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Die Finanzkrise ist eine Krise des Nationalstaates

Vorbemerkung: Unter der Rubrik Finanzkrise sollen mehrere Beiträge erscheinen, die sich mit den Auswirkungen der Krise auf die politische Entwicklungstendenzen befassen, insbesondere auf das Schicksal der Demokratie. Nachfolgend befasst sich der erste Beitrag mit der grundsätzlichen Abhängigkeit der Politik von den ökonomischen Bedingungen und den Auswirkungen der Krise auf die Zukunft des Nationalstaats.

Der Beitrag gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil befasst sich damit, wie die Politik mit ihren bisherigen Bemühungen der Krisenbewältigung in die widersprüchliche Dynamik der Krisenentwicklung selbst eingebunden ist und daran scheitern muß. Der zweite Teil versucht aufzuzeigen, wie die Entwicklung der Finanzmärkte eine grundsätzliche politische Neuordnung Europas als Antwort auf die Krise erzwingen und welche Gefahren dies für die Demokratie beutet.

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Teil I

Die Widersprüche der Politik sind die Reflexe der Widersprüche der Finanzwirtschaft

Die bisherige politische Antworten der Politik auf die Krise haben Europa und die politische Kultur schon tiefgreifend verändert, aber sie haben die Krise nicht bewältigt. Die Maßnahmen reichten von den ersten Konjunkturpaketen wie die sog. Abwrackprämie, die unter dem Blickwinkel des heute vorherrschenden Sparzwangs verschwenderisch und absurd erscheinen. Inzwischen sind sie angekommen bei dem sog. Fiskalpakt, der sich aber aller Voraussicht nach als nicht ausreichend erweisen wird. Trotz aller Maßnahmen dreht sich die Krisenbewältigung im Kreis und droht wieder dort anzukommen, von wo aus sie ihren Anfang nahm.

Von der Finanzkrise zur Staatsschuldenkrise

Nach der überwunden geglaubten sog. Finanz- oder Bankenkrise kam sie mit der drohenden Staatspleite Griechenlands in veränderter Form als Euro- oder Staatsschuldenkrise zurück. Die Politik reagierte auf die Überschuldung Griechenlands im Wesentlichen mit zwei Instrumenten. Zum einen mit der Einrichtung von Rettungsfonds und zum anderen mit direkten Eingriffen in die staatliche Haushaltspolitik über die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Mit letzteren waren erhebliche Eingriffe in den Kern nationaler und staatlicher Souveränität verbunden. Berührt war die Finanzhoheit der Staaten, dem “Allerheiligsten” staatlicher Souveränität nicht nur in dem Nehmerland Griechenland, sondern über den Haftungsmechanismus auch in den Geberländern, so daß in der Bundesrepublik Deutschland schon das Bundesverfassungsgericht eingreifen mußte. Die “Rettungsmaßnahmen” für Griechenland stießen sofort auf erheblichen Widerstand der Bevölkerung, vor allem in Griechenland, aber nicht nur dort. Mit der Zuspitzung der Krise erhielten Protestbewegungen neuen Auftrieb. Mit dem ersten machtvollen Auftreten der Occupy-Bewegung erntete diese viel Sympathie, da sie sich energisch gegen das Zentrum des Übels, das Nervenzentrum des “Raubtierkapitalismus”, gegen die verhaßte Finanzwirtschaft, die Banken aufzulehnen schien. Viele Menschen in Europa hatten es satt, daß die Rettungsgelder immer gigantischere Größen annahmen, da doch jeder weiß, daß damit neben der heimischen Exportwirtschaft in letzter Konsequenz die Banken gestützt werden sollen. Selbst die griechische Regierung hat mit den europäischen Rettungsgeldern eigene Bankenrettungsprogramme finanziert. Sollte dies aber heißen, die Bewegung fordert die Einstellung der Rettungsmaßnahmen für Griechenland? Mitnichten! Scherte auch nur eine einzelne Stimme in der Politik aus dem einstimmigen Chor des Rettungswahns aus, wurde diese sofort in Ecke des rechten Populismus gestellt.

