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Mittwoch, 12. Juni 2013

Alarm! Strafverfahren als TV-Spektakel

Die Justizministerkonferenz der Länder befasst sich heute und morgen, am 12. und 13. Juni 2013, auf Initiative von Rheinland-Pfalz und dem Saarland mit der möglichen Öffnung der Gerichtssäle für Fernsehübertragungen. Dies wurde gestern von verschiedenen Zeitungen in kleinen Meldungen berichtet.

Das Bundesverfassungsgericht mißverstanden

Angeregt sind die Justizminister offensichtlich von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Vergabe von Sitzplätzen an Medienvertreter in dem NSU Verfahren, mit der die Zuweisung einer Mindestvergabe von Sitzplätzen an Medien mit besonderem Opferbezug angeordnet wurde. Die Konkurrenz und der Rummel um die Sitzplatzvergabe hat die Begehrlichkeiten der Medien offensichtlich angeregt und soll jetzt durch die Initiative der Ministerkonferenz auf Live-Übertragungen  aus dem Gerichtssaal ausgeweitet werden.  Dabei hat die 3.  Kammer des 1. Senats klargestellt, daß in dem Verfahren ,,von vornherein kein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Zugang zu den Gerichtsverhandlungen in Frage steht.” Wenn mit der Entscheidung überhaut verfassungsrechtliche Ansprüche der Medien betroffen sind, dann allenfalls ,,im Rahmen einer gleichheitsgerechten Auswahlentscheidung.” Aber selbst das hat das Bundesverfassungsgericht noch offengelassen, weil es sich dabei um schwierige, verfassungsrechtlich ungeklärte Fragen handelt, die im Rahmen eines Eilverfahrens gar nicht entschieden werden können. Darüber hinaus handelt es sich auch um durchaus heikle Fragen, weil mit der Entscheidung zur Sitzplatzvergabe grundsätzlich die verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit der Justiz berührt ist. Die eher unglückliche Begriffsschöpfung von Medien mit Opferbezug im Rahmen einer Zuweisungsentscheidung von Sitzplätzen ist von der politischen Öffentlichkeit offensichtlich mißverstanden worden als ein grundsätzlicher  – und durch besondere Opfernähe verstärkter – Anspruch der Medien.

 

Der Grundsatz der Öffentlichkeit dient nicht der Publikumsunterhaltung, sondern der Wahrung rechtsstaatlicher Verfahren

Die prozessualen Vorschriften über die Öffentlichkeit in Strafverfahren sichern die Gewährung eines rechtsstaatlichen Verfahrens nach zwei Seiten hin ab und dienen vor allem dem  Schutz der Angeklagten. Nach der einen Seite soll der  Grundsatz der Öffentlichkeit die Durchführung von Geheimverfahren verhindern, nach der anderen Seite soll aber die Beschränkung der Öffentlichkeit auch gewährleisten, daß aus Strafverfahren keine Schauprozesse werden. Aus diesem Grunde können Gerichtsverhandlungen nicht in Turnhallen oder gar in Sportstadien verlegt werden und sei das öffentliche Interesse noch so groß. Erst recht gilt dies für Fernsehübertragungen und Übertragung auf Videoleinwände mit public viewing.  Nach den Worten der Justizministerin des Saarlands, Anke Rehlinger (SPD),  die die Konferenz leitet , ist dies nicht mehr zeitgemäß. Seit dem Kameraverbot hätten sich die Gesellschaft und die Medien verändert.

Die Veränderungen der Mediengesellschaft, die Frau Rehlinger meinen könnte,  führen schon bisher zu einer für die Demokratie bedenklichen Machtkonzentration einiger zentraler Fernsehanstalten. Mit ihrer Talkshowkultur z.B., die  längst eine wirkliche Debattenkultur erstickt,  steuern sie die Meinungs- und Willensbildungsprozesse in ihrem Sinne, weit ab von den parlamentarischen Geschehen. Meist folgen diese Talkshows einer von professionellen Produktionsgesellschaften mit großem finanziellen und logistischen Aufwand vorgefertigten Regie, in der Politikergäste regelrecht  mit suggestiven Filmeinsprengseln  vorgeführt werden. Noch bedenklicher wären  die Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Justiz, wenn diese in den Sog der Konkurrenz um Senderechte, Quotenjagd und Unterhaltungswert geriete. Man muß sich etwa einen Vorsitzenden Richter vorstellen, der ein unpopuläres Urteil vor einem Millionenpublikum verkünden und begründen muß, live kommentiert wie bei einer großen Sportveranstaltung von einem ,,sachkundigen” Justizmoderator. Möglichkeiten, sich sachgerecht über das Justizgeschehen und die Rechtsprechung zu informieren, gibt es heute schon genug. Mit Transparenz haben diese Vorschläge daher nichts zu tun.

Freitag, 31. Mai 2013

Das Bundesverfassungsgericht und die postmoderne Familie II

Vorbemerkung

Dieser Beitrag ist Teil einer Serie von Artikeln, die sich mit verschiedenen Aspekten des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften vom 19.2.2013 (1) befassen. Der vorausgehende Beitrag,  Teil I dieser Serie,  befasst sich sich mit der Problematik einer verfassungsändernden Verfassungsrechtsprechung.  Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit den Konsequenzen auf den Grundrechtsschutz, den die Entscheidung weit über die Gestaltung der Rechtsverhältnisse gleichgeschlechtlicher Partnerschaften hinaus hat.

 

II. Eingriff in das Elterngrundrecht  und die Rechte des Kindes durch das Bundesverfassungsgericht

 

Das Urteil wird weitgehend verstanden als ein Beitrag zum Abbau der Diskriminierung von Homosexuellen, indem es gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften verfassungsrechtlich einen Gleichstellungsanspruch auf Elternschaft einräumt. Die Ausweitung des verfassungsrechtlichen Elternbegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare berührt aber zugleich auch das Verhältnis von rein rechtlicher zu leiblicher Elternschaft, wobei letztere  mit der Entscheidung ihren bisherigen unbedingten Grundrechtsschutz verliert. Das Urteil geht an keiner Stelle auf Inhalt und Reichweite des privilegierten Ehe- und Familienschutzes nach Art. 6 GG ein. Faktisch wird aber die wertentscheidende Grundsatznorm mit der Einebnung der Ehe und der begrifflichen Ausdehnung der Familie aufgegeben. Das Bemerkenswerte an dem Verfassungsgerichtsurteil ist daher , daß es den Grundrechtsschutz nicht stärkt oder erweitert, wie das etwa mit der Einführung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der Fall war, sondern daß erstmals durch das Verfassungsgericht selbst  folgenschwer in ein bestehenden Grundrechtsschutz vor allem in dem Verhältnis von Eltern und Kindern eingegriffen wird.

1. Der Grundrechtsschutz aus Art. 6 II 1 GG

Maßgeblich für den Grundrechtsschutz der Eltern-Kind Beziehung ist Art. 6 II 1 GG, in dem es heißt, ,,Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern.” Aus dieser Vorschrift folgt sowohl das Elterngrundrecht wie das subjektive Gewährleistungsrecht des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung. Sowohl die herrschende Meinung wie die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgerten aus der Formulierung eines natürlichen Rechts, daß dieses ein dem Staat vorgegebenes Recht ist, das weder von ihm verliehen wird noch sonst wie zu seiner Disposition steht und dessen Träger diejenigen sind, die dem Kind das Leben geben. (2)

Nach diesem Verständnis bestimmt sich auch das Verhältnis von Staat und Familie. Die Familie, und insbesondere die Kernfamilie von Eltern und ihren Kindern, ist nach traditionellem Verständnis der geschützte private Bereich schlechthin, in den der Staat nur in in extremen Ausnahmefällen, etwa bei eklatanter Kindeswohlgefährdung, eingreifen darf. Diese Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht mit der Adoptionsentscheidung aufgehoben und damit das Verhältnis von Staat und Familie  neu bestimmt. Vor allem  fallen nun dem Staat entscheidende Eingriffsbefugnisse in die Familie und die hoheitliche Gestaltungsbefugnisse in den privatesten Lebensverhältnissen der Menschen zu.

