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Finanzkrise

Sonntag, 22. März 2015

EZB Proteste–Rauchzeichen über Frankfurt

Brennende Autos, Barrikaden und Rauchschwaden über Frankfurt, ,,Krass”, zitiert die Frankfurter Rundschau einen jungen Demonstranten, der beim Cappuccino im Starbucks  die Bilder der Demos im Smartphone verfolgt. Abgesehen aber vom Spaßfaktor eines solchen Events, was signalisieren die Rauchzeichen eigentlich, welches politische Signal geht von ihnen aus?  Außer der Empörung der Polizeigewerkschaft und einigen pflichtschuldigen Verurteilungen der Gewaltexzesse ist einer Krawallveranstaltung selten so viel Sympathie aus dem politischen Establishment entgegengeweht. Selten konnten sich die Organisationen und Unterstützer  des ,,Protests”, die selbst weit in den etablierten Politik- und Medienbetrieb hineinreichen, schon im Vorfeld so offen zu den angekündigten Rechtsbrüchen bekennen und anschließend den Erfolg ihrer Sache bejubeln, ohne auch nur annähernd in den Verdacht des Aufrufs zu Straftaten zu gelangen. Irgendwie lag für die bürgerliche (Medien-) Öffentlichkeit der Geruch von Freiheit in der Luft und das Signal von Aufbruch.  Das Medienecho und die äußerste Milde des Rechtsstaats, wo sonst die äußerste Härte regiert, ließ erkennen, hier entlud sich nicht der Zorn einer verelendeten Masse oder einer ausgegrenzten Minderheit aus dem ,,Prekariat”. Hier feierte sich eine avancierte bürgerliche Zivilgesellschaft in ihrem zivilen Ungehorsam.  Für die Abgeordnete Heike Hänsel von der Linken, nicht eben unmaßgeblich an der Organisierung des Protests beteiligt, winkten die (Rauch-) Zeichen der Freiheitsbewegung von dem  Maidan herüber. Nanu?  Auf dem Maidan haben sich die Menschen versammelt, um eine gewählte Regierung zu stürzen, die der EU die kalte Schulter gezeigt hat. Die Freiheit des ,,Euromaidan” hatte einen Namen und der hieß ,,Europa” inkl. der IWF Reformauflagen und der politische Aufsicht durch die EU-Kommission. 

Scheitert Syriza, scheitert Europa

Was aber haben die Proteste ,,im Herzen der Bestie” und der Maidan gemein? Nimmt man die politischen Kapriolen der neuen griechischen Regierung, die die Proteste erkennbar beflügelt hat, muß man sagen, fast alles. So mächtig sich der Wille in der Ukraine nach EU-Europa zu marschieren, mit Gewalt seinen Weg gebahnt hat, so mächtig kämpft die griechische Regierung um den Verbleib in der VIP-Lounge dieses Clubs.  Was der Ukraine als erster Schritt das Freihandelsabkommen ist, ist Griechenland, darin der Ukraine schon weit voraus, der Euro. Hauptsache der Cashflow stimmt.

Nur in der Rhetorik unterscheiden sich beide. Während die ukrainische Regierung ihren selbsterwählten neuen Herren noch respektvoll begegnet, randaliert die Regierung Syriza im eigenen Haus und entfaltet eine beispiellose feindlichen Propaganda gegen ihre Geldgeber aus den Mitgliedsländern.  Hier kann etwas nicht stimmen,  denn die angegriffenen Repräsentanten der Institutionen überbieten sich mit ihren Bekenntnissen (und Garantien!), dass Griechenland im Euro bleiben muß, ganz gleich, was die Regierung anstellt. Und für Mama Merkel, für die Führungsstärke ein Fremdwort ist, dafür Alternativlosigkeit die einzige Richtschnur ihres Handelns  steht bereits vorher fest, scheitert Syriza, scheitert Europa.

Die EZB hat Griechenland gar nichts zu sagen – wenn Griechenland aus dem Euro austritt

Warum sich die Protestbewegung die EZB als Ziel ihrer Randale ausgesucht hat,  versteht wahrscheinlich nur, wer die politische Idiosynkrasie gegen den Namensbestandteil ,,Bank” schon für ein politisches Programm hält. Die EZB ist keine Geschäftsbank  (also auch keine profitgierige Zockerbank). Sie ist eine öffentlich-rechtliche Einrichtung auf der Basis eines rechtlichen Mandats aufgrund vertraglicher Vereinbarungen der Mitgliedsländer. Sie ist damit nicht einmal eine Notenbank im klassischen Sinne, sowenig wie das Europaparlament ein Parlament im klassischen Sinne ist,  sondern eher ein Exekutivorgan der nationalen Notenbanken, denen sie Weisungen auch gegen deren erklärten Willen erteilen kann, wie etwa im Falle der deutschen Bundesbank.  Darin liegt ein – demokratisch nicht legitimiertes  - Machtpotential,  und von diesem Machtpotential macht sie eifrig Gebrauch mit einem gewissen immanenten Hang zur Überschreitung ihres Mandats.  Dafür steht die EZB zu Recht unter Kritik. Nur - die Protestler in Frankfurt, in der griechischen Regierung und in der europaweiten Linken kritisieren dies ja gerade nicht.  Die griechische Regierung etwa könnte sich der Exekutivgewalt der EZB ganz einfach entziehen, wenn sie aus dem Euro austräte.