Handlungsalternativen der Politik

Die Suche nach der richtigen Antwort auf die Schuldenkrise Griechenlands offenbart bereits das ganze Dilemma der Politik. Seit die Schuldenkrise Griechenlands mit Wucht den gesamten Euroraum erschüttert und so ins allgemeine Bewusstsein drang, bewegen sich die alternativen Handlungsmöglichkeiten der Politik im Wesentlichen zwischen zwei Extremen. Das eine Extrem wäre die mehr oder weniger geordnete Insolvenz der überschuldeten Staaten mit allen Konsequenzen bis hin zum Ausscheiden aus der Eurozone. Das andere Extrem ist die die ausufernde Vergemeinschaftung der Schulden, koste es was es wolle.

Wie umgehen mit der Staateninsolvenz im Euroraum?

Eine mehr oder weniger geordnete Insolvenz soll folgendes bedeuten: Staaten refinanzieren sich über Schuldverschreibungen, den sog. Staatsanleihen. Von einer Staateninsolvenz spricht man, wenn sich der Staat über die Ausgabe von Staatsanleihen nicht mehr refinanzieren kann, weil sich keine Investoren mehr auf den Finanzmärkten finden, und er aus eigenen Haushaltsmitteln den Schuldendienst nicht mehr bedienen kann. In einer solchen Situation befand und befindet sich Griechenland. Eine Insolvenzordnung für Staaten, vergleichbar mit einer privatrechtlichen Insolvenzordnung, existiert aber nicht. Die Geberländer hätten durch Einstellung der Hilfszahlungen jederzeit die sofortige und damit ungeordnete Zahlungsunfähigkeit Griechenlands herbeigeführt. Ein Mittelding zwischen ungeordneter und einer rechtsförmigen, geregelten Insolvenz ist die private Gläubigerbeteiligung mit dem sog. Schuldenschnitt. Grundsätzlich ist die geordnete Insolvenz die radikalste Form der privaten Gläubigerbeteiligung, das heißt, der erzwungene Verzicht der Finanzinvestoren auf ihre Forderungen.

Vieles sprach dagegen, Griechenland sehenden Auges der Insolvenz auszuliefern. Zusammengefasst werden die Bedenken mit der Ansteckungsgefahr. Diese drohten in der Tat aus den verschiedensten Richtungen. Mit der Gläubigerbeteiligung an den Verlusten sahen mächtige europäische Staaten ihre eigenen Banken in Gefahr, aber auch z.B. die EZB selbst, die inzwischen die private Finanzwirtschaft von vielen sog. Schrottpapieren entlastet hat. Außerdem drohte ein Dominoeffekt, weil die Finanzmärkte nicht mehr hätten darauf vertrauen können, daß die die anderen “Wackelkandidaten” gerettet werden würden. Die Politik marschierte daher geschlossen in die andere Richtung mit der Folge eines sich immer mehr aufblähenden Rettungsschirms. Die öffentliche Debatte bewegte sich dann genau zwischen den beiden Extremen.

Die eine Seite beschwor die Gefahr der Insolvenz auch nur eines Staates und verwies auf die Erfahrung mit den verheerenden Folgen des willentlich geduldeten Zusammenbruchs der Lehman-Bank. Die andere Seite sah dagegen in dem ständigen Anwachsen der Rettungspakete die eigentliche Gefahr, weil sich darin nicht nur ein einzelner Staat, sondern gleich ganz Europa verheben könnte mit noch verheerenderen Folgen.