2. Die fragwürdige Neuinterpretation des Art. 6 II 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht

Die Neuinterpretation stützt das Bundesverfassungsgericht auf einen Kunstgriff. Weil Art. 6 II,1 GG von Eltern spricht und nicht von Mutter und Vater, sei der verfassungsrechtliche Elternbegriff grundsätzlich geschlechtsneutral und das Grundgesetz offen für gleichgeschlechtliche Elternschaft. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte  können diese Auslegung rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht räumt in dem Urteil selbst ein, daß zum Entstehungszeitpunkt des Grundgesetzes die Erstreckung des Elternbegriffs auf gleichgeschlechtliche Elternpaare, ,,schlicht außerhalb es damaligen Vorstellungshorizonts “ des historischen Verfassungsgebers lag. Damit konnte wegen der Selbstverständlichkeit des Elternbegriffs  auch nur die verschiedengeschlechtliche Elternschaft gemeint sein.  Auch wenn sich die Einstellung gegenüber Homosexuellen seither zu Recht gewandelt hat, folgt daraus weder verfassungsrechtlich noch nach der Verkehrsauffassung die Aufgabe des komplementären Elternbegriffs.

Mit der verfassungsändernden Rechtsprechung greift das Bundesverfassungsgericht eigenmächtig in die Grundlagen einer gewachsenen (und im übrigen verfassungsrechtlich geschützten) Rechtskultur ein, die es alleine auf einen geänderten Zeitgeist stützt. Zwischen der Aufgabe des komplementären Elternbegriffs und der Einstellung zur Homosexualität besteht aber kein direkter Zusammenhang. In Frankreich hat die Einführung des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare zu einer mächtigen Gegenbewegung geführt unter der Losung ,,ein Kind braucht eine Mama und einen Papa”, die sich nicht per se gegen Homosexuelle, sondern gegen die  institutionelle Aufhebung der traditionellen Familie richtet. Der Kulturkampf in dem mitteleuropäischen Land Frankreich zeigt zudem, wie unzuverlässig die Berufung auf den vermeintlichen Zeitgeist ist, wenn es um einen verfassungsrechtlich geforderten gesellschaftlichen Konsens für eine Verfassungsänderung geht.

3.  Der Staat schützt nicht mehr die Familie, er gründet sie

Die entscheidende rechtspolitische Konsequenz der Änderung des verfassungsrechtlichen Elternbegriffs liegt vor  allem in dem Verlust des Schutzes der auf Abstammung beruhenden Eltern-Kind Beziehung.  Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt das Elterngrundrecht in dem Urteil noch zu Recht mit der Kindeswohlfunktion und begründet dies mit dem ,,Gedanken, daß in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution.”  Das Urteil erinnert auch noch zutreffend an ,, die von der Verfassung vorausgesetzte – spezifische elterliche Hinwendung zu Kindern.” Umso erstaunlicher dann, daß die Verfassungsrichter  nunmehr den Schluß daraus ziehen: ,,Für die Schutzbedürftigkeit dieses zum Wohl des Kindes  gewährten Elternrechts gegenüber dem Staat macht es keinen Unterschied, ob die Eltern gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind.”

Dies bedeutet aber mit anderen Worten: Es macht keinen Unterschied, ob es die eigenen Eltern sind oder fremde Personen!

Im Sinne der dieser Rechtsprechung ist das Elternrecht dem Staat damit nicht mehr als anzuerkennendes Recht vorgegeben, sondern wird vom Staat zugeteilt. ,,Sofern das einfache Recht die rechtliche Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Partner begründet, sind diese auch im verfassungsrechtlichen Sinne als Eltern anzusehen.” Mit dieser grundsätzlichen Feststellung hat das Bundesverfassungsgericht das Elternrecht von der natürlichen Abstammung abgekoppelt. Elterliche Hinwendung und das Kindeswohl folgen dann der staatlichen Zuweisungsentscheidung wie bei der Erteilung einer Baugenehmigung oder der Fahrerlaubnis. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich damit nicht mehr auf den institutionelle Schutzgewähr für die Familie, sondern ihm fallen die letztendlichen Gestaltungsbefugnisse zu. Diese in dem Urteil aufgestellten Grundsätze sind allgemeiner Natur und wirken sich aus auf die Regelung der Rechtsverhältnisse der Familie im Allgemeinen und damit weit über die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften hinaus. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil auch bereits weitgehend die Kriterien für die staatliche Zuweisung der Elternrolle entwickelt, was Gegenstand eines weiteren Beitrags sein wird.

Das Elterngrundrecht verliert damit seinen spezifischen grundrechtlichen  Schutz als natürliches Recht und seine Bedeutung als unveräußerliches Menschenrecht. Das gilt auch für das subjektive Gewährleistungsrecht des Kindes auf elterliche Pflege und Erziehung, das  nun nicht mehr auf die eigenen Eltern gerichtet ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil die Grundrechte aus Art. 6 II 1 GG soweit uminterpretiert, daß sie dem – verfassungsrechtlich allerdings keineswegs gebotenen – Gleichstellungsanspruch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften untergeordnet werden können. Damit ist zunächst als unmittelbare Folgewirkung der Mißbrauch des Adoptionsrechts zur Herstellung des vermeintlichen Gleichstellungsauftrags nach Art. 3 I GG freigegeben. Mit den Folgen des Urteils  für das Adoptionsrecht und das Recht der Reproduktionsmedizin  beschäftigen sich die folgende Beiträge.

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(1)  http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20130219_1bvl000111.html

(2) Beschluß d. Bundesverfassungsgerichts v. 9.4.2003, BVerfGE 108, 82

Mittwoch, 22. Mai 2013

Das Bundesverfassungsgericht und die postmoderne Familie I

 

Vorbemerkung

Mit Urteil v. 19.2.2013  hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Sukzessivadoption nach § 7 Abs. 9 Lebenspartnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften für verfassungswidrig erklärt und damit der völligen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe den Weg bereitet. (1) Faktisch bedeutet diese Einebnung der Ehe politische die  Abkehr vom traditionellen Familienbild im Sinne eines feministischen Familienverständnisses  und verfassungsrechtlich die  Aufgabe des grundrechtlichen  Ehe- und Familienschutzes.  Die nachfolgenden Beiträge befassen sich in loser Folge mit den verschiedenen Aspekten der äußerst komplexen Urteilswirkungen auf die Rechtskultur und die weiteren rechtspolitischen Entwicklungen dieser Entscheidung  weit über die rechtliche Gestaltung der Lebenspartnerschaften hinaus.  Die Themen rechen von der Problematik einer verfassungsändernden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und deren Auswirkungen auf die Balance eines gewaltenteiligen Machtgefüges  bis zu den Eingriffen in den Grundrechtsschutz für die leibliche Eltern-Kind Beziehung und die daraus vor allem resultierende Schwächung der Rechtsstellung des leiblichen Vaters in der Reproduktion.

 

Die feministische Politik gibt ein unergründliches Rätsel auf, wenn sie die Einebnung der Ehe betreibt, obwohl diese die einzige Rechtseinrichtung unseres Kulturkreises bildet, in der von jeher die Frauenquote strikt eingehalten wird. (Prof. Dr. Josef Isensee, in der Neuen Juristischen Wochenschrift 93, 2583 (2585))

 

I. Verfassungsändernde Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht

 

1. Die Stellung  des Bundesverfassungsgerichts im demokratischen Machtgefüge

In dem System der Gewaltenteilung nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Sonderstellung ein. Die formal unabhängigen Gewalten der Legislative, Exekutive und Judikative unterliegen den bekannten Interdependenzen. Der Staat wird von der unabhängigen Justiz auf die Einhaltung seiner eigenen Gesetze kontrolliert, aber nach den rechtlichen Vorgaben der gesetzgebenden Gewalt. In diesem Kreislauf hat der Wähler über die Wahl der Gesetzgebungsorgane das letzte Wort. Das Bundesverfassungsgericht ist in diesem Machtgefüge einerseits Teil der unabhängigen Justiz und wird wie ein Gericht nur tätig, wenn es angerufen wird. Wo kein Kläger, da kein Richter. Von einem Gericht unterscheidet es sich aber dadurch, daß seine Rechtsprechung unmittelbar Gesetzeskraft erlangt. Es vereinigt in sich daher Elemente sowohl der judikativen wie der legislativen Gewalt. Damit verbleibt beim Bundesverfassungsgericht ein Moment, das sich jeder demokratischen und richterlichen Kontrolle entzieht. Diese  für die Demokratie untypische Machtkonzentration ist durchaus ambivalenter Natur. Die Unabhängigkeit auch des Verfassungsgerichts ist unabdingbar für seine Funktionieren als Kontrollorgan  über die Einhaltung der Verfassung durch sämtliche staatliche Gewalten.  Die andere Seite des Funktionierens liegt aber ausschließlich in einer unbedingt einzuhaltenden selbstauferlegten Beschränkung auf diese Kontrollfunktion.  Von außen kann diese Selbstbeschränkung der eigenen Macht durch kein anderes Verfassungsorgan erzwungen werden.

