seychellen im Indischen Ozean sowie weitere geheime Basen auf der Arabischen Halbinsel und im Osten Afrikas. “Ziel des Ausbaus der Drohnenstützpunkte ist
Schaffung eines Netzes sich überlappender Flugzonen, die eine fortgesetzte Überwachung der von den Terrororganisationen kontrollierten Gebiete ermöglicht.” (5)
Auch hier operieren die US-Militärs mit verbündeten äthiopischen bzw. kenianischen Bodentruppen.
Todeslisten
Ausgestattet sind die unbemannten Flugkörper vom Typ “Predator” und “Reaper” mit satellitengesteuerten Lenkwaffen oder mit Hellfire -Raketen; nochmals zum Mitschreiben –HELLFIRE -. Ihr Zweck ist neben der gezielten Liquidierung von Aufständischen die Verbreitung von Angst und Schrecken.
Mit dem Ausbau der Drohnenstützpunkte verlagert sich die operative Kriegsführung zugleich auf den jeglicher Kontrolle entzogenen Auslandsgeheimdienst CIA. Im letzten September wurde der amerikanische Staatsangehörige und “Haßprediger” Anwar Al Aulaqi sowie der fünfundzwanzigjährige pakistanischstämmige Amerikaner Samir Khan im Jemen bei einem Drohnenangriff gezielt getötet. Im August die mutmaßlichen Al Qaida Führer Pakistans Al-Shari und Abd-al Rahman im pakistanischen Waziristan. Die Liste der gezielten Tötungen ist lang und zeigt, daß niemand auf der Welt der Präzision der hoch technologisierten Tötungsmaschinerie entkommen kann, wenn man auf den Todeslisten der CIA oder den US-Militärs steht. Gesteuert wird sie von der Luftwaffenbasis Creech im amerikanischen Bundesstaat Nevada vom heimischen Computer aus mit dem Joystick, ohne eigene Gefahr für die eigenen Streitkräfte. Laut Frankfurter Rundschau testet das Pentagon bereits Drohnen, die bis zum vollautomatischen Abschuß als autonome Kampfmaschinen agieren. Es ist dabei nur ein scheinbares Paradoxon, daß die USA teilweise die gleichen Kräfte, die sie weltweit verfolgen, in Ländern wie in Libyen oder Syrien als nützliche Verbündete am Boden nutzt.
Die Aufgabe der Zwei-Kriege-Doktrin ist irreführend. Die militärischen Anstrengungen werden strategisch gebündelt zu einem einzigen weltweiten Krieg mit einer flexible Anpassung an die örtlichen, politischen und taktischen Gegebenheiten. Dieser Krieg ist durch nichts legitimiert, weder demokratisch noch durch legitime Hoheitsgewalt oder historisch anerkannte Souveränitätsrechte, allesamt moderne republikanische Prinzipien, die in diesem Krieg untergehen. Dieser Krieg stützt sich alleine auf den Zynismus der Macht.
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1) FAZ, 15.11.11
(2) FAZ, 6.10.11
(3) FAZ, 18.1.12
(4) FR, 4.10.11
(5) FAZ, 22.9.11