Die Antworten geben die Finanzmärkte

Während die Wissenschaft und der klassische Liberalismus eher auf dieser Seite stehen, geht die Politik fast geschlossen den Weg einer ausufernden Vergemeinschaftung der Schulden. Auf diesem Weg in die Transferunion wird eine um die andere eherne Rechtsinstitution zu Fall gebracht. Verstoßen wird mehr oder weniger offen gegen die “no-bail-out-Klausel” des Maastricht Vertrags. Auf die EZB wird unverhohlen politischer Druck ausgeübt und so die Unabhängigkeit der Zentralbank unterhöhlt, und entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung auf die Geldwertstabilität wird sie zunehmend zum Instrument der monetären Staatsfinanzierung , derzeit vor allem durch die Stützungskäufe von Staatsanleihen. Ebenso generös setzt sich die Politik über die Souveränität staatlicher Haushaltspolitik hinweg. Begleitet wird dieses Ringen der Politik beständig von den Reaktionen der Finanzmärkte. Jedes Zögern auf dem Weg in die Haftungsgemeinschaft und die Zentralisierung der Haushaltsaufsicht über die Länder lässt die Aktienkurse fallen und die Risikoaufschläge für Staatsanleihen steigen.

Um jede Detailfrage wird politisch gerungen Und jedes Mal bleibt ein Stück liberaler Wirtschaftspolitik auf der Strecke. Bei jeder Maßnahme zeigt es sich aber auch, daß es die eine richtige Maßnahme zur Krisenbewältigung nicht gibt. Jede Maßnahme hat unerwünschte Nebenwirkungen, oder noch deutlicher, jede Maßnahme birgt den Keim des Gegenteils in sich. Die private Gläubigerbeteiligung an der Schuldentilgung untergräbt das Vertrauen der Finanzmärkte. Die Hebelung staatlicher Rettungspakete erschließt vielleicht neue Finanzquellen von Investoren, aber nur um den Preis höherer Haftungsrisiken für die öffentlichen Haushalte. Die privaten Finanzmärkte entziehen sich der privaten Haftung wie ein glitschiger Fisch dem Zugriff mit der bloßen Hand.

Die Sparzwänge in der Haushaltspolitik würgt in den betroffenen Ländern die Konjunktur ab und damit neue Finanzquellen. Und jede Rettungsmaßnahme verschärft die Haushaltsbelastung in den Geberländern. Nicht zuletzt deswegen drohen die Ratingagenturen auch diesen mit der Herabstufung Die drohenden Herabstufungen machen dann die Hilfsprogramme in Kombination mit den Sparprogrammen noch dringlicher.

 

Von der Staatsschuldenkrise zur Finanzkrise

Das Krisenmanagement bewegt sich daher in in nicht aufzulösenden Widersprüchen. Der EZB Vizepräsident Constancio hat gerade erst (am 18.12.2011) vor der Instabilität des Finanzsystems gewarnt und dabei als größtes Risiko die “negativen Wechselwirkungen zwischen den anfälligen Staatsfinanzen, dem Finanzsektor und dem Wirtschaftswachstum” bezeichnet (1) Mit anderen Worten, die EZB sieht die Gefahr des Durchgreifens der Schuldenkrise auf die sog. Realwirtschaft über die schwierige Lage des Finanzsektors, wenn es dadurch zu einer Kreditklemme käme. Ein Index, der die “vermutete Wahrscheinlichkeit von mehreren gleichzeitigen Zusammenbrüchen großer Banken abbildet”, sei “ auf ein Rekordhoch gestiegen.” (1) Infolge dieser Widersprüche scheint sich das Krisenmanagement der Politik in einem Kreislauf zu bewegen. Als Finanzkrise hat sie begonnen, und über die Konjunktur- und Bankenrettungspakete ist sie zu einer Staatsschuldenkrise geworden. Und hieraus resultiert wiederum die Gefahr einer neuen Finanzkrise, auf dem Weg zu einer Krise der “Realwirtschaft”.

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Die Finanzkrise ist eine Krise des Nationalstaats Teil II

Die Finanzmärkte erzwingen die Neuordnung Europas – zu ihren Bedingungen

Das Wesen der kapitalistischen Krise offenbart sich in der Vernichtung von Werten, weil der sich beständig beschleunigende Verwertungsprozeß an irgendeinem Punkt ins Stocken gerät. Das Rettungsprinzip der Politik versucht, diese marktwirtschaftlichen Gesetze zu überlisten, indem es mit öffentlichen Geldern den Kreislauf am Leben erhält und dafür die Akteure aus der Haftung entlässt. 