2. Neuartige  Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich als Hüter der Verfassung  bewährt und damit ein nahezu selbstverständliches Vertrauen in die Integrität seiner Richter und die Autorität seiner Institution erworben.  In der Frage einer möglichen Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung ist die öffentliche Aufmerksamkeit aber noch weitgehend an den Erfahrungen der Weimarer Republik ausgerichtet  Noch kaum in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten sind die Herausforderungen für die Verfassung und die Verfassungsgerichtsbarkeit  durch neuere gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungstendenzen. Und dies, obwohl schon von maßgeblichen politischen Akteuren die Geltung des Grundgesetzes als Ordnungsrahmen für unsere Gesellschaft im Ganzen in Frage gestellt werden. Verantwortlich sind die rasanten gesellschaftliche Veränderungen, die allgemein unter dem Stichwort der Globalisierung zusammengefasst werden und worunter namentlich auch die zunehmende europäische Integration fällt. Nicht zuletzt die Finanzkrise hat mit ihren Herausforderungen an die staatlichen Krisenbewältigung schon an dem Bestand nationalstaatlicher Souveränität in der Haushaltspolitik gerüttelt. Begleitet werden diese Entwicklungstendenzen sowohl von einem ständigen technologischen Fortschritt , insbesondere in der Digitalisierung und gewandelten gesellschaftlichen Lebensformen. Damit wachsen die Herausforderungen für das Bundesverfassungsgericht, die Verfassung zunehmend kreativ auf die neuen Bedingungen anzuwenden. Ein Beispiel für die Fortschreibung der Verfassung ist das von dem Verfassungsgericht eingeführte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Gleichzeitig verschwimmen allerdings auch die Unterschiede zwischen Auslegung der Verfassung, einer  kreativen verfassungskonformen Fortschreibung des Rechts, und einer verfassungsändernden Rechtsprechung.

3. Das Adoptionsurteil des Bundesverfassungsgerichts als Zäsur

In diesem Zusammenhang hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften die Bedeutung einer Zäsur. Mit ihm werden die Grenzen der Anpassung der Verfassung an geänderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen überschritten.  Nach allgemeinem Verständnis hat das Bundesverfassungsgericht mit diesem  Urteil den entscheidenden Schritt zur vollkommenen Gleichstellung der heterosexuellen Ehe mit der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft vollzogen.  Das ist mit der geltenden Verfassung und der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 GG nicht vereinbar.

Art. 6 GG stellt im Sinne einer wertentscheidenden Grundsatznorm Ehe und Familie unter besonderen Schutz.  Mit Beschluß v. 4.10.1993 hat die 3.  Kammer des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden,

,,Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Ehe nach Art. 6 I GG die Vereinigung von Mann und Frau ist. (es folgen zahlreiche Nachweise). Daraus folgt, daß aus dieser Grundrechtsnorm  ein Recht auf Eingehung  einer Ehe mit einem gleichgeschlechtlichen Partner nicht hergeleitet werden kann.” (2)

Im der 54. Auflage des Palandt von 1995, dem maßgebliche Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, scheibt der langjährig verantwortliche Bearbeiter für das Familienrecht und inzwischen emeritierte Rechtsprofessor Diederichsen  unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

,,Familie und Ehe sind die wichtigsten Grundlagen des Gemeinschaftslebens. Auf ihnen bauen sich Gemeinde und Staat auf. Sie stehen deshalb unter dem besonderen Schutz des Staates… Das BGB enthält keine Begriffsbestimmung von Ehe und Familie. Unter Ehe ist aber in Anknüpfung an die christlich-abendländische Tradition nur die rechtliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau zu verstehen, so daß gleichgeschlechtliche Paare kein Recht auf Eheschließung haben. Eine Korrektur dieser Grundvorstellung  kann nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung erfolgen, sondern müßte in einem Staat mit Gewaltenteilung dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, bei dem wegen GG 6 verfassungsändernde Mehrheit erforderlich ist.” (3)

Parlamentarische Vorstöße für eine entsprechende Verfassungsänderung wurden seinerzeit von der Gemeinsamen Verfassungskommission, die ihre Arbeit am 1.7.1993 abgeschlossen hatte, abgelehnt.

 

4.  Die Brisanz des Urteils liegt nicht in der Gleichbehandlung von Homosexuellen, sondern in den  Eingriffen in das Elterngrundrecht und die  grundrechtlich geschützten Rechtspositionen von Kindern.

Das Bundesverfassungsgericht greift in dem Urteil den schon länger in seiner Rechtsprechung eingeführten Gesichtspunkt des fehlenden Abstandsgebots auf. Danach enthält der besondere Ehe- und Familienschutz des Art. 6 GG nicht das Gebot, andere Lebensgemeinschaft schlechter zu stellen. Das ist im Grundsatz richtig und nachvollziehbar, denn die Träger der Grundrechte aus Art. 6 GG verlieren nichts dadurch, daß bestimmte Privilegien auf andere Lebensformen ausgeweitet werden. Dies wäre etwa der Fall bei der Ausdehnung der steuer- und erbrechtlichen Privilegien auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.

In dem Urteil geht es jedoch nicht um die  Ausweitung des besonderen Ehe- und Familienschutzes, sondern um die Einebnung der Ehe und damit  faktisch um die Beseitigung der verfassungsrechtlichen  Institutsgarantie,  wofür die vermeintliche Gleichbehandlung von Homosexuellen gleichsam nur den Vorwand liefert. Die Gleichstellung mit anderen Lebensgemeinschaften erfolgt denn auch bereits in der Praxis mit der durch das Urteil politisch erneut angestoßenen Einschmelzung oder  Abschaffung  des Ehegattensplittings.

Im Zentrum der Adoptionsentscheidung steht jedoch die Ausweitung des Elternbegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare. Die damit einhergehende Änderung des verfassungsrechtlichen Elternbegriffs betrifft den Wesenskern der Familie selbst und  führt zwangsläufig zu substantiellen Eingriffen in den  Schutz der auf Abstammung beruhende Eltern-Kind Beziehung und damit in bisher bestehende Grundrechte für Eltern und Kinder. Darauf geht der Folgebeitrag ein.

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(1) http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20130219_1bvl000111.html

(2) BVerfG 1. Sen. 3. Ka NJW 93, 3058

(3) Palandt, 54. Aufl. 1995, Einl. 1 zu Viertes Buch, Familienrecht

Sonntag, 10. Februar 2013

Kulturkampf in Frankreich um die Homo-Ehe

 

Am 12. Februar soll im französischen Parlament abschließend über das Reformpaket zur Einführung  der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare abgestimmt werden. Gegen diese ,,Ehe für alle” hat sich in Frankreich eine unerwartet breite Protestbewegung entwickelt, die unter der Losung ,,Demo für alle”  eine der größten Demonstrationen der letzten Jahre in Paris mobilisieren konnte.  Kann es sein, daß ausgerechnet in Frankreich die Homophobie eine konservative Volksbewegung auslöst, die den sozialistischen Präsidenten innenpolitisch unter Druck geraten läßt? Ausgerechnet im Land der Liebe, wie ein Tagesthemenmoderator einen Bericht über die Proteste etwas verständnislos anmoderierte? Die mit ihrer Erkennungsfarbe Rosa im übrigen in bunter Vielfalt auftretende Protestbewegung  macht eher nicht diesen Eindruck. Auch spricht die Teilnahme von Homosexuellenvereinigungen wie die der ,,Plus gay sans mariage” (Schwuler ohne Heirat)  an den Protesten gegen eine ausgeprägte Homophobie.  Man muß wissen, daß in Frankreich bereits seit 1999 eine zivile Partnerschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, vergleichbar der eingetragenen Partnerschaft in Deutschland, möglich ist. Mit diesem zivilen Solidaritätspakt, genannt Pacs (Pacte civil de solidarité)  haben gleichgeschlechtliche Paare bereits die steuerliche Gleichstellung in der Einkommens- und Erbschaftssteuer erreicht.  Das weitergehende Interesse an der ,,Ehe für alle” bleibt daher bei oberflächlicher Betrachtung etwas im Dunkeln, sieht man von dem staatliche Hochzeitszeremoniell, das in Frankreich von den Bürgermeistern zelebriert wird, ab.  Diese Formalität kann den leidenschaftlichen Kulturkampf auf beiden Seiten kaum erklären.