Verkehrte Welt

Wenn die EZB im Volksmund die Geldhähne aufdreht, womit sie eine mehr oder weniger verdeckte monetäre Staatsfinanzierung zugunsten der Südländer betreibt, heißt dies,  sie weist die nationalen Notenbanken an, Geldmittel in die Finanzmärkte zu pumpen. Nach Ausbruch der Finanzkrise hatte sie damit die Krisenländer einschließlich Griechenland lange vor den öffentlichen Rettungsprogrammen finanziert und hat ihnen jetzt bereits wieder einen Zugang zu den Kapitalmärkte zu Kreditkonditionen (sog. billiges Geld) auf fast dem  Vorkrisenniveau ermöglicht  Damit unterminiert die EZB aber gleichzeitig die nationalen Programme und multilateralen Vereinbarungen zur Stabilitätspolitik, also der verhassten Austerität. Täte die EZB dies nicht, so würde sie den Südländern bildhaft gesprochen, den Geldhahn zudrehen. Im Falle Griechenlands, das völlig von dem Marktzugang abgeschnitten ist, käme jetzt allerdings nur noch eine offene,  ungeschminkte verbotene Staatsfinanzierung in Betracht, was von der griechischen Regierung vehement gefordert wird und im Wochentakt mit der Gewährung der sog. ELA Krediten durch die EZB, also der Erlaubnis für die griechische Notenbank zum Gelddrucken, auch faktisch geschieht, auf Kosten und Risiko der öffentlichen Kassen der anderen Euroländer. Natürlich muß sich die EZB hier Beschränkungen auferlegen, will sie wenigstens den Schein ihres Mandats zur Wahrung der Geldwertstabilität wahren.  Und genau deswegen empört sich Tsipras und mit ihm die europäische Linke, die EZB sei das Seil, das um Griechenlands Hals liegt. Griechenland könnte außerhalb des Euros völlig autonom seine Druckerpresse auf Hochtouren beschleunigen, nur könnte es so wegen des Effekts der Inflation die Kaufkraft nicht  erhöhen. Innerhalb des Euroraums aber halten die europäischen Linken die EZB für allmächtig und glauben, der Effekt würde sich irgendwie in der Schuldnergemeinschaft verflüchtigen. Die Rauchzeichen über Frankfurt sind daher eher Symbol für die ideologischen Nebelschwaden in den Köpfen,  die einem fast religiös anmutenden Glauben an die Allmacht des Geldes gleichkommen.

Der Aufbruch in ein neues ,,Europa von unten” ist dasselbe neue Europa, das sich die Kapitalmärkte wünschen, ein einheitlicher Wirtschaftsraum mit einer wirklichen wirtschaftlichen Zentralmacht, vereinigt in der europäischen Schuldenunion. Niemand anderes als Mario Draghi selbst, der den Konstruktionsfehler einer zentralen Notenbankpolitik in einem wirtschaftlich kleinteiligen Euroraum notorisch beklagt, würde den Protestierenden auf der Straße dafür allzu gerne die Hände schütteln.

Montag, 23. Februar 2015

Griechisches Lehrstück

Gemessen an ihrem vollmundigen Auftreten haben die smarten Rebellen aus Athen in Brüssel vor allem erst einmal eine peinliche Niederlage erlitten.  Statt die Troika zu entmachten, mussten sie vor der versammelten Eurogruppe die Hosen runterlassen und versprechen, in Zukunft wieder lieb zu sein. Ist es daher nicht auch peinlich, wenn Tsipras diese Niederlage nun als gewonnene Schlacht verkündet? Teils teils. So ganz Unrecht hat er damit nicht. Nachdem es eine Zeitlang so aussah, als könnte der Eurovorhang für Griechenland fallen, haben sich Syriza und die Finanzminister der Eurogruppe zunächst einmal auf die Fortsetzung der Konkursverschleppung zu Lasten Dritter geeinigt, und das sind im Falle Griechenlands die öffentlichen Kassen der anderen Euro Länder.  Was anderswo der Strafverfolgung unterliegt,  der gerade der sprichwörtliche kleine Mann nicht entkommt, kann hier aus politischem Kalkül für beide Seiten als Erfolg gefeiert werden. So weit sind beide Seiten nämlich gar nicht voneinander entfernt.  Wenn Tsipras und seine halbstarke Rebellentruppe die Troika und die Politik der Währungsunion angreift, dann muß man zuallererst anmerken, daß dies eigentlich gar nicht so gemeint ist.

Alles nicht so gemeint

Die Troika verlangt von Griechenland ein umfangreiches Privatisierungsprogramm, das das Land dem Ausverkauf an ausländische Investoren preisgibt:  Unter anderem  Verkauf von Aktien des staatlichen Energierunternehmens PPC mit dem Verlust der Aktienmehrheit, Verkauf von griechischen Inseln und Küstenstreifen,  Verkauf des ehemaligen Athener Flughafens Ellinikon sowie der Privatisierung der Immobilien.  Schon kurz nach Regierungsantritt kündigte die Regierung den Stopp des Privatisierungsprogramms an und legte vorerst die weitere Privatisierung des Hafens von Piräus aufs Eis.  Auf diesen haben freilich die Chinesen bereits eine Art Anwartschaft und werden  jetzt bereits 2  Containerterminals von einem chinesischen Staatsunternehmen betrieben.   Nicht angetastet wurde die Vertragsanbahnung über den Betrieb der griechischen Regionalflughäfen durch den Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport mit der griechischen Privatisierungsagentur. (1)

Als die Troika wegen der Privatisierungsvorhaben unruhig wurde,  beeilte sich der stellvertretende Ministerpräsident Dragasakis zu versichern, daß es keinen  Stopp der Privatisierungen geben würde. Im Gegenteil wüsche sich Griechenland Investoren. Anderslautende Meldungen führte er auf die Unerfahrenheit verschiedener neuer Minister zurück.