Der Staat als Gesamtschuldner der Privatwirtschaft

Die Verluste aus der Vernichtung von Werten werden dabei in immer größerem Maßstab sozialisiert bis der Staat, oder besser das öffentlich-rechtliche Gemeinwesen, als eine Art gigantische Bad-Bank auf einem Haufen wertloser Schuldtitel sitzt, oder die Krise mit Hilfe monetärer Staatsfinanzierung, also mit der Druckerpresse, bekämpft. Der Staat wird so faktisch zum Gesamtschuldner für alle Forderungsausfälle der Privatwirtschaft.

Auch die Bundesregierung geht diesen gesamteuropäischen Weg mit, dies jedoch teils zögerlich und unwillig. So hat sie sich relativ hartnäckig für die Einbeziehung privater Gläubiger bei einem Schuldenschnitt Griechenlands eingesetzt. In einigen zentralen Punkten widersetzt sie sich bis heute einer institutionalisierten Transferunion, der Einführung von Eurobonds (Gemeinschaftsanleihen) sowie Maßnahmen, die die direkte oder indirekte monetäre Staatsfinanzierung ermöglichen würden. Dies wäre etwa bei einer Banklizenz für den permanenten Rettungsfonds ESM der Fall. Diese Zaudern bei der Neuordnung Europas hat ihr die geballte Opposition der linken Parteien, namentlich der SPD und der Grünen, eingebracht.

Vom Fiskalpakt zur Transferunion

Das vorläufige Zwischenergebnis dieser Politik ist der auf dem letzten EU-Gipfel beschlossenen Fiskalpakt. Dabei handelt e sich um einen Kompromißlösung. Die Politik der Bundesregierung knüpft daran die Hoffnung, mit einzelnen Zugeständnissen den Durchbruch zur Transferunion zu verhindern. Für die Oppositionsparteien SPD und Grüne ist er allenfalls eine unzulängliche Zwischenlösung.

Endgültig hat sich die europäische Politik damit von der privaten Gläubigerbeteiligung verabschiedet. Es wurde auch eine weitere Aufstockung der Rettungspakete beschlossen, die aber schamhaft versteckt wird über eine Zwischenfinanzierung über den IWF. Im Kern geht es bei dem Fiskalpakt jedoch um die Vereinbarung von Durchgriffsrechten der EU in die Haushaltsaufsicht der Staaten zur Durchsetzung der Haushaltsdisziplin und der Schuldenbremse. Diese Vereinbarung wurde aber in einem zwischenstaatlichen Vertrag geschlossen und widerspricht geltendem EU-Recht, so daß es auf diese Weise im Ernstfall gar nicht durchgesetzt werden kann.

Die verhaltenen Reaktionen an den Finanzmärkten spiegelt die Unzufriedenheit mit diesem halbfertigen, unausgegorene Zwischenprodukt wider. Die Finanzmärkte schreien geradezu nach einer ordentlichen Haftungsgemeinschaft, und dafür müssen die EU-Verträge geändert werden. Dafür muß eine ganz neue Ordnung her! 

“Eine große Idee für Europa” (Claudia Roth auf dem Grünen Parteitag)

Formuliert wird dieses Verlangen in Deutschland gegenwärtig von der SPD und den Grünen, die bedingungslos diese Haftungsgemeinschaft fordern, je schneller desto besser. Mit etwas weniger Pathos als Claudia Roth hat sie Siegmar Gabriel gerade in der FAZ vorgetragen mit einem Artikel unter der Überschrift “Was wir Europa wirklich schulden.” (2) 

“Europa neu denken” (Siegmar Gabriel)