 

,,Ein Kind braucht eine Mama und einen Papa”

Unter diesem Motto hat sich in Frankreich die Protestbewegung zusammengefunden. Nachdem inzwischen ein Teil des Gesetzes, mit dem die Ehe zwischen Menschen gleichen Geschlechts geschlossen werden kann, wie es in Paragraph eins heißt, bereits verabschiedet ist, geht es im Kern noch um die Frage des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare und eng damit zusammenhängend um die – in Frankreich noch verbotene - Leihmutterschaft sowie die Freigabe moderner Reproduktionsmedizin.  ,,Wir sind nicht gegen die Homosexuellen. Wir wissen, was Schwulenhass anrichten kann. Aber die Homosexuellen werden über den Gesetzentwurf manipuliert.”, sagte die anerkannte Führungsfigur der Protestbewegung, Frgide Barjot. (1)  Man müßte sagen, instrumentalisiert. Sieht man sich die Folgewirkungen der Adoptionsfreigabe an, scheint dies in der Tat so zu sein, auch wenn unter dem Druck der Protestbewegung die Frage der künstliche Befruchtung  zunächst abgetrennt und auf später vertagt wurde. Schon jetzt hat die französische Justizministerin  per Rundbrief die Justiz indirekt  zur Anerkennung ausländischer Leihmutterschaften verpflichtet, indem diese Kinder automatisch die französische Staatsbürgerschaft erwerben sollen. Und gegen die Freigabe der Reproduktionsmedizin, die als Folge des Adoptionsrechts kaum noch zu vermeiden sein wird, stellt sich nicht nur die Protestbewegung,  sondern werden auch Bedenken vorgebracht aus den Reihen der Abgeordneten der sozialistischen Partei selbst.

Die sog. Homoehe ist ein Beispiel dafür, wie in dem Sog einer linken Mainstream-Ideologie eine linke Elite gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerungen Reformprojekte durchpeitscht, die die Grundlagen unserer Kultur unumkehrbar verändern.  Der ideologische Kern der Gesetzesreform  und ihre weitreichenden gesellschaftlichen  Auswirkungen zeigen sich plakativ an der zumindest geplanten Streichung der Wörter ,,Mutter” und ,,Vater” aus dem Code Civil, dem französischen Bürgerlichen Gesetzbuch, und ihre Ersetzung durch die geschlechtsneutralen Begriffe ,,Elternteil 1” und ,,Elternteil 2”.  Es ist nach den Meldungen in den hiesigen Medien nicht ganz klar, ob Hollande mit der Rücknahme wenigstens diesen Teils des Reformwerks der Protestbewegung entgegengekommen ist oder nicht.  An dem ideologischen Gehalt des Reformprojekts würde das aber auch nichts ändern.  Die Justizministerin  Christiane Tabira sieht in der Ehe für alle so oder so ,,einen ´Fortschritt für die Menschheit´und eine notwendige Abkehr  vom traditionellen Familienbild, das aus ihrer Sicht mit der Emanzipation der Frau überholt ist.” (2)

 

Paradigmenwechsel in der Familienpolitik

Es ist nicht davon auszugehen, daß selbst die breite Protestbewegung in Frankreich an dem vorgezeichneten Weg des  Reformprojekts etwas ändern wird. Aber es hat sich erstmals Widerspruch artikuliert gegen die herrschende Dynamik linker gesellschaftsveränderter Prozesse, die meist,  so auch in Deutschland,  über die in Trägheit verharrende Mehrheitsgesellschaft hinwegrollen. In der FAZ v. 8.2.2013 hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik gefordert und das damit begründet, wenn wir –wen sie damit auch immer meint – heute über Familie sprächen, dächten  wir längst nicht mehr nur noch an Mutter-Vater-Kinder. (3) Die bisher bereits stattgefundenen Veränderungen glichen bereits ,,einer kleinen Revolution.”   Aber das Problem läge in der gegenwärtigen Familienpolitik, die diesem Wandel nicht Rechnung trüge. Besonders empört sie, daß der Staat noch immer die Ehe unterstützt, z.B. mit dem Ehegattensplitting und der Mitversicherung in der Krankenversicherung. Diese Kritik aus dem Mund einer nach Regierungsmacht strebenden Partei ist zumindest erstaunlich. Die staatliche Unterstützung der Ehe ergibt sich verpflichtend aus dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 Abs. 1 Grundgesetz. 

Die ideologischen Eiferer sind sich vollkommen klar drüber , daß es bei der Einführung der Homoehe nicht um diese oder jene überfälligen Rechte für Schwule und Lesben geht, sondern um die Beseitigung der traditionellen Familie im Namen des Feminismus.   Was ehemals mit  einer gutmeinenden linken Vision von einer toleranten Gesellschaft  begann, ist längst in ihr Gegenteil umgeschlagen. Anerkennung von Minderheiten bedeutet auch gerade die Respektierung des Andersseins. Die absolute Gleichstellungspolitik hat deshalb nichts mit Anerkennung von Minderheiten und Minderheitenrechten zu tun, sondern verfolgt die Integration aller Unterschiede in einen geschlechtsneutralen Einheitsbrei.

In dem vorhergehenden Beitrag auf diesem Blog unter dem Titel ,,Leitbild Rabenmutter” wurde bereits die Vergesellschaftung der Kindererziehung thematisiert und wie der Staat dabei über den möglichst frühzeitigen Zugriff auf die frühkindliche Erziehung von Kleinstkindern  die traditionelle Familie von der Kinderaufzucht befreit.  Bezeichnenderweise ersetzen die Bevölkerungsforscher des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaft in diesem Kontext bereits den Begriff der Familie durch den neutralen Begriff der Elternschaft, die so auf die rein biologische Funktion des Kinderkriegens reduziert wird. Mit der Einführung der Homoehe im obigen Sinne, also einschließlich des Adoptiónsrechts und seiner Folgewirkungen,  wird  die Elternschaft  begrifflich selbst davon emanzipiert.  Vorläufig wird bereits das Outsourcing der Erziehungsarbeit aus dem Familienbetrieb zur möglichst effizienten Freisetzung aller ökonomischen Ressourcen vorangetrieben. In den schlimmsten Visionen wird dasselbe mit der Reproduktion im engeren Sinn, der biologischen Reproduktion,  geschehen. Im Zusammenhang mit dem jüngsten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm zur Auskunftspflicht über anonyme Samenspender, sind bereits erstaunliche Praktiken über die Presse für eine breitere Öffentlichkeit  publik geworden. Nach einem Bericht  der FR v. 8.2.2013 werden die Spender über eine aufwendige halbjährliche Untersuchung durch die kommerziellen Betreiber der Samenbanken auf ein geeignetes Zehntel der Bewerber gefiltert , und von den Empfängern werden qualitative Ansprüche gestellt, die von dem Gesundheitszustand, äußeren Erscheinungsmerkmalen  über  Hobbys bis hin  zu akademischen Berufen der anonymen Spender reichen. Analog zur professionellen Kindererziehung werden sich auch hier bald gesellschaftsfähige Argumente finden, warum die professionelle Reproduktion  unter Einsatz der verfügbaren neuesten Technologien der Reproduktionsmedizin  weit effizientere Ergebnisse zeitigt als die die traditionelle, an dem überholten Rollenmodell von Mann und Frau orientierte Reproduktion.