Richtig ungemütlich wurde es für die neue Regierung, als Zweifel darüber aufkamen, ob sie die Sanktionspolitik gegen Rußland weiter mittrage. Das ließ den sonst so verständnisvollen Griechenlandversteher Martin Schulz (SPD, Präsident des europäischen Parlaments) ein “Donnergrollen” (2) vernehmen und veranlasste ihn, bei seinem Zusammentreffen mit Tsipras einmal ,,Tacheles” zu reden, schließlich sei die Regierung nicht gewählt, um Sanktionen gegen Rußland zu boykottieren.  Giannis Varoufakis stellte freilich umgehend seine eigenen diesbezüglichen Äußerungen als ein Missverständnis  hin. Die griechische Regierung hätte sich nur über mangelnde Unterrichtung durch die europäische Außenbeauftragte geärgert.

Der Wahlkampf von Syriza stand ganz im Zeichen des Rausschmisses der Troika. Tsirpas verkündete mehrfach, das Diktat der Troika zu brechen.  Kurz nach Regierungsantritt sagte  der Wirtschaftsminister Varoufakis gegenüber dem Chef der Eurogruppe  Jeroen Dijsselbloem ,,Unser Land weigert sich, mit der Troika zu kooperieren.” Das freilich erklärte er kurzerhand zu einem Übersetzungsfehler. ,,Wollen wir neue Mittel, ohne Überwachung zu akzeptieren? Nein” (3)

So kann es die neue griechische Regierung als Erfolg verbuchen, daß sie jetzt nicht mehr mit der Troika verhandelt, sondern mit Institutionen, zusammengefasst unter dem Spitznamen Trifkat , ,,Instution formerly known as the Troika” wie man in Brüssel hinter vorgehaltener Hand spöttelt.

Syriza ist nicht die Opposition gegen den Kasinokapitalismus, sondern sein Spiegelbild

Nicht alles, was Syriza sagt, ist falsch . Es trifft zu, daß die Hilfsprogramme zur Krisenpolitik zunächst die Banken gerettet hat und die Gelder zu großen Teilen nicht bei den Griechen angekommen sind. Berücksichtigt man aber die ökonomische Rolle der Banken, insbesondere in dem Währungsraum des Euro, wäre die Rettung der Volkswirtschaften ohne die Bankenrettung nicht denkbar. Die Bankenrettung im Zuge der Krisenbewältigung war der Einsicht in die sog. systemische Relevanz der Banken geschuldet, ohne die der gesamte Kapital- und Zahlungsverkehr zusammengebrochen und auch die Ersparnisse der Menschen verloren gewesen wären. Das Linksbündnis Syriza wird aber auch das politische Machtzentrum der Eurogruppe nicht mit einem Caritasverband verwechseln, sonst würde es sich nicht so eilfertig daran beteiligen, Rußlands Ökonomie absichtsvoll mit der Sanktionspolitik in den Ruin und Millionen von Russen in die Verelendung zu treiben. Sicher, in der Ukraine befindet sich der Westen im Konflikt mit Rußland.  Anlaß hierfür ist  die in Teilen in die europäische Integration strebende Bevölkerung der Westukraine. Damit aber eigentlich kein Vorbild für Syriza, das die Folgen dieser europäischen Integration am eigenen Leib erfährt und doch Anlaß für die eigene Revolte ist.  Rußland hätte Griechenland in seiner Krise sicher auch beigestanden, vielleicht sogar aus Solidarität oder historischer Verbundenheit mit seinen orthodoxen Brüdern, aber mangels ökonomischer Potenz nicht so lukrativ wie die Eurogruppe. Der Ökonomie des Raubtierkapitalismus , wie das gerne ,,kritisch” genannt wird, erzeugt eben auch die Mentalität, daß man um des schnöden Vorteils willen sogar seinen eigenen Bruder verkauft.

Daß der Zusammenbruch großer Banken eine Kettenreaktion auslöst,  der auf die gesamten sog. Realwirtschaft übergreifen kann,  hatte sich in der Tat im Fall von Lehman Brothers gezeigt.  Aus dieser Erfahrung ist das geflügelte Wort von too big to fail entstanden. Schon während des Wahlkampfs 2012 hatte Syriza Chef Tsipras den griechischen Wählern eingebläut, die Gläubiger Griechenlands würden den Bankrott Griechenlands wegen der Folgen für den ganzen Euroraum nicht riskieren. Noch nach der jüngsten Wahl tönte der neue Finanzminister Varoufakis, im Falle eines Bankrotts bräche der gesamte Euroraum wie ein Kartenhaus zusammen. Syriza setzt damit auf die Furcht vor der Kettenreaktion genau in der Logik des too big to fail, wie sie die Eigentümlichkeiten der (meistens fälschlich) sog. neoliberalen Politik hervorgebracht hat. Neoliberal ist deshalb falsch, weil diese Politik gerade das Haftungsprinzip, also die Verantwortlichkeit für eigenes Handeln, und damit ein Grundprinzip des Liberalismus außer Kraft setzt.

Die Widersprüche in der Politik Syrizas spiegeln die Widersprüche der Eurokonstruktion

Die Spekulation auf die Alternativlosigkeit der Rettungspolitik nach dem Prinzip des too big to fail war freilich für das kleine Griechenland, das bereits von dem Zugang zu den Kapitalmärkten abgeschnitten ist,  eine gewagtes Vabanquespiel. Nach Jahren der Rettungspolitik hat sich die gewaltige Schuldenlast Griechenlands fast vollständig auf öffentliche Gläubiger verlagert. Das Druckmittel – oder man muß sagen das Erpressungspotential – auf das Syriza spekulierte,  bestand daher  nur noch in der Inhaftnahme der Steuerzahler der anderen Euroländer. Insofern ist es für Syriza durchaus schon ein Erfolg, daß die Eurogruppe weiterhin bereit ist, den Rettungsgeldern für Griechenland, an denen  alleine Deutschland nach unterschiedlichen Angaben mit bis zu 85 Mrd. Euro beteiligt ist, noch weiteres Geld hinterherzuwerfen. Dazu muß man bedenken, daß bei dem Schuldenstand Griechenlands von über 175 % seines BIP nach ganz überwiegender Auffassung der Ökonomen  die Schulden niemals zurückgezahlt werden können.