Siegmar Gabriel schreibt, “Wer Europa neu denken und den europäischen Gründungsgedanken neu beleben will, der muß zuerst auch politische und kulturelle Attitüden verändern.” Das wird wohl so sein, denn um eine politische und kulturelle Einebnung wird es bei diesem nächsten Schritt der europäischen Integration gehen. Daß er den europäischen Einigungsgedanken ausgerechnet in Schulden aufwiegt, ist vielleicht eine unbeabsichtigte Überpointierung. Jedenfalls spricht er klar aus, um was es bei dieser weiteren Integration geht. “Ohne eine europäische Antwort mit einer echten Fiskalunion und ohne einen europäischen Schuldentilgungsfonds wird die Krise der Staatsfinanzierung in der Eurozone nicht beendet werden.” Nur, wie verträgt sich diese vom Finanzkapital erzwungene Neuordnung Europas mit dem Pathos und vor allem mit einem der Grundpfeiler europäischer Zivilisation – der Demokratie? Siegmar Gabriel schlägt vor, daß künftig das EU-Parlament den Kommissionspräsidenten wählt und die Staats- und Regierungschefs nur noch eine zweite Kammer des Parlaments bilden, eine Art wie er sagt “europäischer Bundesrat”. Natürlich sieht auch er, daß damit ein bewußter Verzicht auf “bislang rein nationale Souveränitätsrechte” verbunden wäre. Damit das ganze demokratisch bleibt, sollen die Bürger über diesen Verzicht “abstimmen dürfen”. Dies erinnert an den Vorschlag Papandreous, der den Griechen die Möglichkeit einräumen wollte, per Volksentscheid über die Aufgabe ihrer nationalen Souveränitätsrechte und eines von der EU verordneten Sparpakets abzustimmen bei Strafe des finanziellen Zusammenbruchs. Und dennoch, die Entwicklung gibt ihm recht. Siegmar Gabriel liefert in erstaunlicher Offenheit die Begründung dazu. “Weder die Kreditgeber an den Finanzmärkten glauben bisher an die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Lösungen noch die Staaten außerhalb Europas, bei denen wir um den Ankauf europäischer Staatsanleihen geradezu gebettelt haben.”

 

Die Verwandlung der EU in Finanzprotektorate

Bei den Halbheiten auf dem gegenwärtigen Weg kann nicht stehengeblieben werden, vor allem was die Durchgriffsrechte gegen nationale Eigenheiten angeht. Teilweise funktioniert dies allerdings schon. In Griechenland wurde unter Führung eines Finanztechnokraten eine Regierung “der nationalen Einheit” (!) gebildet, die ihre Anweisungen direkt von der EU-Zentrale erhält und das Regime im Sinne einer europäischen Zentralgewalt führt. Ähnlich in Italien. In Griechenland tragischer Weise nicht trotz, sondern irgendwie sogar wegen des geschlossenen Aufbegehrens eines ganzen Volks. Diese technokratische Ausnahmeregierungen sind die Vorboten künftiger Finanzprotektorate, in die sich das neue Europa verwandeln wird. Die gegenwärtige Finanzkrise ist politisch daher vor allem eine Krise des Staates in der herkömmlichen Form und damit der Demokratie.  Das entwickelte Finanzkapital sprengt die Fesseln des Nationalstaats.

Mit der Verfassung ist das alles nicht vereinbar. Obwohl es (noch) nicht offen ausgesprochen wird, mit der neuen Ära zeichnet sich auch das Aus für das Grundgesetz ab sowie die kalte Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Angriff auf den Verfassungsstaat ganz anderer Art.

 

Nicht Raubtierkapitalismus, sondern Globalisierung und Privatisierung

Es erscheint paradox, daß gerade die gesellschaftliche Linke diese Entwicklung nachhaltig fordert und fördert. Rhetorisch meint sie, die geballte Kraft Europas gegen die Spekulanten in Stellung zu bringen, tatsächlich betreibt sie mit der politischen Neuordnung Europas die weitere Verschmelzung der Staaten mit den Finanzmärkten. Es sind die gleichen Talkshowpolitiker, die sich des öffentlichen Beifalls sicher sein können, wenn sie gegen die Spekulanten wettern und das Wort “Zocker” nur in den Mund nehmen. Es sind diejenigen, die in überschäumendem Radikalismus dem Wort Kapitalismus den Zusatz “Raubtier-“ verpasst haben, um damit wie Siegfried als Drachentöter zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, ebenso hilflos wie ohnmächtig die Probleme zu personalisieren, die in Wahrheit die die gesetzmäßigen Folgen des hochentwickelten Kapitalismus mit seinem entwickelten Geld- und Kreditwesen sind. Die Beschleunigung des Geldverkehres mit der einhergehenden Risikoanfälligkeit ist nicht das Produkt unmoralischer Gier Einzelner, sondern folgt den inneren Zwangsgesetzen der kapitalistischen Konkurrenz.