……………………………………………………………

(1) FAZ, 11.12.2012

(2) FAZ, 17.1.2013

(3) FAZ 8.2.2013

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Leitbild Rabenmutter

An der Nahtstelle zwischen Politik und Wissenschaft, vornehmlich im Bereich der Gesellschaftswissenschaften, sind sog. Studien in Mode gekommen. Diese politisch intendierten Studien dienen zumeist dazu, vorweggenommene oder erwünschte politische Aussagen mit dem Schein  der Wissenschaftlichkeit zu unterlegen. So verhält es sich auch mit der neuesten Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaft, die in den zurückliegenden Tagen breit in der Tagespresse vorgestellt worden ist. (1) Die Aufgabe der Studie war es, die Ursachen für die signifikant niedrige Geburtenrate in Deutschland herauszufinden und dies vor dem Hintergrund der Milliardenbeträge für staatliches Elterngeld, für zusätzliche Krippenbetreuung und Betreuungsgeld. Um die 195 Milliarden Euro soll der Staat in familienpolitische Leistungen investieren. Zunächst einmal war klar, daß es daher weder an fehlendem staatlichen Geld noch an sozialen Notlagen liegen kann. Ansonsten läge nicht gerade Deutschland auf den hinteren Plätzen weltweit. Die Geburtenrate nimmt tendenziell mit dem Wohlstand eines Landes ab und innerhalb der Gesellschaft nimmt die Kinderlosigkeit mit höherem Bildungsstand und in den höheren Einkommensschichten zu. ,,Je höher die Erwerbsaussichten sind, desto eher werden sich berufsaffine Frauen gegen ein Kind entscheiden.“ (FAZ)  Die Studie selbst  verweist darauf, daß die Kinderlosigkeit unter Akademikerinnen der Jahrgänge 1963 – 69 bei fast einem Drittel liegt.  Die Studie kam daher zu dem wenig überraschenden Ergebnis, daß die Geburtenrate so niedrig ist, weil  die Frauen (von ihnen ist in erster Linie die Rede) weniger Kinder kriegen wollen oder in der Sprache der Forscher, ,,die niedrige Kinderzahl zumindest zum Teil ein gewünschter Zustand ist.” Schon die Tageszeitungen fassten das kurz und bündig zusammen in Überschriften wie ,,Kinderkriegen ist unattraktiv” (RNZ)  oder ,,Kaum noch Lust auf Kinder. ” (FAZ)  In der Tat stimmten der Aussage ,,Ein Kleinkind wird wahrscheinlich darunter leiden, wenn die Mutter berufstätig ist” im Westen noch 63% der Befragten zu. Dabei hätte es sein Bewenden haben können, da der Staat den Bürgern in ihren Privatangelegenheiten nicht  seinen Willen aufnötigen sollte. Doch die Bevölkerungsforscher des bundeseigenen Forschungsinstituts beließen es nicht dabei, sondern schlußfolgerten aus ihren Forschungsergebnissen auf ein ,, normatives Dilemma von Elternschaft und Beruf".  In den Antworten der Befragten spiegelt sich offenkundig eine Auffassung von einer eher nicht vorhandenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder enger gefasst, von Frauenerwerbstätigkeit und Kinderkriegen. Und zwar weniger im rein praktischen Sinne von einer unterentwickelten ,,Kinderbetreuungsinfrastruktur”, sondern eher im Sinne einer, wenn auch ins Negative gewendeten, verbliebenen  Ethik, die in etwa so lautet: ,wenn ich mich schon nicht (selbst) um mein Kind kümmern will, dann will ich es auch erst gar nicht zur Welt bringen.’ Das ist genau das, was die Forscher das normative Dilemma nennen, das Festhalten an dem ,,Leitbild der guten Mutter”, wie sie sagen, oder der Angst, als Rabenmutter zu erscheinen. Nach den Angaben der Befragten eigentlich aber genauer, der Angst, sich als Rabenmutter zu fühlen. Die Studie lenkt damit in der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf  den Blick weg von dem bloßen Ausbau der ,,Kinderbetreuungsinfrastruktur”, wie das Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nennt, und worauf die Politik, vornehmlich die linke fokussiert ist, auf das mentale Problem der Überwindung des Leitbilds der guten Mutter. Dabei stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kulturhistorisch erst in allerjüngster Zeit. Genauer gesagt, diese Frage hat sich solange überhaupt nicht gestellt, solange es die Familie als intakte und gesellschaftliche akzeptierte Institution gab. Die Frage begleitet daher eher den bereits weit fortgeschrittenen tatsächlichen Verfall der Familienstrukturen. Als Problem kam die Frage erst auf mit dem Vordringen der Erwerbsarbeit von Frauen. Damit ist nicht gemeint, die frühere Mitarbeit von Frauen etwa in agrarischen Gesellschaften oder die erzwungene massenhafte Fabrikarbeit proletarischer Schichten in Zeiten der industriellen Revolution, sondern die dem Zeitgeist entsprechende Erwerbsarbeit von Frauen als Lifestylefrage. Starke Frauen, jung, sexy, erfolgreich. Die Erwerbsarbeit in diesem Sinne unterscheidet sich von der Erwerbsarbeit der Männer grundlegend.  Für Generationen von Männern stand bei der Erwerbsarbeit die Gründung und der Unterhalt einer Familie im Vordergrund, und so ist es mental auch heute noch. Daher rührt ja die notorische ideologische Breitseite gegen das Rollenbild des Mannes als Alleinverdiener. Ganz anders verhält es sich mit dem zeitgenössischen und naturgemäß eher in den höheren Einkommensschichten anzutreffenden Streben der Frauen nach Erwerbsarbeit. Für diese steht vor allem der Drang nach (finanzieller) Unabhängigkeit im Vordergrund und damit die Abkehr von der Familie oder die Befreiung aus ihr. Keine Studie wird eine nennenswerte Anzahl von Frauen auftreiben können, die als wesentliches Motiv für ihre Erwerbsarbeit und ihre Karrierepläne die Gründung oder den Unterhalt ihrer Familie angeben wird, inklusive der Versorgung des Ehemanns versteht sich. Die Frauenerwerbsarbeit in dieser Ich-bezogenen Sicht spiegelt die zunehmende Vereinzelung in unserer Gesellschaft und wirkt als entscheidende Sprengkraft für den Familienverband.  In dieser Hinsicht ist Familie und (Frauen-)Erwerbsarbeit jedoch tatsächlich nicht zu vereinbaren. Entweder leidet der Beruf oder die Familie. Sie erhält sich im besten Falle als das bloß unverbindliche Nebeneinander zweier ökonomisch selbständiger Individuen, deren  evtl. vorhandenen Kinder einer umfassenden professionellen Fremdbetreuung anvertraut werden, so daß man von Familie eigentlich gar nicht mehr sprechen kann.  Die gesellschaftliche Wirklichkeit bewegt sich in etwa in der Mitte dieser Extreme. Obwohl in Deutschland die Erwerbsquote von Frauen deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegt, beträgt sie dennoch gerade mal 68%. Von diesen Frauen arbeiten in der Altersklasse zwischen 25 und 54 Jahren jedoch wiederum 62 % nur in Teilzeit. Will man einmal nicht annehmen, daß den Frauen das Arbeiten tendenziell ebenso lästig ist, wie das Kinderkriegen, zeigt sich in diesen Zahlen, die ebenfalls dieser Tage von einer OECD Studie zur Rentenproblematik von Frauen veröffentlicht wurden, das gesellschaftliche Beharrungsvermögen gegen den Trend zur völligen Auflösung des Familienverbands in der gleichgewichteten Erwerbsarbeit beider Geschlechter. Sie korrelieren mit dem von den Bevölkerungsforschern ermittelten Beharrungsvermögen des konservativen ,,Leitbilds der guten Mutter”, auch wenn die Befragten daraus für sich offenbar eher die Konsequenz zogen, weniger Kinder zu kriegen.  Dieses normative Dilemma aufzulösen, treibt die Bevölkerungsforscher mit ihrer Studie an. Interessant ist dabei, daß sie den realen Verfall der Familienstrukturen darin schon insoweit adaptiert haben, als sie in der bekannten Vereinbarkeitsformel die Familie bereits durch den biotechnischen Begriff der Elternschaft ersetzen. Mit der bloß biologischen Elternschaft ist es zu vereinbaren, wenn die erwerbstätigen Eltern nach einer Kosten-Nutzen-Analyse die Kinderbetreuung aus der Familie ausgliedern und diese einem wachsenden Erwerbszweig einer professionellen Kinderbetreuung überlassen, etwa in dem Sinne des “Outsourcing” weniger profitablen Betriebsprozesse aus einem Gewerbebetrieb. Dabei geht es längst nicht mehr nur noch um den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur im engeren Sinne, (,,ein zentrales Anliegen der deutschen Arbeitgeber”, Dieter Hundt). Kitas für Kleinstkinder unter 3 Jahren sind längst avanciert zu frühkindlichen Fördereinrichtungen. Und Kinderbetreuung  umfasst begrifflich längst gesellschaftliche Optimierungsstrategien  von der Bildung bis zur Ernährung. Das alles scheint nach dem Weltbild des Feminismus und der Wirtschaftslobbyisten  durch professionelle Dienstleistungsunternehmen weit effizienter zu funktionieren und ist unter dem Gesichtspunkt der späteren Eingliederung des Nachwuchses in den kapitalistischen Verwertungsprozeß auch von der Familie bedarfsgerecht gar nicht mehr zu leisten.  Schließlich muß sich auch fiskalisch die staatliche Investition in die Förderung von Kinder rechnen. Die möglichst frühe Investition in vorschulische Förderung sei die effektivste familienpolitische Investition und von optimalen Nutzen für die Gesellschaft,  lautet das Ergebnis einer OECD Studie aus 2011. (2) Dabei werden konsequent die Stimmen  aus der Wissenschaft ignoriert, die vor den zum Teil desaströsen Folgen des Verlusts frühkindlicher emotionaler Bindungen warnen. So jüngst Ralph Dawirs, Professor für Neurobiologie, der in einem FR-Interview sagte, ,,Die frühe emotionale Bindung  an die Familie ist die Basis für alle sozialen Kompetenzen, die das Kind später entwickelt…. Kommt es in dieser sensiblen Phase zu Störungen, hat das gravierende Folgen – etwa bei der Entwicklung von Empathie.” (3 ) Was inzwischen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden ist oder zumindest dabei ist zu werden, hat die politische Linke schon seit langer Zeit als positive Vision von der Vergesellschaftung der Reproduktion vor sich hergetragen. Die Familie als der zentrale Ort der gesellschaftlichen Reproduktion war das private Refugium, in das der Staat nur begrenzte Eingriffsbefugnisse hatte, und die Begrenzung staatlichen Einflusses in der Privatsphäre war einmal ein Wesensmerkmal der bürgerlichen Gesellschaft.