Die Forderung der Eurogruppe, die Zahlungen an Reformen zu binden, die die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wieder herstellt,  hat daher eine gewisse Plausibilität. Syriza setzt dagegen die Kritik an der Austeritätspolitik, die die gegenwärtige Wirtschaftskrise erst erzeugt hätte und fordert weitere Geldzuflüsse zur Schaffung von Wirtschaftswachstum.  Mit dieser eher vulgärkeyensianischen Argumentation begründen Syriza und die mit ihr verbündeten europäischen Linken etwa die Forderung nach einem Marshallplan. Mit dem  Marshallplan erhielten die Empfängerländer Kredite in Höhe von ca. 2,1 % ihres BIPs. An Griechenland sind aber schon Rettungsgelder geflossen in Höhe von mindestens  170 % des BIPs.

Die Behauptung, erst die Austeritätspolitik habe die Krise in Griechenland erzeugt,  ist falsch. Die griechische Krise ist entstanden mit dem Platzen einer inflationären Blase, als die sich das Wirtschaftswachstum nach der Euroeinführung entpuppte.  Mit billigem Geld wurde über Jahre ein spekulatives Wirtschaftswachstum mit einem wachsenden Leistungsbilanzdefizit finanziert. Mit der Finanzkrise zeigten sich die Widersprüche in der Konstruktion der Währungsunion in dem Zielkonflikt einer Wechselkursstabilität zur Erleichterung des Kapitalverkehrs (das das Wirtschaftswachstum in den jetzigen Krisenländer erst ermöglichte) und einer Budgetbeschränkung gegen eine ausufernde Verschuldung.  Das alles kann man in den Wirtschaftsteilen der großen  Zeitungen oder etwa bei Hans-Werner Sinn nachlesen und zeigt sich fast täglich in dem Ringen um die Aufweichung der Stabilitätskriterien auch gegen geltendes Recht. Das risikoaffine Verhalten der Kapitalmärkte war vor allem der Sicherheit geschuldet, die Eurozone werde als öffentlicher Ausfallschuldner für ihre riskanten Geldgeschäfte bereitstehen. Dieses risikofreie Agieren der Banken, das durch Haftungsfreistellungen für Forderungen gegenüber den Euroländern noch gefördert wurde, ist das Wesen dessen, was H.-W.  Sinn den Kasinokapitalismus nennt.  Der Zielkonflikt zwischen inflationärem Wirtschaftswachstum und Haushaltsdisziplin der öffentlichen Kassen bestimmt noch immer die Politik innerhalb der Eurozone und das Verhältnis ihrer einzelnen Akteure zueinander.  Die europäische Linke, die sich um Kräfte wie Syriza sammelt, setzt auf das Prinzip der Gemeinschaftshaftung und eines auf Pump basierenden Wirtschaftswachstums.  Hier schließen die europaweiten linken Kräfte den Kreis mit den Interessen des nach Expansion strebenden Finanzkapitals. Aus diesem Grunde möchte auch Syriza unter allen Umständen in dem ihr doch so verhaßten Euroverbund verbleiben.

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(1) FAZ 29.1.2015

(2) FAZ 30.1.2015

(3) FAZ 2.2.2015

 

Mittwoch, 11. Januar 2012

Merkel und Sarkozy auf Attac-Kurs

 

Selbst das politische Establishment in Europa gerät mehr und mehr in den ideologischen Sog der Protestbewegungen. Nach Heiner Geißler schließen sich nun auch Sarkozy und Merkel  regierungsamtlich der Forderung nach sofortiger Einführung einer Finanztransaktionssteuer an. Attac verfolgt damit seit Jahren die Idee, durch eine erzwungene Entschleunigung der Finanztransaktionen die Spekulation einzudämmen; und neuerdings auch, damit die Krise in den Griff zu bekommen. Dies erinnert ein wenig an das Konzept  der Brüsseler Bürokratie, eine drohende Klimakatastrophe mit dem Verbot der Glühbirnen abzuwenden.

Die Vorstellung, die Spekulation sei in dem absoluten Tempo der (computergesteuerten) Finanztransaktionen begründet, verkennt gründlich das Wesen der kapitalistischen Konkurrenz. Mir fällt dazu folgende Anekdote ein, die der inzwischen verstorbene ehemalige Konzernchef von Sony, Norio Ohga, sinngemäß so auf seinen Wirtschaftsvorträgen erzählt haben soll:

Zwei Manager und ein Löwe

Zwei Manager sind in der Wüste ausgesetzt und bemerken, daß sie von einem Löwen verfolgt werden. In diesem Moment erscheint ihnen eine gute Fee und gibt jedem der beiden Managern einen Wunsch frei. Der erste Manager wünscht sich spontan ein Paar Nike Sportschuhe. Aber, fragt ihn die gute Fee, damit bist du doch auch nicht schneller als der Löwe. Das nicht, sagt der Manager, aber schneller als der Kollege.

Freitag, 23. Dezember 2011

Die Finanzkrise ist eine Krise des Nationalstaates

Vorbemerkung: Unter der Rubrik Finanzkrise sollen mehrere Beiträge erscheinen, die sich mit den Auswirkungen der Krise auf die politische Entwicklungstendenzen befassen, insbesondere auf das Schicksal der Demokratie. Nachfolgend befasst sich der erste Beitrag mit der grundsätzlichen Abhängigkeit der Politik von den ökonomischen Bedingungen und den Auswirkungen der Krise auf die Zukunft des Nationalstaats.