Man kann sagen, daß sich das Finanzkapital die Neuordnung nach seinen Bedingungen erzwingt, weil es sich der Staaten fast vollständig bemächtigt hat. Man kann aber auch umgekehrt sagen, die Staaten sind bereits so tief in die Verwertungsprozesse des Kapitals integriert, daß sie notwendigerweise selbst als Finanzakteure auf den Finanzmärkten agieren müssen. Die Funktionen des öffentlichen Gemeinwohls und die Vertretung privatwirtschaftlicher Interessen sind bereits so miteinander verflochten, daß sie immer ununterscheidbarer werden. Die Lösung privatwirtschaftlicher Probleme mit öffentlichen Geldern - wie etwa die Bankenrettung - erscheint daher als Aufgabe des öffentlichen Gemeinwohls. Der auferlegte Sparzwang der öffentlichen Haushalte ist genau besehen auch zweideutig. Der Sparzwang hat seine Ursache ja nicht in einer plötzlichen Verarmung der hochentwickelten kapitalistischen Länder. Erstaunlicherweise übersteigt in fast allen europäischen Ländern das private Nettofinanzvermögen die Staatsverschuldung, teilweise sogar erheblich. In Deutschland etwa beträgt das private Nettofinanzvermögen 127 % des Bruttoinlandsprodukts im Verhältnis zu einer Staatsverschuldung von 82% zum BIP. (in Portugal 123% zu 102% usw.) (3) . Die Sparhaushalte dienen im Übrigen der Schuldentilgung und sind daher begleitet von einer ständigen Erhöhung der Schuldentilgungsfonds und damit immer neuen Haushaltsbelastungen. Im Ergebnis handelt es sich um eine forcierte Umschichtung von öffentlichen Geldern in die Privatwirtschaft. (was hier übrigens nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit einer Umverteilung von unten nach oben.) Diese Umschichtung hat nicht erst mit der Bankenrettung begonnen, sondern bereits mit den Konjunkturpaketen, mit der Entbindung der Unternehmen von der Lohnzahlungs- und Abgabenpflicht, über die Kurzarbeitsprogramme, mit der Standortsicherung für Großunternehmen usw. .Damit wurden in großem Umfang auch erhebliche Klientelinteressen bedient.

Die linke Vision von einer Neuordnung Europas ist apologetisch. Sie spiegelt nur die notwendigen Anpassungsprozesse an die globalisierte Finanzwirtschaft wider, die die Marktgesetze des entwickelten Finanzkapitalismus erzwingen. Die weitere, krisenbedingt sprunghafte Integration der Europäischen Gemeinschaft kommt einer Privatisierungswelle gleich. Dabei geht es nicht mehr nur um die Privatisierung einzelner Segmente öffentlicher Gemeinwohlaufgaben, sondern strukturell um die Privatisierung der Staaten selbst. Da die Politik diesen gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzen ohnmächtig gegenüber steht, werden die Probleme, die aus den gesellschaftlichen Verhältnisse resultieren, personalisiert und in die Sphäre des Moralischen erhoben. So treibt man die Entwicklungen voran, deren größter Kritiker man zu sein meint.

In die gleiche eigentümliche Dialektik sind auch die neuen Protestbewegungen, namentlich die Occupy-Bewegung, verwoben. Aber das ist Thema eines weiteren Beitrags

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(1) FAZ, 19.12.2011

(2) FAZ, 13.12.2011

(3) FAZ, 15.12.2011

Max (Gast) - 30. Dez, 14:54

Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass die Politik in großen Teilen der Privatisierung sogar sehr energisch entgegenschaut. Da scheint sich ja kaum jemand zu wehren und ich kann mir vorstellen, dass die Abgabe von Verantwortung auch für manch einen sehr verlockend erscheint.

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