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(1) Die Angaben über die Studie stammen soweit nicht besonders angegeben aus der  übereinstimmenden Berichterstattung der Tagespresse v. 18/19.12.2012

(2) FR v. 9.11.2012 ,,Nur eine frühe Förderung von Kindern bringt dem Staat Nutzen.”

(3) Ralph Darwirs, Interview in FR v. 19.12.2012 ,,Totale Irreführung der Eltern”

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Weihnachtsgrüße aus Afghanistan

Truppenbesuch des Bundespräsidenten

Eine Woche vor Weihnachten besucht der Bundespräsident die Truppe in Afghanistan.  Geht es dabei um warme Grüße in einer besinnlichen Zeit, die unsere Soldaten im Krieg so fern der Heimat verbringen müssen? Vielleicht. Mehr aber noch dürfte sich die Botschaft an die die Heimat selbst richten. Das legt auch der Leitkommentar von  Johannes Leithäuser in der FAZ von  heute nahe  (18.12.201). Denn, so stellt er fest,

,,die Bevölkerung hat sich noch immer nicht an eine Bundesehr gewöhnt, deren Aufgabe sich nicht in der Abschreckung  erschöpft, sondern zu deren Fähigkeiten die gezielte Tötung von Aggressoren auf verschiedenen Schauplätzen dieser Welt gehören muß.”

Das Weihnachtsgeschenk an die Truppe hat der Bundespräsident gewissermaßen auch schon im Gepäck. Dieser Tage werden auch die vier Kampfhubschrauber vom Typ “Tiger”  nach Afghanistan verlegt.  Na dann, Frohes Fest!

Freitag, 15. Juni 2012

Die griechische Tragödie und das Dilemma der europäischen Linken

Am Sonntag sind in Griechenland Neuwahlen, nachdem die letzten Wahlen zur Unregierbarkeit des Landes geführt haben. Und mit dieser Wahl steht das Schicksal des Euro und damit die Zukunft Europas im Fokus. Diese Wahlen sind daher so etwas wie der Kulminationspunkt der Krisenpolitik und damit auch eine Herausforderung für die Politik der gesamten europäischen Linken und den vielbeschworenen ,,Kampf gegen die Finanzmärkte.”

Die Tragödie

Als sich im Mai 2010 die Volksbewegung in Griechenland radikalisierte, richtete sich die entladene Wut erstmals gegen die Banken und führte direkt in ein Trauma. 3 Tote Angestellte der Bank erschütterten die Protestbewegung.

Diese Tragödie offenbarte dramatisch die Widersprüche der Protestbewegung in Griechenland und darüber hinaus in ganz Europa. Nicht zu Unrecht geraten die Banken als die Sinnbilder des Finanzkapitals ins Zentrum des Volkszorns, und nicht zu Unrecht verspüren die Menschen, daß es die hochentwickelte Finanzwirtschaft ist, die in der Krise von ihnen ihren Tribut fordert. Einmal schlug nun die rhetorische Pflege des Feindbilds Nummer 1 in materielle Gewalt gegen die Banken um. Aber dann zeigte sich auf beklemmende Weise, es waren verzweifelte Bankangestellte und –kunden, die in dem brennenden Gebäude um ihr Leben rangen und den Tod fanden, also die sprichwörtlichen Menschen wie du und ich.  Sowenig wie in den geweihten Kathedralen des christlichen Abendlandes der leibhaftige Gottvater haust, sowenig sind die Banken die Heimstätten des leibhaftigen Antichristen. Die Spitze des Protests erwies sich als Schlag gegen den Protest selbst und brachte die Volksbewegung vorübergehend zum Erliegen.

Der Dualismus der griechischen Protestbewegung

Nachdem die Protestbewegung nach dieser Tragödie aus ihrer Schockstarre erwachte, kehrte sie auf weniger gewaltsame Weise zurück.  Dabei entwickelte sich ein Dualismus, der in die gleiche widersprüchliche Spirale führte, wie sie sich letztlich in dem verhängnisvollen Anschlag auf die Athener Bank zeigte. Auf der einen Seite entwickelten die Volksbewegungen gegen die Sparpolitik ihrer jeweiligen Regierungen eine Dynamik, wie man sie im sog. Nachkriegseuropa nicht mehr kannte. Auf der anderen Seite betrieben die Volksvertreter beharrlich eine Politik der Unterordnung unter die Befehlsgewalt der Troika aus EU- Kommission, Internationalem Währungsfonds und EZB.  Die Komponenten dieser Politik sind auf der einen Seite der Rettungsschirm, mit dem Griechenlands Verbleib in der Eurozone gesichert werden soll, und auf der anderen Seite die von der Troika geforderten Strukturanpasssungen. In völlig berechtigter Kritik wird diese Seite auch als Spardiktat verdammt. Diese beiden Komponenten bestimmen nun allerdings die Beziehungen der Volkswirtschaft Griechenlands in und zu der Währungsunion. Es zeigt sich dabei wieder, daß die Banken darin nur die Rolle als Verrechnungsstellen in einem überaus fragilen und zum Teil rein virtuellen Beziehungsgeflecht spielen. Die Währungsunion machte die Währung der nationalen Volkswirtschaften unabhängig von der realen Wertschöpfung. Für Griechenland bedeutete dies über einen langen Zeitraum die Möglichkeit der Refinanzierung mit sog. billigem Geld, also mit einem an dem Euro orientierten niedrigen Zinssatz für Staatsanleihen. Billiges Geld ist natürlich falsch, da Geld keinen Preis hat, sondern Preise nur abbildet. Im Falle Griechenlands bildete der Euro die Preise falsch ab. Faktisch konnte Griechenland zur Freude der Exportwirtschaft z.B. Deutschlands in hohem Maße Güter importieren, die es eigentlich gar nicht bezahlen konnte. Im Zuge der Finanzkrise wurden die offenen Schuldsalden dann zu einem Risikofaktor nicht nur für die Volkswirtschaft Griechenlands, sondern des gesamten Euroraums, zumal sich in anderen Ländern vergleichbare Entwicklungen abspielten, und für Griechenland die Refinanzierung auf den Kapitalmärkten immer teurer bis unmöglich wurde. Der gewissermaßen natürliche volkswirtschaftliche Reflex  einer Abwertung der nationalen Währung war durch den Euroverbund abgeschnitten und drängt markttechnisch zu einer realen Abwertung durch Senkung der Preise und Löhne.

Während nun die Protestbewegungen Sturm liefen gegen das Spardiktat, sorgten die wechselnden Regierungen mit ihrer Unterwerfungspolitik für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. In ganz Europa hallt die Kritik nach, mit dem Rettungsschirm würden nicht die Griechen, sondern die Banken gerettet. Und so ist es in der Tat. Kaum ein Cent der Rettungsgelder erreicht die Griechen selbst, sondern wird gleich durchgereicht an private Gläubiger wie Banken, Investment- und Hedge-Fonds. Aber, wenn dies nun so ist, warum pfeifen die Griechen dann nicht einfach auf die Rettungsgelder und stürzen dieses volksfeindliche System?