Der Beitrag gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil befasst sich damit, wie die Politik mit ihren bisherigen Bemühungen der Krisenbewältigung in die widersprüchliche Dynamik der Krisenentwicklung selbst eingebunden ist und daran scheitern muß. Der zweite Teil versucht aufzuzeigen, wie die Entwicklung der Finanzmärkte eine grundsätzliche politische Neuordnung Europas als Antwort auf die Krise erzwingen und welche Gefahren dies für die Demokratie beutet.

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Teil I

Die Widersprüche der Politik sind die Reflexe der Widersprüche der Finanzwirtschaft

Die bisherige politische Antworten der Politik auf die Krise haben Europa und die politische Kultur schon tiefgreifend verändert, aber sie haben die Krise nicht bewältigt. Die Maßnahmen reichten von den ersten Konjunkturpaketen wie die sog. Abwrackprämie, die unter dem Blickwinkel des heute vorherrschenden Sparzwangs verschwenderisch und absurd erscheinen. Inzwischen sind sie angekommen bei dem sog. Fiskalpakt, der sich aber aller Voraussicht nach als nicht ausreichend erweisen wird. Trotz aller Maßnahmen dreht sich die Krisenbewältigung im Kreis und droht wieder dort anzukommen, von wo aus sie ihren Anfang nahm.

Von der Finanzkrise zur Staatsschuldenkrise

Nach der überwunden geglaubten sog. Finanz- oder Bankenkrise kam sie mit der drohenden Staatspleite Griechenlands in veränderter Form als Euro- oder Staatsschuldenkrise zurück. Die Politik reagierte auf die Überschuldung Griechenlands im Wesentlichen mit zwei Instrumenten. Zum einen mit der Einrichtung von Rettungsfonds und zum anderen mit direkten Eingriffen in die staatliche Haushaltspolitik über die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Mit letzteren waren erhebliche Eingriffe in den Kern nationaler und staatlicher Souveränität verbunden. Berührt war die Finanzhoheit der Staaten, dem “Allerheiligsten” staatlicher Souveränität nicht nur in dem Nehmerland Griechenland, sondern über den Haftungsmechanismus auch in den Geberländern, so daß in der Bundesrepublik Deutschland schon das Bundesverfassungsgericht eingreifen mußte. Die “Rettungsmaßnahmen” für Griechenland stießen sofort auf erheblichen Widerstand der Bevölkerung, vor allem in Griechenland, aber nicht nur dort. Mit der Zuspitzung der Krise erhielten Protestbewegungen neuen Auftrieb. Mit dem ersten machtvollen Auftreten der Occupy-Bewegung erntete diese viel Sympathie, da sie sich energisch gegen das Zentrum des Übels, das Nervenzentrum des “Raubtierkapitalismus”, gegen die verhaßte Finanzwirtschaft, die Banken aufzulehnen schien. Viele Menschen in Europa hatten es satt, daß die Rettungsgelder immer gigantischere Größen annahmen, da doch jeder weiß, daß damit neben der heimischen Exportwirtschaft in letzter Konsequenz die Banken gestützt werden sollen. Selbst die griechische Regierung hat mit den europäischen Rettungsgeldern eigene Bankenrettungsprogramme finanziert. Sollte dies aber heißen, die Bewegung fordert die Einstellung der Rettungsmaßnahmen für Griechenland? Mitnichten! Scherte auch nur eine einzelne Stimme in der Politik aus dem einstimmigen Chor des Rettungswahns aus, wurde diese sofort in Ecke des rechten Populismus gestellt.

Handlungsalternativen der Politik

Die Suche nach der richtigen Antwort auf die Schuldenkrise Griechenlands offenbart bereits das ganze Dilemma der Politik. Seit die Schuldenkrise Griechenlands mit Wucht den gesamten Euroraum erschüttert und so ins allgemeine Bewusstsein drang, bewegen sich die alternativen Handlungsmöglichkeiten der Politik im Wesentlichen zwischen zwei Extremen. Das eine Extrem wäre die mehr oder weniger geordnete Insolvenz der überschuldeten Staaten mit allen Konsequenzen bis hin zum Ausscheiden aus der Eurozone. Das andere Extrem ist die die ausufernde Vergemeinschaftung der Schulden, koste es was es wolle.

Wie umgehen mit der Staateninsolvenz im Euroraum?

Eine mehr oder weniger geordnete Insolvenz soll folgendes bedeuten: Staaten refinanzieren sich über Schuldverschreibungen, den sog. Staatsanleihen. Von einer Staateninsolvenz spricht man, wenn sich der Staat über die Ausgabe von Staatsanleihen nicht mehr refinanzieren kann, weil sich keine Investoren mehr auf den Finanzmärkten finden, und er aus eigenen Haushaltsmitteln den Schuldendienst nicht mehr bedienen kann. In einer solchen Situation befand und befindet sich Griechenland. Eine Insolvenzordnung für Staaten, vergleichbar mit einer privatrechtlichen Insolvenzordnung, existiert aber nicht. Die Geberländer hätten durch Einstellung der Hilfszahlungen jederzeit die sofortige und damit ungeordnete Zahlungsunfähigkeit Griechenlands herbeigeführt. Ein Mittelding zwischen ungeordneter und einer rechtsförmigen, geregelten Insolvenz ist die private Gläubigerbeteiligung mit dem sog. Schuldenschnitt. Grundsätzlich ist die geordnete Insolvenz die radikalste Form der privaten Gläubigerbeteiligung, das heißt, der erzwungene Verzicht der Finanzinvestoren auf ihre Forderungen.

Vieles sprach dagegen, Griechenland sehenden Auges der Insolvenz auszuliefern. Zusammengefasst werden die Bedenken mit der Ansteckungsgefahr. Diese drohten in der Tat aus den verschiedensten Richtungen. Mit der Gläubigerbeteiligung an den Verlusten sahen mächtige europäische Staaten ihre eigenen Banken in Gefahr, aber auch z.B. die EZB selbst, die inzwischen die private Finanzwirtschaft von vielen sog. Schrottpapieren entlastet hat. Außerdem drohte ein Dominoeffekt, weil die Finanzmärkte nicht mehr hätten darauf vertrauen können, daß die die anderen “Wackelkandidaten” gerettet werden würden. Die Politik marschierte daher geschlossen in die andere Richtung mit der Folge eines sich immer mehr aufblähenden Rettungsschirms. Die öffentliche Debatte bewegte sich dann genau zwischen den beiden Extremen.