Reichten ein paar Hunderttausend Demonstranten auf dem Tahrir Platz, um eine angeblich so gefürchtete und allmächtige Diktatur zu stürzen, so hätten die Griechen bei der Dynamik ihrer Revolte sich ebenfalls des verhassten Systems entledigen können. Aber die Volksvertreter und selbst die demokratisch nicht mehr legitimierte Technokratenregierung waren keine Autokraten. Sie hätten ,,ihre” Macht auch nicht mit Panzern verteidigt und hatten dies auch gar nicht nötig. Der Protest auf der einen und die Regierungspolitik auf der anderen Seite verharrten in einer bemerkenswerten Koexistenz. Sie stellen sich dar als zwei Pole, die zwar im Zwist miteinander, aber doch gleichermaßen im griechischen Volk verankert sind. Dies nicht im Sinne von zwei unversöhnlichen Lagern, sondern im Sinne eines Risses quer durch den Einzelnen selbst. Dies verweist auf das Dilemma der Revolte, die sich im Kern um sich selbst dreht.

 

Der Wahlsieg von Syriza und die Herausforderung Europas

Eine neue Situation schufen dann die Wahlen vom 6.5.2012  mit dem vorläufigen  Sieg des Linksbündnisses Syriza. Was sich bis dahin als eine Art Arbeitsteilung zwischen Protest und Regierungspolitik herausgebildet hat, der Dualismus von Protest gegen die Sparpolitik und der Erhalt des Euros, hat sich nunmehr in dem Wahlprogramm von Syriza vereint.  Die Katze läßt nun mal das Mausen nicht. Selbst dieses radikale Linksbündnis hält fest am Verbleib in der Eurozone und hält die Hand auf für die Rettungsgelder. Dies allerdings bei gleichzeitiger Zurückweisung des Spardiktats. Hier zeigt sich die andere Seite der unheimlichen Macht des Geldes, seine verführerische Glitzerwirkung. Zum Euro drängt, am Euro hängt doch alles, wie schon der alte Goethe wußte.

Sollte die neue Regierung das sog. Memorandum aufkündigen und die Troika ihre Warnung dann wahr machen, für diesen Fall die Rettungsgelder nicht mehr auszuzahlen, hat dies allerdings die Staatsinsolvenz zur Folge und das wahrscheinliche Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro. Nach verschiedenen Umfragen wünschen sich 80% der Griechen  jedoch den Verbleib in der Eurozone. Am wahrscheinlichsten ist daher ein Wahlausgang, der diesen Verbleib sichert bei gleichzeitiger (maßvoller) Neuverhandlung des Memorandums, wie sie inzwischen auch von den anderen maßgeblichen Parteien gefordert wird.  Der radikale Vorstoß von Syriza, falls er sich durchsetzt,  ist dabei jedoch ein riskantes Spiel über die Bande. Das Linksbündnis spekuliert darauf, daß die Reaktionen ,,der Finanzmärkte” auf einen Staatsbankrott Griechenlands für die gesamten Volkswirtschaft der Europäischen Union einen größeren Schaden anrichtet als das griechische Fass ohne Boden. Es ist damit eigentlich nicht nur ein Spiel über die Bande der Finanzmärkte. Um es weniger nebulös zu sagen, das Finanzkapital wird zum Mitspieler erkoren. Niemand fürchtet den vollständigen Zahlungsausfall Griechenlands so sehr wie ,,die Finanzmärkte”. Von dort erhält diese Politik daher auch direkte Schützenhilfe. ,,Ich glaube, daß niemand wagt, die Reißleine bei Griechenland zu ziehen….Die Politik wird nicht für die gravierenden Konsequenzen eines Griechenland-Austritts verantwortlich sein wollen.” , so Ewen Cameron Watt, Chefstratege des Blackrock Investment Instituts, beispielhaft für die Finanzakteure an den Märkten (1)

Spätestens hier kippt die vermeintliche Revolte gegen die Finanzmärkte um in das genaue Gegenteil. Die gesamte europäische Linke folgt inzwischen dieser Logik, sich aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte zu befreien, indem man diese massenhaft mit Geld füttert.

Die europäische Linke als Schrittmacher eines Europas des Finanzkapitals 

Im Zuge der Finanzkrise gerieten die Finanzakteure an den Kapitalmärkten deswegen in die Kritik, weil sie längst mit Summen jonglierten, die die sog. Realwirtschaft nicht mehr abbildeten , d.h. mit Werten, die die Realwirtschaft gar nicht  mehr produzierte. Und jetzt sammelt sich die gesamte europäische Linke  hinter dem Konzept, die Schuldenkrise mit noch mehr Schulden zu bekämpfen. Wachsen statt Sparen, ist das Schlagwort. Der als Brandmauer aufgebaute 700 Milliarden schwere permanente Rettungsfonds ESM soll schon nicht mehr ausreichen. Auf die Rettungspakete sollen nun auch noch Konjunkturpakete draufgesattelt werden. Marshallpläne statt Sparprogramme werden gefordert, wobei unterschlagen wird, daß sich der Marshallplan für westeuropäische Länder nach unterschiedlichen Angabe zwischen 1,2% bis 4,5% des BIP (Bruttoinlandsprodukts) der Volkswirtschaften belaufen hat und Griechenland jetzt schon über 170% seines BIP an Hilfen erhalten hat.

Auf die Frage, wie das alles finanziert werden soll, laufen die Antworten alle auf die Gemeinschaftshaftung hinaus. Flugs wird dies dann  ideologisch als Vertiefung der europäischen Integration überhöht. Das Europaparlament hat gerade erst, am 12.62012, die Einführung eines europäischen Schuldentilgungsfonds (eine Vorstufe von Eurobonds)  zusammen mit einem Wachstumsfonds und der mittelfristigen Einführung von Eurobonds  gefordert und folgt damit den Vorgaben des neugewählten sozialistischen Präsidenten Frankreichs Francois Hollande. Der grüne Abgeordnete Sven Giegold verkündete daraufhin bereits das Ende des Sparkurses von Angela Merkel. (2)

In einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau fordert der Bereichsleiter Wirtschaftspolitik der Bundesverwaltung der Gewerkschaft Verdi die Einführung einer Banklizenz für den ESM. (3) Und die Partei “Die Linke” fordert in einem 6-Punkte-Programm zusammen mit Syriza gar die Direktfinanzierung der Krisenländer durch die EZB. (4)

Das relativ kleine und wahrscheinlich nur vorläufige Rettungsprogramm für die spanischen Banken über 100 Milliarden Euro zeigt dabei jedoch wieder, wie der sog. Rettungsmechanismus eigentlich funktioniert. Der ESFS-Krisenfonds nimmt selbst Mittel am Kapitalmarkt auf, die er dann dem spanischen Staat zur Weiterleitung an den spanischen Bankenrettungsfonds Frob  als Kredit zur Verfügung stellt. Das Rettungsprogramm basiert auf der im Grunde genommen unsinnigen Logik,  nach der sich die verschuldeten Staaten auf den Finanzmärkten Geld beschaffen, mit dem sie dann die Finanzakteure retten. Dies, um damit die Finanzmärkte zu beruhigen und von ihnen weiter Geld zu erhalten. Dieses Vabanquespiel kann nur noch mit einer ständigen Ausweitung der Gemeinschaftshaftung funktionieren. Die nahezu grenzenlose Ausweitung dieses Rettungs- und Wachstumsmechanismus, wie sie geschlossen von der europäischen Linken gefordert wird, bedeutet nichts anderes , als spekulativ mit virtuellem Geld auf die Beschleunigung der Kapitalverwertungsprozesse zu setzen, ganz im Sinne der gerade noch wegen ihrer gewissenlosen Zocker angefeindeten Finanzwirtschaft.

Die Forderung nach der Banklizenz für den Rettungsfonds oder nach Direktfinanzierung durch die EZB laufen auf das gleiche hinaus, nur noch schlimmer. Man mogelt sich dabei nicht an den Finanzmärkten vorbei, wie ,,Die Linke” oder Verdi meinen, ,,Befreiung aus der Geiselhaft der Finanzmärkte.” Diese Vorschläge bedeuten monetäre Staatsfinanzierung in Reinform, d.h. das Anwerfen der Druckerpresse oder, was das gleiche ist, zahlen mit ungedeckten Schecks.