Die eine Seite beschwor die Gefahr der Insolvenz auch nur eines Staates und verwies auf die Erfahrung mit den verheerenden Folgen des willentlich geduldeten Zusammenbruchs der Lehman-Bank. Die andere Seite sah dagegen in dem ständigen Anwachsen der Rettungspakete die eigentliche Gefahr, weil sich darin nicht nur ein einzelner Staat, sondern gleich ganz Europa verheben könnte mit noch verheerenderen Folgen.

Die Antworten geben die Finanzmärkte

Während die Wissenschaft und der klassische Liberalismus eher auf dieser Seite stehen, geht die Politik fast geschlossen den Weg einer ausufernden Vergemeinschaftung der Schulden. Auf diesem Weg in die Transferunion wird eine um die andere eherne Rechtsinstitution zu Fall gebracht. Verstoßen wird mehr oder weniger offen gegen die “no-bail-out-Klausel” des Maastricht Vertrags. Auf die EZB wird unverhohlen politischer Druck ausgeübt und so die Unabhängigkeit der Zentralbank unterhöhlt, und entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung auf die Geldwertstabilität wird sie zunehmend zum Instrument der monetären Staatsfinanzierung , derzeit vor allem durch die Stützungskäufe von Staatsanleihen. Ebenso generös setzt sich die Politik über die Souveränität staatlicher Haushaltspolitik hinweg. Begleitet wird dieses Ringen der Politik beständig von den Reaktionen der Finanzmärkte. Jedes Zögern auf dem Weg in die Haftungsgemeinschaft und die Zentralisierung der Haushaltsaufsicht über die Länder lässt die Aktienkurse fallen und die Risikoaufschläge für Staatsanleihen steigen.

Um jede Detailfrage wird politisch gerungen Und jedes Mal bleibt ein Stück liberaler Wirtschaftspolitik auf der Strecke. Bei jeder Maßnahme zeigt es sich aber auch, daß es die eine richtige Maßnahme zur Krisenbewältigung nicht gibt. Jede Maßnahme hat unerwünschte Nebenwirkungen, oder noch deutlicher, jede Maßnahme birgt den Keim des Gegenteils in sich. Die private Gläubigerbeteiligung an der Schuldentilgung untergräbt das Vertrauen der Finanzmärkte. Die Hebelung staatlicher Rettungspakete erschließt vielleicht neue Finanzquellen von Investoren, aber nur um den Preis höherer Haftungsrisiken für die öffentlichen Haushalte. Die privaten Finanzmärkte entziehen sich der privaten Haftung wie ein glitschiger Fisch dem Zugriff mit der bloßen Hand.

Die Sparzwänge in der Haushaltspolitik würgt in den betroffenen Ländern die Konjunktur ab und damit neue Finanzquellen. Und jede Rettungsmaßnahme verschärft die Haushaltsbelastung in den Geberländern. Nicht zuletzt deswegen drohen die Ratingagenturen auch diesen mit der Herabstufung Die drohenden Herabstufungen machen dann die Hilfsprogramme in Kombination mit den Sparprogrammen noch dringlicher.

 

Von der Staatsschuldenkrise zur Finanzkrise

Das Krisenmanagement bewegt sich daher in in nicht aufzulösenden Widersprüchen. Der EZB Vizepräsident Constancio hat gerade erst (am 18.12.2011) vor der Instabilität des Finanzsystems gewarnt und dabei als größtes Risiko die “negativen Wechselwirkungen zwischen den anfälligen Staatsfinanzen, dem Finanzsektor und dem Wirtschaftswachstum” bezeichnet (1) Mit anderen Worten, die EZB sieht die Gefahr des Durchgreifens der Schuldenkrise auf die sog. Realwirtschaft über die schwierige Lage des Finanzsektors, wenn es dadurch zu einer Kreditklemme käme. Ein Index, der die “vermutete Wahrscheinlichkeit von mehreren gleichzeitigen Zusammenbrüchen großer Banken abbildet”, sei “ auf ein Rekordhoch gestiegen.” (1) Infolge dieser Widersprüche scheint sich das Krisenmanagement der Politik in einem Kreislauf zu bewegen. Als Finanzkrise hat sie begonnen, und über die Konjunktur- und Bankenrettungspakete ist sie zu einer Staatsschuldenkrise geworden. Und hieraus resultiert wiederum die Gefahr einer neuen Finanzkrise, auf dem Weg zu einer Krise der “Realwirtschaft”.

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Die Finanzkrise ist eine Krise des Nationalstaats Teil II

Die Finanzmärkte erzwingen die Neuordnung Europas – zu ihren Bedingungen

Das Wesen der kapitalistischen Krise offenbart sich in der Vernichtung von Werten, weil der sich beständig beschleunigende Verwertungsprozeß an irgendeinem Punkt ins Stocken gerät. Das Rettungsprinzip der Politik versucht, diese marktwirtschaftlichen Gesetze zu überlisten, indem es mit öffentlichen Geldern den Kreislauf am Leben erhält und dafür die Akteure aus der Haftung entlässt. 

Der Staat als Gesamtschuldner der Privatwirtschaft

Die Verluste aus der Vernichtung von Werten werden dabei in immer größerem Maßstab sozialisiert bis der Staat, oder besser das öffentlich-rechtliche Gemeinwesen, als eine Art gigantische Bad-Bank auf einem Haufen wertloser Schuldtitel sitzt, oder die Krise mit Hilfe monetärer Staatsfinanzierung, also mit der Druckerpresse, bekämpft. Der Staat wird so faktisch zum Gesamtschuldner für alle Forderungsausfälle der Privatwirtschaft.