Allen diese Vorschläge, gerade auch die Vergemeinschaftung der Haftung über europäische Schuldentilgungsfonds und Eurobonds, ist gemeinsam, daß sie die private Gläubigerhaftung  der Finanzwirtschaft mehr und mehr auf die öffentliche Hand verlagern und öffentliche Gelder zweckentfremdet privatisieren. Das öffentliche Gemeinwesen begibt sich dabei auf immer höherer Stufenleiter in die Abhängigkeit der Finanzwirtschaft und damit unter das Diktat des Finanzkapitals, das allerdings in Form der Zwänge der Finanzmärkte erscheint. Wenn an dieser Politik etwas sozialistisch sein soll, dann ist es ein Schuldensozialismus.

Im Falle Griechenlands wird diese Politik wohl auch verstärkt mit dem Ruf nach europäischer Solidarität überhöht werden. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Eine solche Politik kann nur funktionieren, weil die Riesensummen , die über die Krisenbewältigung in Bewegung gesetzt werden sollen, Begehrlichkeiten wecken und nationale Egoismen und vordergründige Egoismen von Interessen- und Klientelgruppen daran hängen. Zum Euro drängt …. Solidarität gibt es in diesem Szenario nicht, nur Interessen. 

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(1) FAZ, 12.6.2012

(2)FAZ, 14.6.2012

(3) FR, 11.6.2012

(4) www.linksfraktion.de/positionspapiere/alternativen-austeritätspolitik-bankenrettung

Freitag, 1. Juni 2012

Tatort ARD: Nieder wieder frei sein

Wenn ein Krimi den Leser/Zuschauer bis zuletzt im Ungewissen über die Aufklärung des Verbrechens läßt und ihn mit wachsender Spannung in den Bann der Ermittlungen zieht, dann ist es wohl ein guter Krimi. Wenn ein Serienkrimi in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt aber eine politische Botschaft verkünden will, ist Vorsicht geboten. In “Nie wieder frei sein”, einem “Tatort” vom Sonntag, 27.5.2012, wird die Botschaft mit dem Vorschlaghammer präsentiert.

Die ARD macht Stimmung gegen den Rechtsstaat und trägt dabei recht dick auf.

In der Eingangssequenz wird der Zuschauer Zeuge eines versuchten Mordes an einer jungen Frau, die der Täter zuvor vergewaltigt hat. Beim Versuch bleibt es, weil er sie irrtümlich schon für tot hält. Man sieht ihn bei der Präparierung der nackten vermeintlichen Frauenleiche, um die Spuren zu beseitigen. Noch bleibt er dabei im kinematografischen Dämmerlicht. Aber gleich danach wird er im Gerichtssaal als Täter präsentiert. Ein Ermittler überführt ihn vor Gericht anhand unwiderlegbarer Ermittlungsergebnisse, die die Polizei über eine Überwachungsmaßnahme gewonnen hat. Der Täter, der außerdem noch eines weiteren Frauenmordes angeklagt ist, gesteht einer Prostituierten die Taten und dies mit einem exklusiven Täterwissen. Aber: Eine junge Anwältin deckt auf!  Für die Überwachung lag der richterliche Beschluß noch nicht vor. Der Antrag der Staatsanwältin war zwar bereits auf dem Weg zum Ermittlungsrichter, aber eben noch nicht beschlossen. Ein Verfahrensfehler, so wie ihn sich Frau Maier und Herr Schulze vorstellen. Die Polizei hat eine halbe Stunde zu früh zugelangt, dann hätte der Beschluß vorgelegen. So wird der Angeklagte auf Antrag der cleveren Anwältin freigesprochen. Die Zuschauer m Gerichtssaal sind empört über den Freispruch eines überführten Frauenmörders und Sexualstraftäters. Die Schwester des Mordopfers schreit auf, “Nein! Das ist Unrecht!”, und das Vergewaltigungsopfer  bricht zusammen.

Die Programmankündigung zu diesem Film wirf die Fragen auf, was ist Recht und  was ist gerecht? Ist Recht gerecht? Die Antwort kommt postwendend. Recht ist nicht gerecht. Der Freigesprochene ist von nun an das Schwein, die Drecksau. Gegen die Anwältin ergehen Morddrohungen. “Selber Schuld”, meinen die Ermittler. Anwohner beschmieren den Eingang  der Wohnung des Täters mit Scheiße, stellen Warnhinweise auf “Vorsicht Mörder!” und schreien nach Selbstjustiz. Die Ermittler haben Verständnis, ihnen geht es ja genauso. Sie sind weiter hinter ihm her, wollen ihn beschatten, müssen sich aber gequält mit der richterlichen Genehmigung abplagen. Den Fehler nicht noch einmal machen! Dann verschwindet das Vergewaltigungsopfer. Der Täter scheint ausgemacht. Er war ja bereits kurz nach seinem Freispruch zum Entsetzen des Vergewaltigungsopfers und der Zuschauer in einer gruseligen Szene wieder bei ihr aufgetaucht. Da kann man leider nichts machen, so ist das Gesetz, so ist das Recht,  gaben die Beamten resigniert zur Kenntnis. Aber jetzt. Auch der Täter ist nicht mehr auffindbar. Eine Entführung? Dann stellen ihn die Ermittler, zu Hause bei seinem Vater, mit dem er zusammen in prekären Verhältnissen lebt. Ein Ermittler wirft sich auf ihn, prügelt auf ihn ein, würgt ihn. Es geht um das Leben von Melanie, rechtfertigt er sich bei seinem Kollegen. Melanie Bauer ist das Vergewaltigungsopfer und die mutmaßlich Entführte. Anklänge vom Fall Gäfgen liegen in der Luft und das Scheiß Folterverbot. Die Anwältin legt nun das Mandat nieder. Diesmal zu Unrecht. Der Bulle versteht sie. Solange niemand von einem Gericht verurteilt wurde, gilt er als unschuldig, sagt sie gebrochen, und die Zweifel stehen ihr im Gesicht. “Unschuldsvermutung”, wehrt der lebenserfahrene Ermittler ab, “daran glaubt ihr doch auch nur im Studium.”

Doch dann kommt die Wende. Dramaturgisch nicht schlecht gemacht. Die Anwältin wird in der Tiefgarage von Vermummten überfallen und schwer mißhandelt. Und – der Täter wird zwölf Stunden später ermordet aufgefunden. Was interessiert mich dieses Dreckschwein, ist der Kommentar des Ermittlers. Diesmal ist der Zuschauer in die Irre geführt worden und wird es weiterhin, so wie es sich für einen guten Krimi gehört. Das unterscheidet ihn von einem reinen Propagandafilm der NPD. Die Opfer geraten selbst in Verdacht. War es der Exfreund des Vergewaltigungsopfers? Ihr Vater? Die Schwester der Ermordeten? Alle freuen sich über den Tod dieser Sau. Aber keiner will es gewesen sein. Auf jeden Fall riecht es nach Lynchjustiz. Beim Täter wird allerdings ein fremdes Schamhaar gefunden. Hat er wieder jemanden vergewaltigt, bevor es ihm selbst an den Kragen ging? War es Frau Bauer? Die Gerichtsmedizin kann das Schamhaar zuordnen. Es kommt von einer Prostituierten, bei er die meiste Zeit war. Posthum wird er so von dem Verdacht der Entführung entlastet. Auch das Vergewaltigungsopfer taucht wieder auf. Sie war gar nicht entführt worden. Und dann ergeben sich Unstimmigkeiten bei den Verletzungen der Anwältin , die von dem Überfall herrühren sollen. Sie wird von den Ermittlern aufgesucht. Im Gerichtssaal, kurz vor ihrer nächsten Verhandlung. Unter Tränen gesteht sie unerwartet den Mord an ihrem früheren Mandanten. Sie hat ihn abgestochen. Ja, was hätte sie denn  tun sollen. Er hätte doch immer weiter gemordet, sagt sie. “Jetzt darf dieses Schwein doch nicht noch mein Leben ruinieren.” Fragend und verängstigt blickt sie die Bullen an. “Können wir nicht sagen, es war Notwehr?” Und die Bullen? Die Rollen haben sich vertauscht. Diesmal vertreten sie das Gesetz,  “Wir müssen sie vorläufig festnehmen.” So endet das tragische Schicksal einer jungen Anwältin, die in ihrer jugendlichen Naivität an das Gesetz glaubte und zu spät erkannte: Recht ist nicht Gerechtigkeit!

Die Botschaft erreichte 4,6 Millionen Zuschauer.

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