Auch die Bundesregierung geht diesen gesamteuropäischen Weg mit, dies jedoch teils zögerlich und unwillig. So hat sie sich relativ hartnäckig für die Einbeziehung privater Gläubiger bei einem Schuldenschnitt Griechenlands eingesetzt. In einigen zentralen Punkten widersetzt sie sich bis heute einer institutionalisierten Transferunion, der Einführung von Eurobonds (Gemeinschaftsanleihen) sowie Maßnahmen, die die direkte oder indirekte monetäre Staatsfinanzierung ermöglichen würden. Dies wäre etwa bei einer Banklizenz für den permanenten Rettungsfonds ESM der Fall. Diese Zaudern bei der Neuordnung Europas hat ihr die geballte Opposition der linken Parteien, namentlich der SPD und der Grünen, eingebracht.

Vom Fiskalpakt zur Transferunion

Das vorläufige Zwischenergebnis dieser Politik ist der auf dem letzten EU-Gipfel beschlossenen Fiskalpakt. Dabei handelt e sich um einen Kompromißlösung. Die Politik der Bundesregierung knüpft daran die Hoffnung, mit einzelnen Zugeständnissen den Durchbruch zur Transferunion zu verhindern. Für die Oppositionsparteien SPD und Grüne ist er allenfalls eine unzulängliche Zwischenlösung.

Endgültig hat sich die europäische Politik damit von der privaten Gläubigerbeteiligung verabschiedet. Es wurde auch eine weitere Aufstockung der Rettungspakete beschlossen, die aber schamhaft versteckt wird über eine Zwischenfinanzierung über den IWF. Im Kern geht es bei dem Fiskalpakt jedoch um die Vereinbarung von Durchgriffsrechten der EU in die Haushaltsaufsicht der Staaten zur Durchsetzung der Haushaltsdisziplin und der Schuldenbremse. Diese Vereinbarung wurde aber in einem zwischenstaatlichen Vertrag geschlossen und widerspricht geltendem EU-Recht, so daß es auf diese Weise im Ernstfall gar nicht durchgesetzt werden kann.

Die verhaltenen Reaktionen an den Finanzmärkten spiegelt die Unzufriedenheit mit diesem halbfertigen, unausgegorene Zwischenprodukt wider. Die Finanzmärkte schreien geradezu nach einer ordentlichen Haftungsgemeinschaft, und dafür müssen die EU-Verträge geändert werden. Dafür muß eine ganz neue Ordnung her! 

“Eine große Idee für Europa” (Claudia Roth auf dem Grünen Parteitag)

Formuliert wird dieses Verlangen in Deutschland gegenwärtig von der SPD und den Grünen, die bedingungslos diese Haftungsgemeinschaft fordern, je schneller desto besser. Mit etwas weniger Pathos als Claudia Roth hat sie Siegmar Gabriel gerade in der FAZ vorgetragen mit einem Artikel unter der Überschrift “Was wir Europa wirklich schulden.” (2) 

“Europa neu denken” (Siegmar Gabriel)

Siegmar Gabriel schreibt, “Wer Europa neu denken und den europäischen Gründungsgedanken neu beleben will, der muß zuerst auch politische und kulturelle Attitüden verändern.” Das wird wohl so sein, denn um eine politische und kulturelle Einebnung wird es bei diesem nächsten Schritt der europäischen Integration gehen. Daß er den europäischen Einigungsgedanken ausgerechnet in Schulden aufwiegt, ist vielleicht eine unbeabsichtigte Überpointierung. Jedenfalls spricht er klar aus, um was es bei dieser weiteren Integration geht. “Ohne eine europäische Antwort mit einer echten Fiskalunion und ohne einen europäischen Schuldentilgungsfonds wird die Krise der Staatsfinanzierung in der Eurozone nicht beendet werden.” Nur, wie verträgt sich diese vom Finanzkapital erzwungene Neuordnung Europas mit dem Pathos und vor allem mit einem der Grundpfeiler europäischer Zivilisation – der Demokratie? Siegmar Gabriel schlägt vor, daß künftig das EU-Parlament den Kommissionspräsidenten wählt und die Staats- und Regierungschefs nur noch eine zweite Kammer des Parlaments bilden, eine Art wie er sagt “europäischer Bundesrat”. Natürlich sieht auch er, daß damit ein bewußter Verzicht auf “bislang rein nationale Souveränitätsrechte” verbunden wäre. Damit das ganze demokratisch bleibt, sollen die Bürger über diesen Verzicht “abstimmen dürfen”. Dies erinnert an den Vorschlag Papandreous, der den Griechen die Möglichkeit einräumen wollte, per Volksentscheid über die Aufgabe ihrer nationalen Souveränitätsrechte und eines von der EU verordneten Sparpakets abzustimmen bei Strafe des finanziellen Zusammenbruchs. Und dennoch, die Entwicklung gibt ihm recht. Siegmar Gabriel liefert in erstaunlicher Offenheit die Begründung dazu. “Weder die Kreditgeber an den Finanzmärkten glauben bisher an die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Lösungen noch die Staaten außerhalb Europas, bei denen wir um den Ankauf europäischer Staatsanleihen geradezu gebettelt haben.”

 

Die Verwandlung der EU in Finanzprotektorate

Bei den Halbheiten auf dem gegenwärtigen Weg kann nicht stehengeblieben werden, vor allem was die Durchgriffsrechte gegen nationale Eigenheiten angeht. Teilweise funktioniert dies allerdings schon. In Griechenland wurde unter Führung eines Finanztechnokraten eine Regierung “der nationalen Einheit” (!) gebildet, die ihre Anweisungen direkt von der EU-Zentrale erhält und das Regime im Sinne einer europäischen Zentralgewalt führt. Ähnlich in Italien. In Griechenland tragischer Weise nicht trotz, sondern irgendwie sogar wegen des geschlossenen Aufbegehrens eines ganzen Volks. Diese technokratische Ausnahmeregierungen sind die Vorboten künftiger Finanzprotektorate, in die sich das neue Europa verwandeln wird. Die gegenwärtige Finanzkrise ist politisch daher vor allem eine Krise des Staates in der herkömmlichen Form und damit der Demokratie.  Das entwickelte Finanzkapital sprengt die Fesseln des Nationalstaats.

Mit der Verfassung ist das alles nicht vereinbar. Obwohl es (noch) nicht offen ausgesprochen wird, mit der neuen Ära zeichnet sich auch das Aus für das Grundgesetz ab sowie die kalte Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Angriff auf den Verfassungsstaat ganz anderer Art.

 

Nicht Raubtierkapitalismus, sondern Globalisierung und Privatisierung

Es erscheint paradox, daß gerade die gesellschaftliche Linke diese Entwicklung nachhaltig fordert und fördert. Rhetorisch meint sie, die geballte Kraft Europas gegen die Spekulanten in Stellung zu bringen, tatsächlich betreibt sie mit der politischen Neuordnung Europas die weitere Verschmelzung der Staaten mit den Finanzmärkten. Es sind die gleichen Talkshowpolitiker, die sich des öffentlichen Beifalls sicher sein können, wenn sie gegen die Spekulanten wettern und das Wort “Zocker” nur in den Mund nehmen. Es sind diejenigen, die in überschäumendem Radikalismus dem Wort Kapitalismus den Zusatz “Raubtier-“ verpasst haben, um damit wie Siegfried als Drachentöter zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, ebenso hilflos wie ohnmächtig die Probleme zu personalisieren, die in Wahrheit die die gesetzmäßigen Folgen des hochentwickelten Kapitalismus mit seinem entwickelten Geld- und Kreditwesen sind. Die Beschleunigung des Geldverkehres mit der einhergehenden Risikoanfälligkeit ist nicht das Produkt unmoralischer Gier Einzelner, sondern folgt den inneren Zwangsgesetzen der kapitalistischen Konkurrenz.

Man kann sagen, daß sich das Finanzkapital die Neuordnung nach seinen Bedingungen erzwingt, weil es sich der Staaten fast vollständig bemächtigt hat. Man kann aber auch umgekehrt sagen, die Staaten sind bereits so tief in die Verwertungsprozesse des Kapitals integriert, daß sie notwendigerweise selbst als Finanzakteure auf den Finanzmärkten agieren müssen. Die Funktionen des öffentlichen Gemeinwohls und die Vertretung privatwirtschaftlicher Interessen sind bereits so miteinander verflochten, daß sie immer ununterscheidbarer werden. Die Lösung privatwirtschaftlicher Probleme mit öffentlichen Geldern - wie etwa die Bankenrettung - erscheint daher als Aufgabe des öffentlichen Gemeinwohls. Der auferlegte Sparzwang der öffentlichen Haushalte ist genau besehen auch zweideutig. Der Sparzwang hat seine Ursache ja nicht in einer plötzlichen Verarmung der hochentwickelten kapitalistischen Länder. Erstaunlicherweise übersteigt in fast allen europäischen Ländern das private Nettofinanzvermögen die Staatsverschuldung, teilweise sogar erheblich. In Deutschland etwa beträgt das private Nettofinanzvermögen 127 % des Bruttoinlandsprodukts im Verhältnis zu einer Staatsverschuldung von 82% zum BIP. (in Portugal 123% zu 102% usw.) (3) . Die Sparhaushalte dienen im Übrigen der Schuldentilgung und sind daher begleitet von einer ständigen Erhöhung der Schuldentilgungsfonds und damit immer neuen Haushaltsbelastungen. Im Ergebnis handelt es sich um eine forcierte Umschichtung von öffentlichen Geldern in die Privatwirtschaft. (was hier übrigens nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit einer Umverteilung von unten nach oben.) Diese Umschichtung hat nicht erst mit der Bankenrettung begonnen, sondern bereits mit den Konjunkturpaketen, mit der Entbindung der Unternehmen von der Lohnzahlungs- und Abgabenpflicht, über die Kurzarbeitsprogramme, mit der Standortsicherung für Großunternehmen usw. .Damit wurden in großem Umfang auch erhebliche Klientelinteressen bedient.

Die linke Vision von einer Neuordnung Europas ist apologetisch. Sie spiegelt nur die notwendigen Anpassungsprozesse an die globalisierte Finanzwirtschaft wider, die die Marktgesetze des entwickelten Finanzkapitalismus erzwingen. Die weitere, krisenbedingt sprunghafte Integration der Europäischen Gemeinschaft kommt einer Privatisierungswelle gleich. Dabei geht es nicht mehr nur um die Privatisierung einzelner Segmente öffentlicher Gemeinwohlaufgaben, sondern strukturell um die Privatisierung der Staaten selbst. Da die Politik diesen gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzen ohnmächtig gegenüber steht, werden die Probleme, die aus den gesellschaftlichen Verhältnisse resultieren, personalisiert und in die Sphäre des Moralischen erhoben. So treibt man die Entwicklungen voran, deren größter Kritiker man zu sein meint.

In die gleiche eigentümliche Dialektik sind auch die neuen Protestbewegungen, namentlich die Occupy-Bewegung, verwoben. Aber das ist Thema eines weiteren Beitrags

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(1) FAZ, 19.12.2011

(2) FAZ, 13.12.2011

(3) FAZ, 15.12.2011

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Zuletzt aktualisiert: 15. Nov, 13:58

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